bauliche Anagen, die öffentlich zugänglich sind => barrierefrei

26. August 2016 08:53 |
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Baurecht, Architektenrecht


Beantwortet von

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich benötige Informationen bzgl. des § 55 BauO NRW.

Ich habe die Tage beim Bauamt besprochen, dass ich gerne ein Haus bauen möchte, in welchem sich im 1 OG meine Steuerberaterkanzlei befinden soll.

Der Sachbearbeiter wies drauf hin, dass gemäß § 55 BauO NRW die Kanzlei stufenlos erreichbar sein müsse.

Zuhause angekommen, habe ich mir den § 55 BauO NRW durchgelesen. Dort steht "bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind".

Im Internet findet sich eine Erläuterung zu § 55 BauO NRW. Demnach "müssen" gewerbliche Nutzungen nicht als öffentlich zugänglich angesehen werden, die lediglich mit Terminvergabe arbeiten.

Mich suchen in der Woche vielleicht 3 Mandanten auf. Und die kündigen sich vorher an. Ohne Termin kommt man nicht bei mir rein.

Ist meine Kanzlei eine bauliche Anage, die öffentlich zugänglich ist?

Ist es nicht zudem unverhältnismäßig von mir zu verlangen, einen Fahrstuhl einzubauen und zu betreiben für eine recht kleine 100 qm Kanzlei, die noch nie einen Rollstuhlfahrer gesehen hat?
Zumal ich ja eher zu solchen Personen, genau wie zu anderen Unternehmern, rausfahren würde.


Danke!
26. August 2016 | 10:30

Antwort

von


(1189)
Hauptstraße 16 a
25488 Holm
Tel: 04103/9236623
Web: https://www.kanzlei-roth.de
E-Mail: info@kanzlei-roth.de
Sehr geehrter Ratsuchender,

vielen Dank für Ihre äußerst interessante Anfrage, die ich auf der Grundlage der von Ihnen gemachten Angaben wie folgt beantworte:


§ 55 Absatz 1 BauO NRW bestimmt, dass bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind, in den dem allgemeinen Besucherverkehr dienenden Teilen von Menschen mit Behinderung, alten Menschen und Personen mit Kleinkindern barrierefrei erreicht werden müssen und ohne fremde Hilfe zweckentsprechend genutzt werden können.

Das Ministerium für Bauen und Verkehr in NRW erläutert die Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 BauO NRW unter http://www.mbwsv.nrw.de/service/downloads/Bauen/Landesbauordnung_LBO/Erlaeuterungen_zu_55_BauO_NRW.pdf wie folgt:

"... Die Anforderungen des § 55 gelten für bauliche Anlagen, die öffentlich zugänglich sind. Dies bedeutet, dass die baulichen Anlagen bestimmungsgemäß von einem im Vorhinein nicht bestimmbaren Personenkreis aufgesucht werden müssen.
Wohngebäude sind nicht öffentlich zugänglich, selbst wenn sie von Besuchern, Handwerkern, Lieferanten und anderen Dienstleistern gelegentlich aufgesucht werden.
Dies führt dazu, dass auch gewerblich genutzte bauliche Anlagen dann nicht als öffentlich zugänglich angesehen werden müssen, wenn der Zugang zu ihnen jeweils von einer vorangehenden Entscheidung des Eigentümers bzw. Nutzers der baulichen Anlage (Terminvereinbarung) abhängig gemacht werden soll..."

Nach § 55 Absatz 2 Ziffer 4 gilt § 55 Absatz 1 BauO NRW für Büro-, Verwaltungs- und Gerichtsgebäude. Eine Steuerberaterkanzlei ist jedenfalls in die Kategorie "Bürogebäude" einzuordnen.

Wenn Sie dafür sorgen, dass Sie den Zugang zu Ihrer Steuerberaterkanzlei von einer Terminvereinbarung abhängig machen, könnte man die Auffassung vertreten, dass Ihr Büro nicht öffentlich zugänglich ist. Die Zugangsbeschränkung müssten Sie dann auch auf Ihren Geschäftsbriefen sowie Ihrem Internetauftritt ausdrücklich abbilden.

Dieser Auffassung kann ich aber leider nicht das Wort reden.

Nach § 4 Absatz 1 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG NRW) ist Barrierefreiheit die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der gestalteten Lebensbereiche für alle Menschen. Die Auffindbarkeit, der Zugang und die Nutzung müssen für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe möglich sein.

Das Ziel des BGG NRW kann hier nicht unberücksichtigt gelassen werden. § 1 BGG NRW sieht nämlich vor, dass es das Ziel ist, Diskriminierung von Menschen mit Behinderung zu verhindern und zu beseitigen sowie die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft durch die Beseitigung von Barrieren und die Herstellung von Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit zu gewährleisten.

Nach § 7 BGG NRW sind bauliche Anlagen, öffentliche Wege, Plätze, Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel sowie sonstige Anlagen im Sinne von § 4 Absatz 2 BGG NRW nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften barrierefrei zu gestalten.

Das BGG NRW ist damit mit der BauO NRW systematisch verknüpft, so dass die in § 1 BGG NRW formulierte Zielsetzung auch bei der Auslegung der Vorschrift des § 55 BauO NRW Berücksichtigung finden muss.

Ihre Steuerberaterkanzlei ist daher als öffentlich zugänglich anzusehen.

Ich kann leider auch nicht erkennen, dass das Erfordernis der Barrierefreiheit unverhältnismäßig ist, weil es geeignet, erforderlich und angemessen ist, um die Zielsetzung des § 1 BGG NRW zu erreichen.


Ich hoffe, dass ich Ihnen in der Sache weiterhelfen konnte. Fragen Sie bitte gerne nach, wenn aus Ihrer Sicht etwas unklar ist. Es ist aber nicht ungewöhnlich, wenn zu einer bestimmten rechtlichen Frage unterschiedliche juristische Auffassungen vertreten werden.


Mit freundlichen Grüßen
K. Roth
- Rechtsanwalt und zertifizierter Testamentsvollstrecker -




Rechtsanwalt Karlheinz Roth

Rückfrage vom Fragesteller 26. August 2016 | 10:55

Vielen Dank für die Information.

Unverhältnismäßig hinsichtlich der Kosten, die mir entstehen, wenn ich zusätzlich einen Fahrstuhl (oder reicht es, wenn ich das Büro ausschließlich über einen Fahrstuhl erreiche) einbauen lassen und unterhalten (Wartung / Strom) muss.

Das ist ja nur ein Einfamilienhaus (12 X 11,5 m Grundfläche) mit Büro. Und das bekommt dann einen Fahrstuhl um vom Erdgeschoss eine Etage höher zu fahren. Für 3 Mandanten in der Woche..

Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 26. August 2016 | 11:10

Sehr geehrter Ratsuchender,

vielen Dank für Ihre Rückmeldung.

Ich kann Ihr Unverständnis nachvollziehen, habe Ihnen aber - nach meiner Meinung - ausführlich und dezidiert meine Rechtsauffassung mitgeteilt und begründet.

Ich hatte am Ende meiner Ausführungen auch darauf hingewiesen, dass ein anderer Kollege möglicherweise eine andere Rechtsauffassung vertreten könnten.

Wenn Sie sich mit der Auffassung des Bauamtes nicht anfreunden wollen, müssen Sie einen Kollegen vor Ort mit ins Boot nehmen, der Ihre Ansicht stützt.

Ich wünsche Ihnen jedenfalls alles Gute.


Mit freundlichen Grüßen
RA K. Roth

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