Rechtliche Einschätzung zu Einsatz in entfernter Praxis

27. Februar 2025 16:18 |
Preis: 51,00 € |

Arbeitsrecht


Beantwortet von


in unter 2 Stunden
Sehr geehrte Rechtsanwälte,

ich bin seit über drei Jahren in einer kardiologischen Praxis tätig und habe einen unbefristeten Arbeitsvertrag.

In unserer Einrichtung gibt es zwei Praxen, jedoch wurde ich explizit für die Praxis in meiner Stadt eingestellt, was auch vertraglich festgehalten ist. Ich zitiere hierzu:

„Paragraph 1 - Tätigkeit und Arbeitsort. (1) Die Arbeitnehmerin wird unbefristet als medizinische Fachangestellte eingestellt. Als Tätigkeitsort ist derzeit die Praxis (genaue Anschrift der Praxis) definiert.

(2) Der Arbeitgeber ist berechtigt, der Arbeitnehmerin aus betrieblichen Gründen unter Wahrung der Interessen der Arbeitnehmerin eine andere, gleichwertige Tätigkeit oder ein anderes Arbeitsgebiet zu übertragen, soweit dies den Fähigkeiten und Kenntnissen der Arbeitnehmerin entspricht oder auch gleichermaßen die Arbeitnehmerin an einem anderen Ort einzusetzen" .Im letzten Paragraphen heißt es: „Mündliche Nebenabreden bestehen nicht."

Mein Arbeitgeber hat ganz klar gesagt, dass ich verpflichtet sei, auch in die entferntere Praxis zu fahren, wenn Personalengpässe auftreten.

Die andere Praxis befindet sich 15 km entfernt, und die Anfahrt dauert etwa eine halbe Stunde. Die vertraglich festgelegte Praxis liegt hingegen nur 1 km bzw. 3 Minuten von meinem Wohnort entfernt. Ein wesentlicher Grund, warum ich nicht regelmäßig in die weiter entfernte Praxis wechseln möchte, ist, dass ich zwei kleine Kinder in der Grundschule habe. Es ist mir wichtig, in der Nähe meiner Kinder zu sein, da ich häufig spontan in die Schule fahren muss. Daher ist die Nähe zu meinem Wohnort für mich von großer Bedeutung, zumal ich bei einem Einsatz in der anderen Praxis eine halbe Stunde und nachmittags sogar bis zu 40 Minuten für die Rückfahrt benötige.

Ich möchte daher wissen, wie die rechtliche Situation in diesem Fall aussieht, insbesondere in Bezug auf den Punkt „unter Wahrung der Interessen der Arbeitnehmerin". Hier scheinen meine Interessen nicht ausreichend berücksichtigt zu werden.

Vielen Dank im Voraus für Ihre Unterstützung.
27. Februar 2025 | 17:22

Antwort

von


(2767)
Brandsweg 20
26131 Oldenburg
Tel: 0441-7779786
Web: https://www.jan-wilking.de
E-Mail: info@jan-wilking.de
Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:

Der Arbeitsvertrag enthält neben dem angegebenen Arbeitsort auch eine Versetzungsklausel, sodass der Einsatz in der anderen Praxis grundsätzlich vom Direktionsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO) gedeckt ist.

Bei einer Versetzung muss der Arbeitgeber aber grundsätzlich alle Umstände und wechselseitigen Interessen nach billigem Ermessen berücksichtigen. Auch ein in einem Arbeitsvertrag vorbehaltenes Versetzungsrecht gilt nicht pauschal und deutschlandweit, sondern es sind immer auch die Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dazu zählen auch die sozialen Lebensverhältnisse des Arbeitnehmers.

Der Arbeitgeber muss bei der örtlichen Versetzung daher auch die familiären Verhältnisse und die Grundrechte des Arbeitnehmers nach Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG beachten (LAG Köln, 28.02.2020 - 4 Sa 326/19). Deshalb kann vom Arbeitgeber im Einzelfall auch eine Prüfung anderer Möglichkeiten, beispielsweise den Einsatz weniger schutzwürdiger Kollegen an dem anderen Standort, verlangt werden.

Die von den Gerichten entschiedenen Fälle betreffen aber meist deutlich größere Entfernungen und entsprechend längere Fahrzeiten. Auch wenn für Sie 15 km und eine halbe Stunde Fahrtzeit verständlicherweise aufgrund der Familiensituation belastend sind, wird man hier keine extrem hohen Anforderungen an die Abwägung des Arbeitgebers stellen können.
Wenn es für den Arbeitgeber aber andere Alternativen gibt z.B. gleich qualifizierte Arbeitnehmer ohne kleinere Kinder oder sonstige familiäre Verpflichtungen oder mit einem Wohnsitz dichter an der anderen Praxis, dann wäre er unter Berücksichtigung Ihrer berechtigten Interessen verpflichtet, vorrangig diese Arbeitnehmer in der von Ihnen weiter entfernten Praxis einzusetzen. Sie könnten die Versetzung dann, zumindest wenn sie dauerhaft und nicht nur kurzzeitig wegen personeller Ausfälle erfolgt, erfolgreich angreifen.

Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Mit freundlichen Grüßen


Rechtsanwalt Jan Wilking

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