Sehr geehrte(r) Frau/ Herr D.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Zunächst einmal ist nachvollziehbar, dass sie nach einer Begutachtung im Rahmen der Erstbemessung, mit der sie nicht zufrieden gewesen sind, gern einen von ihnen ausgewählten Gutachter mit der Neubemessung beauftragen wollen würden. Richtig ist auch, dass die Gutachter der Versicherer, u.a. die Gutachteninstitute, vielfach den Eindruck vermitteln, „versicherungsfreundliche" Gutachten zu erstellen. Einen Anspruch darauf, dass die Begutachtung durch einen von ihnen ausgewählten Sachverständigen erfolgt, besteht jedoch nicht. Sie haben jedoch selbstverständlich die Möglichkeit, die Leistungsabrechnung, die auf der Grundlage der vom Versicherer eingeholten und letztlich auch bezahlten Gutachten, gerichtlich überprüfen zu lassen. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens stellen die Gutachten des Versicherers lediglich Parteivortrag der Gegenseite vor, sodass das Gericht seine Entscheidung auf die Einholung eines neutralen Sachverständigengutachtens stützen wird. Sie haben daher keine Möglichkeit, dem Versicherer außergerichtlich der Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen vorzugeben. Ungeachtet einer gerichtlichen Überprüfung steht es Ihnen selbst verständlich frei, einen von Ihnen gewählten Sachverständigen auf eigene Kosten mit der Erstellung eines Gegengutachtens zu beauftragen. Ob das sinnvoll sein kann, kann nur anhand des Einzelfalls entschieden werden. Die Kosten hierfür bekommen Sie jedoch nicht erstattet.
Ihre weiteren Fragen müssten eigentlich anhand des Versicherungsscheins und der Ihrem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen geprüft und beantwortet werden, da diese nicht einheitlich sind.
Im Regelfall den Versicherungsbedingungen vor, dass die Bemessung jährlich, längstens bis zum Ablauf des dritten Unfalljahres erfolgen kann. Der Versicherer muss sich dieses Recht nach den gängigen Bedingungen bei seiner Leistungsabrechnung vorbehalten, während der Versicherungsnehmer dieses vor Ablauf der Frist geltend machen muss. Der Versicherer hat sich bei Ihnen das Recht der Neubemessung vorbehalten, wobei man bei der gewählten Formulierung „wird vorgeschlagen" durchaus darüber streiten könnte, ob der Versicherer die Neubemessung anheimstellen oder sich diese vorbehalten möchte. Von Bedeutung ist dies für Sie, wenn Sie von einer Verbesserung des Gesundheitszustandes zum Ablauf des dritten Unfalljahres ausgeliehen.
Die Begutachtung selbst muss aber nicht zwingend vor Ablauf der Frist erfolgen. Dies wäre beispielsweise auch dann nicht möglich, wenn z.B. Sie das Recht einen Tag vor Fristablauf geltend machen würden oder die Entscheidung des Versicherers gerichtlich überprüft wird. In dem Fall wird das Gutachten oft Monate bis Jahre nach Ablauf der Frist erstellt. Entscheidend ist, dass durch den Gutachter auf das Ende des dritten Unfalljahres abgestellt wird.
Die Verzinsung erfolgt rückwirkend ab der Leistungsabrechnung zur Erstbemessung.
Grundsätzlich ist der Versicherer verpflichtet, die Invalidität zu bemessen, sobald die Voraussetzungen vorliegen. Ein Endzustand muss noch nicht zwingend gegeben sein. Hierfür besteht das Recht der Neubemessung. Von daher wäre bei Ihnen gegebenenfalls zu prüfen, ob die Erstbemessung überhaupt korrekt erfolgt ist.
Wichtig ist gegebenenfalls auch noch folgendes:
Im Rahmen eines Klageverfahrens nach Ablauf des dritten Unfalljahres ist maßgeblich für die Erstbemessung der Zeitpunkt des Ablaufs der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Invaliditätsfeststellungsfrist, BGH, Urteil vom 18.10.2017, Az. IV ZR 188/16. Damit aber blieben die weiteren Entwicklungen unberücksichtigt.
Hingegen kommt es ausnahmsweise auf die Dreijahresfrist, hier dem 29.09.2023 an, wenn der Versicherungsnehmer noch vor Ablauf der Neubemessungsfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht.
Der Bundesgerichtshof führt in seiner o.g. Entscheidung aus, dass in einem solchen Fall die Prozessbevollmächtigten typischerweise davon ausgehen, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess ausgetragen werden soll, einschließlich etwaiger weiterer Invaliditätsfeststellungen. In diesem Fall geht es also nicht allein um die Neufeststellung der Invalidität, sondern weiterhin um deren Erstfeststellung, nur, dass in diesem Fall eben nicht auf die vertraglich vereinbarte Invaliditätsfrist abzustellen ist, weil der Versicherungsnehmer noch innerhalb der für die Neubemessung maßgeblichen Dreijahresfrist Klage erhoben hat.
Das Ende des dritten Unfalljahres ist 11/2025. Daher sollte anhand sämtlicher Unterlagen (Versicherungsbedingungen; Gutachten, Leistungsabrechnung) geprüft werden, ob die Erstbemessung angreifbar ist und ggfs. vor Ablauf des dritten Unfalljahres Klage gegen erfolgte Erstbemessung erhoben werden sollte. Aus meiner Sicht sollten die Leistungsabrechnungen stets überprüft werden, da diese – aus den von Ihnen geschilderten Gründen – vielfach nicht korrekt sind.
Ich hoffe, Ihnen Ihre Fragen beantwortet zu haben. Wenn Sie eine Überprüfung der Erstbemessung wünschen, könne Sie sich auch gerne an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Birte Raguse
Fachanwältin für Versicherungsrecht
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