Kurzarbeitergeld Nachträgliche Prüfung

16. Februar 2023 12:49 |
Preis: 70,00 € |

Arbeitsrecht


Beantwortet von

Rechtsanwalt Helge Müller-Roden

Hi.
Bei mir geht es um folgenden Fall: Wir haben ein Unternehmen im Lebensmittelgroßhandel, und haben von 2020 bis Februar 2022 Kurzarbeitergeld bezogen. Nun steht die nachträgliche Antragsprüfung an.
Es geht um die Prüfung eines Angestellten, der Getränke für uns ausgeliefert hat.
Auf Grund saisonaler Schwankungen im Umsatz ist es bei uns so, dass im Sommer für ihn ein Arbeitspensum von ca. 30 Stunden vorliegt, im Winter ca. 5-10 Stunden pro Woche. Vertraglich ist deshalb ein Stundenkonto vereinbart, und ein Lohn über 20 Stunden, den wir über das ganze Jahr stetig auszahlen. Das Stundenkonto ist damit im Jahresmittel ausgeglichen.
Allerdings war es zu Beginn von Corona so, dass es zeitweise einfach gar keine Aufträge gab (Kunden in der Gastronomie und Verantstaltungen bilden den Hauptteil unserer Umsätze), und wir haben für ihn deshalb Kurzarbeit 0 beantragt, und die wenigen verbleibenden Aufträge ohne seine Hilfe ausgeführt.
Im Sommer 2020, war es dann allerdings so, dass wir doch einige Aufträge reinbekamen, und Stunden von unserem Lieferfahrer in Höhe von ca. 5-10 Stunden pro Woche angefallen sind.
Allerdings haben wir das zu diesem Zeitpunkt nicht dem Jobcenter kommuniziert.
Im Winter ist die Auftragslage auf Grund der 2. Coronawelle dann wieder stagniert, es wurden 0 Stunden gearbeitet.
Sommer 2021 hat sich der Fall aus 2020 wiederholt, und es wurde wieder im geringen Maß gearbeitet.
Ich möchte nun argumentieren- und deswegen stelle ich hier die Frage inwiefern das rechtens ist - dass zwar im Sommer gearbeitet wurde, das allerdings keine Überstunden waren (was meines Wissens nach Subventionsbetrug wäre), sondern der Ausgleich der saisonalen Minusstunden, die sich im Winter über ansammeln. Das schließt dann mit ein, dass im Winter 2021 trotz des Kurzarbeitergelds 0 Minusstunden angesammelt wurden, einfach durch die saisonale Natur unseres Betriebs.
Mir ist bewusst, dass das dünnes Eis ist, und dass eine zeitnahe Kommunikation mit dem Jobcenter wohl besser gewesen wäre. Jetzt sind wir allerdings in der Situation, dass die Prüfung ansteht, und ich möchte deshalb um Rat bitten, wie ich das vor dem Jobcenter argumentieren kann. Gibt es da noch andere Möglichkeiten? Unsere Mitarbeiter arbeiten oft auch freiwillig, da wir ein Kollektiv sind (wo jeder Verantwortung trägt, und jeder einfach für die Sache gern hilft - wir wollen ein Modell für sozial korrektes Wirtschaften sein). In den vergangenen Jahren (und auch jetzt wieder) war es oft so, dass wir freiwillig Überstunden gemacht haben, um dem Kollektiv zu dienen. Allerdings sehe ich das für schwierig, zu argumentieren, dass die 5-10 Stunden in den Sommern 2020 und 2021 freiwillige Arbeit waren - wenn ja nebenher Lohn gezahlt wurde. Man hätte die 5-10 Stunden ja auch entlohnen können.
Ich frage mich an dieser Stelle, was ich für Möglichkeiten habe? Haben wir Betrug begangen?
Meine jetzige Intuition ist Nein, dem Mitarbeiter standen vertraglich das ganze Jahr über 20 Stunden Lohn zur Verfügung, diese wurden durch das Amt gedeckt. Davon getrennt zu betrachten ist der Sachverhalt, dass es bei uns "Sitte" ist, dass im Winter Minusstunden aufgebaut werden, die im Sommer abgearbeitet werden. Hätten wir die im Sommer angefallenen Stunden vom KUG abgezogen, wäre uns nochmal eine Mehrbelastung entstanden. Hätten wir uns auf Grund dieser Mehrbelastung entschlossen, unseren Mitarbeiter zu kündigen? Ich glaube, wenn ich darüber jetzt reflektiere, Nein. Die Alternative wäre für uns gewesen, unseren Arbeiter im Sommer 2020 auf 5 Stunden runterzustufen, ihn im Winter zu entlassen/0 Stunden auszuzahlen, und für den Sommer 2021 wieder die Stelle für 5 Stunden anzubieten. Finanziell wäre für uns also das selbe herausgekommen, wie mit Kurzarbeitergeld abzüglich der Überstunden. Wir hätten also keinen Anreiz gehabt, den Mitarbeiter zu entlassen. Und dafür ist das KUG ja da: nicht um unsere finanziellen Verluste aus der Corona-Zeit abzupuffern, sondern um dafür zu sorgen, dass niemand entlassen werden muss.
Also nach dieser Überlegung wäre es sinnvoll anzunehmen, dass wir Betrug begangen haben. Wie gehen wir vor? Ein Vorschlag wäre, den Sachverhalt so dem Prüfer zu schildern, und um Kulanz zu bitten, und die Überstunden zurückzuzahlen, und zu beten, dass das keine ausführliche Prüfung nach sich zieht (das wäre eine ziemliche Mehrbelastung für uns, nicht dass wir was zu verbergen hätten), und zu beten, dass das entstehende Ermittlungsverfahren direkt eingestellt wird. Hier brauche ich Hilfe von einem Anwalt.
Wie gehe ich vor?

Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:

Das Kurzarbeitergeld ist keine Vergütung des Arbeitgebers für Beschäftigte.

Es beinhaltet eine Leistung der Arbeitslosenversicherung, für die Arbeitgeber und Beschäftigte Zwangsbeiträge entrichten.

Daher entsteht ein Anspruch auf die Leistungen, aber nur, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, der Arbeitgeber entsprechende Anträge gestellt hat und ein Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit gegenüber dem Arbeitgeber ergangen ist.

Soweit das KuG bewilligt wurde, wird es aus dem Sollentgelt berechnet, das bis maximal zur Höhe der jeweils aktuellen BBM Beitragsbemessungsgrenze herangezogen wird, die im Jahr 2020 bei 6.900 € West und 6.450 € Ost festgelegt wurde.

Der allgemeine Leistungssatz als KuG-Grundlage beträgt 60% also 4.140 € / 3.870 € bzw. bei mind. 0,5 Kinderfreibetrag
& erhöhtem Leistungssatz 67%, d.h. 4.623 € / 4.321,50 €.

Für den Zeitraum, in dem Arbeit ausgefallen ist, wird von der Agentur für Arbeit individuell die Nettoentgeltdifferenz berechnet.

Das ist die Differenz zwischen dem vertraglich geregelten Entgelt bei 100 % d.h. normaler Arbeitsleistung und dem tatsächlichen gezahlten Entgelt aufgrund der %ual reduzierten Arbeitsleistung
(die auch bei 0 liegen kann)

Das zu erwartende Einkommen wird nach der Kurzarbeitergeld Tabelle der Bundesagentur für Arbeit noch einmal pauschaliert.

Daher sind die Abrechnungen des Arbeitgebers maßgeblich für die Auszahlung des KuG.

Beschäftigte müssen bei Bezug von KuG verfügbar bleiben, sollte die Kurzarbeit beendet werden.

Das Kurzarbeitergeld soll einen Verdienstausfall zumindest teilweise wieder ausgleichen, der aufgrund der unverschuldet schlechten wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers eintritt.

Das arbeitsmarktpolitische Ziel ist die Vermeidung vorschneller betriebsbedingter Kündigungen durch den Arbeitgeber und die Vermeidung von Arbeitslosigkeit bzw. der Erhalt qualifizierter Beschäftigter für den Betrieb.

Sofern Sie die Erreichung dieser arbeitsmarktpolitische Ziele durch unvollständige oder sogar bewusst fehlende Angaben selbst vereiteln, beseitigen Sie den KUG-Anspruch.

Sie sind dann ungerechtfertigt bereichert und müssen mit einer Rückforderung per Erstattungsbescheid rechnen.

Dazu kommt aber eine Strafanzeige vom Zoll wegen Betrug, da Sie sich in dem Merkblatt verpflichtet haben, alle Änderungen anzuzeigen:

Merkblatt: https://www.arbeitsagentur.de/datei/Merkblatt-8b-Kurzarbeitergeld_ba015388.pdf

Daraus kann neben der Rückzahlung eine nicht unerhebliche Geldstrafe werden.

In Ihrem Fall wäre entscheidend, ob und in welcher Höhe Sie die Vergütung der Beschäftigten abgerechnet haben. Denn diese liegen ja unveränderbar vor.

Im Gegensatz zum Steuerrecht gibt es beim Betrug keine strafbefreiende Selbstanzeige. Trotz einer Selbstanzeige kann man bestraft werden.

Die Selbstanzeige wird aber in der Regel strafmildernd berücksichtigt werden.

Sie sollten daher die Arbeitszeit des oder der Betroffenen jetzt korrekt auflisten und vorlegen.


Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Mit freundlichen Grüßen

Rückfrage vom Fragesteller 17. Februar 2023 | 00:36

Guten Abend Herr Müller-Roden,
ich habe zwei Rückfragen.
Und zwar schreiben Sie "In Ihrem Fall wäre entscheidend, ob und in welcher Höhe Sie die Vergütung der Beschäftigten abgerechnet haben. Denn diese liegen ja unveränderbar vor."
Da blicke ich noch nicht dahinter.
Meines Wissens nach gibt es:
- Die Lohnauswertung
- Das Stundenkonto
was hier relevant ist. Sie schreiben, dass etwas evtl. etwas abgerechnet wurde. Wo? Bitte geben Sie diesem Punkt mehr Aufmerksamkeit. Sie schreiben selbst, dass das in meinem Fall entscheidend wäre, doch bis jetzt ist mir überhaupt noch nicht klar, was Sie meinen, weil sie es in einem einzelnen Satz ausgedrückt haben.
Außerdem: Worauf bezieht sich im 2. Satz das "diese". Diese Vergütungen?

Meine 2. Rückfrage:
Sie schreiben "Sofern Sie die Erreichung dieser arbeitsmarktpolitische Ziele durch unvollständige oder sogar bewusst fehlende Angaben selbst vereiteln, beseitigen Sie den KUG-Anspruch."
Was bedeutet vereiteln? Inwiefern verhindern wir die arbeitsmarktpolitischen Ziele in unserem konkreten Fall?
Und bedeutet das, dass wir den gesamten KUG-Anspruch "beseitigen"? Also alles zurückzahlen, nur weil wenige Überstunden geleistet wurden? Wie bitte?

Danke erstmal für die ausführliche Antwort.

Viele Grüße.

Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 17. Februar 2023 | 07:08

Guten Morgen
1.) Wenn Sie zur Abrechnung lediglich die
- Die Lohnauswertung
- Das Stundenkonto
haben, irritiert mich das.

Sie müssen doch § 2 Abs. I Nr. 4 EStG und und § 2 LStDV beachten und die Einnahmen des Arbeitnehmers in Form des Arbeitslohns dokumentieren und auch eine Lohnsteuerbescheinigung erstellen.

Die Pflicht zur Gehaltsabrechnung ergibt sich als Nebenpflicht des Arbeitgebers aus § 241 Abs. II i.V.m. § 611a BGB, §§ 65f. HGB und § 108 GewO.

Die Lohnsteuer wird gem. §§ 8 und vor allem aus 19 EStG (Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit) definiert. Die §§ 38-42g EStG regeln den Lohnsteuerabzug.

2.) Wenn das KuG durch falsche Angaben und Prognosen beantragt und Dich unvollständige Mitteilungen aufrechterhalten wurde, wird der Bescheid überprüft werden.

Das kann bedeuten, dass dadurch der gesamte KuG-Anspruch "entfällt".
Dann wäre alles zurückzuzahlen.

In Ihrem Fall wird aber nicht der gesamte KuG-Anspruch tangiert sein.

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