Anhörungsrüge - Gericht geht auf Beweisfotos nicht angemessen ein

| 28. September 2011 20:32 |
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Anwaltsrecht, Gebührenrecht, Verfahrensrecht


Beantwortet von


20:03

Frage 1:
Hat eine Anhörungsrüge des Beklagten nach § 321a ZPO gegen ein (wegen des Streitwertes unter 600 EUR) nicht berufungsfähigen Urteil reelle Aussicht auf Erfolg, wenn
* der Richter in seiner Urteilsbegründung weder auf qualifizierten Parteivortrag noch auf den Inhalt eines qualifizierten Parteigutachtens eingeht, sondern lediglich ausführt, dass dem Parteigutachten als Parteivortrag keine eigenständiger Beweiswert zustehe,
* auch der vom Gericht bestellte Sachverständige mit keinem Wort auf den Inhalt des Parteigutachtens eingeht und
* das Gericht die Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen ablehnt?
(Es geht dabei um die Frage, was auf Beweisfotos tatsächlich zu erkennen ist.)

Frage 2:
Wird zur Bestimmung der 14tägigen Einreichungsfrist nach Kenntnis des Urteils der Eingang beim RA des Beklagten oder beim Beklagten selbst zugrunde gelegt?

Der Fall:

Ein Landwirt legt fristgerecht Einspruch gegen die Rechnung eines Notschlachtungsunternehmens ein, da dieses von dem Schlachtkörper eines Rindes, den der Landwirt selbst verwerten wollte, bereits die wertvollsten Teile, u.a. Filet und Roastbeef abgetrennt und einbehalten hatte.
Auf die Bitte um eine Rechnung, welche aufschlüsselt, wie die entfernten Teile berücksichtigt wurden, geht das Unternehmen nicht ein, sondern schickt eine Mahnung und erhebt anschließend Klage.

Der beklagte Landwirt legt im Laufe des Verfahrens Fotos vor und erläutert detailliert, wo zu sehen ist, dass Teile entfernt wurden. Da der Schlachtkörper sehr "unkonventionell" zerteilt und aufgehängt wurde, erfordert die Interpretation des Fotos anatomisches Wissen und Abstraktionsvermögen.
Es ist unstreitig, dass diese Fotos den streitgegenständlichen Schlachtkörper im Betrieb der Klägerin zeigen und dass alle Haken abgebildet sind, an denen der Schlachtkörper aufgehängt wurde.
Das Schlachtunternehmen bestreitet pauschal - ohne Erläuterung, dass auf den Fotos zu sehen sei, dass irgendwelche Teilstücke von dem Schlachtkörper abgetrennt worden seien.
Einer Gegenüberstellung zur Interpretation der Fotos entzieht sich der Geschäftsführer des Unternehmens. Das Gericht hebt auf seinen Antrag hin die Anordnung auf sein persönliches Erscheinen zum mündlichen Verhandlungstermin auf.
Ein Sachverständiger wird vom Gericht beauftragt zu den Fotos Stellung zu nehmen – ein Fleischermeister. Er vermeidet jede konkrete, kontrollierbare Stellungnahme zu den Fotos, sondern tut pauschal seine Meinung kund – wobei er einerseits mehrfach nicht vorgegebene Tatbestände zugrunde legt, um die Entfernung von wertvollen Teilstücken im Betrieb der Klägerin zu entschuldigen, gleichzeitig aber zu dem Schluss kommt, dass nichts entfernt worden sei.

Der Landwirt zeigt die schwerwiegenden Mängel in dem Sachverständigengutachten auf und reicht überdies das Parteigutachten eines hochqualifizierten Rindfleischexperten ein, der – wiederum sehr konkret anhand der Fotos belegt – zu dem Schluss kommt, dass die Fotos eindeutig zeigen, dass unter anderem wesentliche Teile beider Roastbeefs und Filets entfernt wurden.

Der Landwirt beantragt fristgerecht die mündliche Anhörung des Gerichtssachverständigen – u.a. zu den Fragen, wo er konkret auf die Fotos die fehlenden Teile zu sehen meint –
allerdings mit der Einschränkung "für den Fall, dass das Gericht es nicht als ausreichend belegt ansieht, dass wesentliche Teile des Schlachtkörpers im Betrieb der Klägerin entfernt worden sind".

Der Gerichts SV geht überhaupt nicht auf das substantiiert vorgetragene Parteigutachten ein, sondern stellt in 1 Satz pauschal fest, er könne auf den Fotos nicht erkennen, dass etwas entfernt wurde.

Der Antrag auf Ablehnung des SV wegen Befangenheit lehnt das Gericht aus Fristgründen ab. (Die Gründe waren zwar angeführt worden, es war jedoch vor der ergänzenden Stellungnahme des SV kein Antrag auf Ablehnung gestellt worden. Die Mängel des Gutachtens waren ja – eigentlich - offensichtlich.)

Auch den Antrag auf Hinzuziehung eines weiteren SV lehnt das Gericht ab.

In seinem Urteil folgt das Gericht in vollem Umfang dem Parteivortrag des Klägers, geht in der Begründung weder auf qualifizierten Parteivortrag noch auf den Inhalt des Parteigutachtens ein, sondern führt lediglich aus, dass dem Parteigutachten als Parteivortrag keine eigenständiger Beweiswert zustehe,


28. September 2011 | 21:57

Antwort

von


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Sehr geehrte Ratsuchende, 

Ihre Fragen beantworte ich Ihnen unter Berücksichtigung Ihrer Schilderung und des gewählten Einsatzes im Rahmen einer Erstberatung gerne wie folgt. 


Die Anhörungsrüge ist statthaft, soweit kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht.


In dem von Ihnen geschilderten Fall kommt hier lediglich die Berufung in Betracht. Da Sie angeben, dass die Beschwer aus der Verurteilung unter 600,00 € liegt, ist eine Berufung nur möglich, soweit sie ausnahmsweise in dem erstinstanzlichen Urteil zugelassen worden ist. Hiervon gehe ich anhand Ihrer Angaben nicht aus.

Zu rügen ist eine Verletzung rechtlichen Gehörs, die sich auf die Entscheidung ausgewirkt hat.

Rechtliches Gehör kann dadurch verletzt werden, das gar nicht die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt aber auch dann vor, wenn das Vorbringen und die Argumente einer Partei des Rechtsstreits, also einer Seite, nicht berücksichtigt werden, eine Auseinandersetzung mit ihnen nicht stattfindet. Andernfalls wäre der Anspruch inhaltsleer und wertlos. 

Nach Ihrer Darstellung kann eine Verletzung rechtlichen Gehörs und damit auch eine Anhörungsrüge begründet werden. Eine nähere Einschätzung, insbesondere auch zu den Erfolgsaussichten, sofern eine solche überhaupt seriös möglich ist, kann natürlich nur dann und erst erfolgen, wenn der gesamte Akteninhalt bekannt ist.


In diesem Zusammenhang möchte ich Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Entscheidung über die Anhörungsrüge von dem selben Richter getroffen wird, der bereits das Urteil verfasst hat. Da die Anhörungsrüge kein echtes Rechtsmittel ist, entscheidet nicht etwa ein anderes Gericht.

Sollte die Anhörungsrüge nicht zu dem gewünschten Erfolg führen, bleibt eine Verfassungsbeschwerde. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist grundgesetzlich verankert und geschützt. Vor einer solchen wiederum ist die Anhörungsrüge zwingend vorgeschrieben, da nur durch sie der Rechtsweg vollständig erschöpft wird. Dies ist Voraussetzung für die Erhebung einer zulässigen Verfassungsbeschwerde.


Wenn im Zeitpunkt der Urteilszustellung ein wirksames Mandatsverhältnis und eine wirksame Prozessbevollmächtigung vorliegen, wird für die zweiwöchige Frist zur Erhebung der Anhörungsrüge auf die Zustellung beim bevollmächtigten Anwalt abzustellen sein. Dies ist dann der Zeitpunkt, in dem er das Empfangsbekenntnis abgegeben hat. Jedenfalls ist man so auf der sicheren Seite. Eine Fristberechnung nach diesen Grundsätzen ist daher zu empfehlen.


Ich hoffe, Ihnen weitergeholfen zu haben. Eine Tätigkeit in dem konkreten Einzelfall kann und will dieser Beitrag nicht ersetzen. Er dient dazu, einen ersten rechtlichen Überblick zu erhalten. Hierbei sind insbesondere die Eingeschränktheit der Information und der Zeit, sowie die Höhe des Honorars zu berücksichtigen. Für weitere Unterstützung stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Für den Fall, dass eine Unklarheit im Hinblick auf Ihre ursprünglichen Fragen besteht, darf ich sie freundlich auf die kostenlose Nachfragemöglichkeit hinweisen.


Rechtsanwalt Christoph M. Huppertz

Rückfrage vom Fragesteller 29. September 2011 | 15:16

Nachfrage :

Vielen Dank für sehr schnelle und umfassende Antwort.

Der wichtige Satz aus Ihrer Antwort ist für mich:

"Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt aber auch dann vor, wenn das Vorbringen und die Argumente einer Partei des Rechtsstreits, also einer Seite, nicht berücksichtigt werden, eine Auseinandersetzung mit ihnen nicht stattfindet."

Woraus leitet sich das ab – aus eine Rechtsvorschrift, einem Urteil … , falls ja welcher(m)?


Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 29. September 2011 | 20:03

Sehr geehrte Ratsuchende,

gerne beantworte ich Ihnen Ihre Nachfrage wie folgt.


Wie bereits ausgeführt, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht nur einfachgesetzlich geregelt, nämlich in dem von Ihnen geschilderten Fall in § 321a ZPO , sondern auch im Grundgesetz verankert, Art. 103 Abs. 1 GG .

Wenn der Vortrag einer Partei im Prozess übergangen wird, verletzt dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deren Anspruch auf rechtliches Gehör (BVerfGE 22, 274).


Mit freundlichem Gruß


-Huppertz-
Rechtsanwalt

Bewertung des Fragestellers 29. September 2011 | 23:12

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