Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Frage beantworte ich unter Heranziehung der von Ihnen bereitgestellten Informationen gerne wie folgt:
Zunächst ist festzuhalten, dass Sie über einen notariell beglaubigten Ehevertrag mit Ausschluss des Zugewinnausgleichs verfügen, der grundsätzlich wirksam sein dürfte, sofern nicht eine evidente einseitige Benachteiligung oder Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) vorliegt. Sollte das Familiengericht jedoch – entgegen Ihrer Erwartung – den Ehevertrag insgesamt für unwirksam erklären, würde der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft Anwendung finden.
In diesem Fall käme es zu einer regulären Zugewinnausgleichsberechnung. Der Praxiswert Ihrer ärztlichen Praxis würde dabei regelmäßig im Endvermögen berücksichtigt – allerdings nur fiktiv, d. h. auf Grundlage eines Sachverständigengutachtens, nicht auf Basis realer Veräußerungserlöse. An dieser Stelle wurde der Sachverständige den Verkehrswert ermitteln und diesen sodann als Bezugspunkt für den Zugewinn ansetzen.
Entscheidend ist hierbei:
1. Es kommt auf den Verkehrswert der Praxis an, nicht auf den tatsächlich realisierten Betrag. Auf diesen würde es nur ankommen, wenn der Wert der Praxis bspw. durch Verkauf realisiert werden würde.
Das Familienrecht orientiert sich in der Regel am sogenannten „gemeinen Wert" (§ 1376 BGB), der von einem Gutachter geschätzt wird. Dieser Wert bildet die Grundlage für die Berechnung des Zugewinns. Ob dieser Wert tatsächlich erzielt werden kann oder nicht, spielt für den Ausgleichsanspruch grundsätzlich keine Rolle.
2. Der Zugewinn wird auf Basis der Differenz zwischen Anfangs- und Endvermögen beider Ehegatten ermittelt.
Liegt bei Ihnen ein Zugewinn in Höhe von 800.000 € vor, steht Ihrer Frau grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 400.000 € zu – unabhängig davon, ob Sie diesen Betrag am Markt realisieren können oder nicht. Eine „Nachverhandlung" bei Unterschreitung des ermittelten Werts findet im Rahmen des Zugewinnausgleichs regelmäßig nicht statt, es sei denn, Sie können darlegen, dass der Wert völlig realitätsfern oder unverwertbar ist (z. B. aufgrund rechtlicher Rahmenbedingungen, Wegfall der Patientenbindung etc.).
3. Eine Ausnahme kann unter Umständen aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) folgen.
Wenn Sie den fiktiven Wert gar nicht in irgendeiner Weise wirtschaftlich nutzen oder zu Geld machen können, könnte im Einzelfall eine Korrektur in Betracht gezogen werden – etwa durch Abschläge oder einen sogenannten „Liquiditätsvorbehalt". Dies wird von der Rechtsprechung jedoch nur sehr restriktiv zugelassen.
Fazit:
Selbst wenn Sie Ihre Praxis nur zu 500.000 € veräußern können, bleibt Ihre Frau berechtigt, 50 % des fiktiven Werts zu fordern, der im Zugewinnausgleich zugrunde gelegt wird – also im Extremfall wirklich 400.000 €, selbst wenn Sie netto weniger erhalten. Dies kann wirtschaftlich problematisch sein, insbesondere wenn keine ausreichende Liquidität vorhanden ist. Deshalb werden in der Praxis häufig Ratenzahlungen, Stundungsvereinbarungen oder Abschläge im Rahmen von Vergleichsverhandlungen vereinbart.
Bitte beachten Sie auch, dass diese Plattform lediglich zu einer ersten rechtlichen Orientierung dient, dass diese Antwort nur eine erste rechtliche Einschätzung darstellt und eine persönliche Beratung durch einen Rechtsanwalt nicht ersetzen kann, insbesondere, da auch nur eine geringe Abweichung der Sachverhaltsangaben zu einem anderem Ergebnis führen kann.
Ich hoffe, meine Einschätzung gibt Ihnen eine erste Orientierung.
Mit freundlichen Grüßen
Fritz Fell-Bosenbeck, Rechtsanwalt
Vielen Dank für die ausführliche Antwort. Wenn ich also mich im Falle der Scheidung entscheiden würde, tatsächlich die Praxis zu verkaufen, um meine Frau auszuzahlen, würde nur der tatsächliche realisierte Preis in den Zugewinn fallen?
Das Gutachten hätte dann keine Auswirkung mehr (wenn der reale Preis nicht zu stark abweicht, was wiederum Gegenreaktionen auslösen würde)
Ja, so wäre es meiner Ansicht nach.
MfG