Private Unfallversicherung: Neubemessung und Wahlrecht des Gutachters

20. November 2024 12:28 |
Preis: 60,00 € |

Versicherungsrecht, Privatversicherungsrecht


Beantwortet von


in unter 2 Stunden

Hintergrund:
Es geht um die Neubemessung eines Invaliditätsschadens und das Wahlrecht für einen Gutachter in der privaten Unfallversicherung. 1. Gutachten durch den „versicherungsfreundlichen" Gutachter der Versicherung wurde bereits erstellt.

Frage:
Das 2. Gutachten wurde von der Versicherung beauftrag bei dem gleichen „versicherungsfreundlichen" Gutachter wie das 1. Gutachten. Die Durchführung des 2. Gutachtens wird NACH dem Ablauf des zweiten Jahres stattfinden. Wie lange darf eine Neubemessung durch die Versicherung BEAUFTRAGT werden und wann muss die DURCHFÜHRUNG stattfinden? Wie lange hat die Versicherung das Recht den Gutachter zu bestimmen? Meiner Meinung nach hätte die DURCHFÜHRUNG der Neubemessung bis 02.11.2024 erfolgen müssen (Versicherungsbedingungen Punkt c.) und die Versicherung hat ihr Recht auf Wahl des Gutachters verwirkt. Liege ich mit dieser Rechtsauffassung richtig? Kann ich durchsetzen, dass bereits bei dem zeitnah erfolgenden 2. Gutachten ein Gutachter meiner Wahl tätig wird?

Umgekehrt: Bis wann darf ich eine Neubemessung BEAUFTRAGEN und bis wann muss diese DURCHGEFÜHRT werden? Ab wann habe ich das Wahlrecht einen Gutachter frei zu wählen? Aufgrund der Verletzung (posttraumatische Arthrose) ist von einer kontinuierlichen Verschlechterung auszugehen, deren Entwicklungsgeschwindigkeit schwer abzuschätzen ist. Einer der Ärzte sagte: Voranschreitender Gelenkverschleiß mit der zu erwartenden Notwendigkeit des Gelenktausches (Prothese) in 2 bis 10 Jahren. Kann ich „bis zu drei Jahre nach dem Unfall" eine Neubemessung BEAUFTRAGEN, die dann im 5. oder 10. Jahr nach dem Unfall DURCHGEFÜHRT wird?

Was ist der „Startpunkt" für die Berechnung der Verzinsung der Invaliditätsleistung: Unfalltag, Meldung der Invalidität, Zeitpunkt des 1. Gutachtens?

Auszug aus den Versicherungsbedingungen:
a. Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich erneut ärztlich bemessen zu lassen.
b. Ihnen steht das Recht zur Neubemessung längstens bis zu drei Jahre nach dem Unfall zu. Wenn Sie eine Neubemessung wünschen, müssen Sie uns dies vor Ablauf der Frist mitteilen.
c. Uns steht das Recht zur Neubemessung längstens bis zu zwei Jahren nach dem Unfall zu. Wenn wir eine Neubemessung wünschen, teilen wir Ihnen dies zusammen mit der Erklärung über unsere Leistungspflicht mit.
d. Ergibt die endgültige Bemessung eine höhere Invaliditätsleistung, als wir sie bereits erbracht haben, ist der Mehrbetrag mit 5% jährlich zu verzinsen.
e. Wir garantieren Ihnen, dass die Versicherungsbedingungen die Mindeststandards des Arbeitskreises Beratungsprozesse vom 25.09.2015 erfüllen und ausschließlich zu Ihrem Vorteil von den vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zum Stichtag 26.02.2020 empfohlenen Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen AUB 2014 abweichen.

Historie:
03.11.2022: Unfallereignis

11.07.2023: Anfertigung des 1. Gutachtens

25.08.2023: Schreiben der Versicherung mit Anerkennung der Leistungspflicht, Anzahlung auf die zu erwartende Invaliditätsleistung, „dem eingegangenen ärztlichen Gutachten ist zu entnehmen, dass ein beurteilungsfähiger Endzustand noch nicht erreicht ist. Es wird daher eine erneute Untersuchung zum Ablauf des dritten Unfalljahres vorgeschlagen."

07.10.2024: Mein Schreiben mit der Bitte zur Durcheinführung einer Neubemessung bei einem von MIR ausgewählten Gutachter.

31.10.2024: Schreiben der Versicherung: Mitteilung der Versicherung, dass ich den Gutachter nicht auswählen darf. „Mit unserem Schreiben vom 25.08.2023 haben wir Sie über die bevorstehende Untersuchung bei einem von UNS gewählten Gutachter unterrichtet. Der Untersuchungstermin wird Ihnen vom Gutachter mitgeteilt.

18.11.2024: Schreiben des Gutachters: Einladung zur Untersuchung am 16.12.2024.

Vielen Dank für Ihre Antwort.

20. November 2024 | 13:51

Antwort

von


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Am Kaiserkai 69
20457 Hamburg
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Sehr geehrte(r) Frau/ Herr D.,

vielen Dank für Ihre Frage.

Zunächst einmal ist nachvollziehbar, dass sie nach einer Begutachtung im Rahmen der Erstbemessung, mit der sie nicht zufrieden gewesen sind, gern einen von ihnen ausgewählten Gutachter mit der Neubemessung beauftragen wollen würden. Richtig ist auch, dass die Gutachter der Versicherer, u.a. die Gutachteninstitute, vielfach den Eindruck vermitteln, „versicherungsfreundliche" Gutachten zu erstellen. Einen Anspruch darauf, dass die Begutachtung durch einen von ihnen ausgewählten Sachverständigen erfolgt, besteht jedoch nicht. Sie haben jedoch selbstverständlich die Möglichkeit, die Leistungsabrechnung, die auf der Grundlage der vom Versicherer eingeholten und letztlich auch bezahlten Gutachten, gerichtlich überprüfen zu lassen. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens stellen die Gutachten des Versicherers lediglich Parteivortrag der Gegenseite vor, sodass das Gericht seine Entscheidung auf die Einholung eines neutralen Sachverständigengutachtens stützen wird. Sie haben daher keine Möglichkeit, dem Versicherer außergerichtlich der Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen vorzugeben. Ungeachtet einer gerichtlichen Überprüfung steht es Ihnen selbst verständlich frei, einen von Ihnen gewählten Sachverständigen auf eigene Kosten mit der Erstellung eines Gegengutachtens zu beauftragen. Ob das sinnvoll sein kann, kann nur anhand des Einzelfalls entschieden werden. Die Kosten hierfür bekommen Sie jedoch nicht erstattet.

Ihre weiteren Fragen müssten eigentlich anhand des Versicherungsscheins und der Ihrem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen geprüft und beantwortet werden, da diese nicht einheitlich sind.

Im Regelfall den Versicherungsbedingungen vor, dass die Bemessung jährlich, längstens bis zum Ablauf des dritten Unfalljahres erfolgen kann. Der Versicherer muss sich dieses Recht nach den gängigen Bedingungen bei seiner Leistungsabrechnung vorbehalten, während der Versicherungsnehmer dieses vor Ablauf der Frist geltend machen muss. Der Versicherer hat sich bei Ihnen das Recht der Neubemessung vorbehalten, wobei man bei der gewählten Formulierung „wird vorgeschlagen" durchaus darüber streiten könnte, ob der Versicherer die Neubemessung anheimstellen oder sich diese vorbehalten möchte. Von Bedeutung ist dies für Sie, wenn Sie von einer Verbesserung des Gesundheitszustandes zum Ablauf des dritten Unfalljahres ausgeliehen.

Die Begutachtung selbst muss aber nicht zwingend vor Ablauf der Frist erfolgen. Dies wäre beispielsweise auch dann nicht möglich, wenn z.B. Sie das Recht einen Tag vor Fristablauf geltend machen würden oder die Entscheidung des Versicherers gerichtlich überprüft wird. In dem Fall wird das Gutachten oft Monate bis Jahre nach Ablauf der Frist erstellt. Entscheidend ist, dass durch den Gutachter auf das Ende des dritten Unfalljahres abgestellt wird.

Die Verzinsung erfolgt rückwirkend ab der Leistungsabrechnung zur Erstbemessung.

Grundsätzlich ist der Versicherer verpflichtet, die Invalidität zu bemessen, sobald die Voraussetzungen vorliegen. Ein Endzustand muss noch nicht zwingend gegeben sein. Hierfür besteht das Recht der Neubemessung. Von daher wäre bei Ihnen gegebenenfalls zu prüfen, ob die Erstbemessung überhaupt korrekt erfolgt ist.

Wichtig ist gegebenenfalls auch noch folgendes:

Im Rahmen eines Klageverfahrens nach Ablauf des dritten Unfalljahres ist maßgeblich für die Erstbemessung der Zeitpunkt des Ablaufs der in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbarten Invaliditätsfeststellungsfrist, BGH, Urteil vom 18.10.2017, Az. IV ZR 188/16. Damit aber blieben die weiteren Entwicklungen unberücksichtigt.

Hingegen kommt es ausnahmsweise auf die Dreijahresfrist, hier dem 29.09.2023 an, wenn der Versicherungsnehmer noch vor Ablauf der Neubemessungsfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht.
Der Bundesgerichtshof führt in seiner o.g. Entscheidung aus, dass in einem solchen Fall die Prozessbevollmächtigten typischerweise davon ausgehen, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess ausgetragen werden soll, einschließlich etwaiger weiterer Invaliditätsfeststellungen. In diesem Fall geht es also nicht allein um die Neufeststellung der Invalidität, sondern weiterhin um deren Erstfeststellung, nur, dass in diesem Fall eben nicht auf die vertraglich vereinbarte Invaliditätsfrist abzustellen ist, weil der Versicherungsnehmer noch innerhalb der für die Neubemessung maßgeblichen Dreijahresfrist Klage erhoben hat.

Das Ende des dritten Unfalljahres ist 11/2025. Daher sollte anhand sämtlicher Unterlagen (Versicherungsbedingungen; Gutachten, Leistungsabrechnung) geprüft werden, ob die Erstbemessung angreifbar ist und ggfs. vor Ablauf des dritten Unfalljahres Klage gegen erfolgte Erstbemessung erhoben werden sollte. Aus meiner Sicht sollten die Leistungsabrechnungen stets überprüft werden, da diese – aus den von Ihnen geschilderten Gründen – vielfach nicht korrekt sind.

Ich hoffe, Ihnen Ihre Fragen beantwortet zu haben. Wenn Sie eine Überprüfung der Erstbemessung wünschen, könne Sie sich auch gerne an mich wenden.

Mit freundlichen Grüßen

Birte Raguse
Fachanwältin für Versicherungsrecht




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