Vertragsrecht benachteiligende Klausel

4. April 2024 13:29 |
Preis: 85,00 € |

Vertragsrecht


Beantwortet von


in unter 2 Stunden

Wir sind eine 10-Personen-GmbH, erbringen kreative Gestaltungsleistungen und wurden von einem öffentlichen Auftraggeber Mitte 2020 mit der Gestaltung und Realisierung einer kleinen Ausstellung zur Fertigstellung in 2022 beauftragt. In einem Paragraphen des Hauptvertrages heisst es: "Der Auftragnehmer wird darauf hingewiesen, dass es zu Erschwernissen und Verzögerungen kommen kann. Weder Erschwernisse noch Verzögerungen, egal aus welchem Rechtsgrund, führen dazu, dass dem Auftragnehmer Mehrvergütungsansprüche zustehen."
Aus Auftragsmangel haben wir diesem "Knebelparagraphen" zugestimmt. Es sieht nun so aus, dass der Auftraggeber weitere 3 Jahre die Räume nicht bereitstellen kann (Verzug dann 5 Jahre) und der von den damaligen Absprachen inzwischen deutlich abweichende Zustand der Räume die Realisierung der Ausstellung erheblich erschwert. Die Bau-Inflation hat die Preise stark erhöht. Wir könnten sogar über 10 Jahre oder 20 Jahre an der Ausführung gehindert werden. "Erschwernisse" wie durch uns nicht zu verantwortende veränderte Raumverhältnisse erfordern nun Objekt-Klimatisierungen und umfassende Plananpassungen, die die Kosten verdoppeln, ja verdreifachen. Haben wir eine Chance, gegen diese uns extrem benachteiligende Klausel vorzugehen oder aus "wichtigem Grund" den Vertrag zu kündigen?

4. April 2024 | 14:45

Antwort

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Sehr geehrte Ratsuchende,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich wie folgt beantworte:

Die entsprechende Klausel ist tatsächlich sehr weitreichend, da sie tatsächlich Mehrvergütungsansprüche bei Erschwernissen oder Verzögerungen aus jeglichem Rechtsgrund, also letztlich auch aufgrund schuldhaften und sogar vorsätzlichen Handelns des Auftraggebers, ausschließt. Die Frage ist hierbei u.a., ob Mehrvergütungsansprüche tatsächlich auch Schadensersatzansprüche ausschließt, die Ihnen bei schuldhaftem Handeln der Gegenseite ggf. zustehen könnten.

Man kann hier zum einen vertreten, dass Sie aufgrund der sog. Störung der Geschäftsgrundlage eine Anpassung des Vertrages verlangen können, § 313 BGB:

Zitat:
§ 313 Störung der Geschäftsgrundlage
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.


Hierbei ist eben zu prüfen, was tatsächlich Vertragsgrundlage war. Die „Knebelklausel" spricht zunächst dafür, dass hier eine gewisse Verzögerung durchaus von vornherein im Raum stand. Ich stimme Ihnen aber zu, dass man aller Wahrscheinlichkeit nach bei einer kleinen Ausstellung 5 Jahre Verzögerung nicht mehr als erwartbar klassifizieren kann, von den weiteren Änderungen ganz zu schweigen.

Daneben kommt hier tatsächlich die außerordentliche Kündigung des Vertrages in Betracht. Ein zur Kündigung berechtigender wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann.

Nach Ihrer Schilderung spricht auch hier viel dafür, dass Sie eine entsprechende Kündigung erklären können, um sich von dem Vertrag zu lösen, da ein jetzt schon sicheres Zuwarten von weiteren 3 Jahren im Normalfall unzumutbar sein dürfte. Ich weise aber darauf hin, dass das immer eine Einzelfallentscheidung ist, die sich an den konkreten vertraglichen Vereinbarungen und der Situation orientiert. Es mag auch Verträge geben, wo 3-5 Jahre Verzögerung keine ernsthafte Rolle spielen.

Beachten Sie hierbei, dass Sie nach dem Gesetz nur innerhalb einer „angemessenen Frist" kündigen dürfen, nachdem sie vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt haben (§§ 648a Abs. 3, 314 Abs. 3 BGB). Sie sollten sich nach Kenntnis der sicheren Verzögerung um 3 weitere Jahre also nicht allzuviel Zeit für die Entscheidung lassen.

Ich würde empfehlen, sich als erste zu überlegen, was Sie primär möchten: Entweder ein Festhalten am Vertrag gegen Mehrvergütung/Anpassung des Vertrages oder die Kündigung. Im ersten Fall sind natürlich zunächst Verhandlungen mit der Gegenseite angezeigt, wobei eben im Fall des Scheiterns voraussichtlich hilfsweise direkt die Kündigung erklärt werden sollte.

Da es wie dargestellt auf den konkreten Einzelfall ankommt, würde ich tatsächlich empfehlen, sich hier anwaltlich vertreten zu lassen, wobei dann eben der Vertrag und die konkreten Gegebenheiten entsprechend noch einmal geprüft werden.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie am Ende eine vernünftige Lösung mit dem Arbeitgeber erzielen:

Mit freundlichen Grüßen

Arnd-Martin Alpers
Rechtsanwalt


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