Sehr geehrte(r) Ratsuchende(r),
gerne nehme ich zu Ihrer Anfrage unter Berücksichtigung Ihrer Angaben und Ihres Einsatzes wie folgt Stellung:
„- muss der Verkäufer vom Empfänger über seinen Irrtum informiert werden?"
Ja, das muss er, da Sie seinen Irrtum erkannt haben. Die herrschende Meinung bejaht in diesem Fall eine Benachrichtigungs- und Aufbewahrungspflicht aus Treu und Glauben (§ 242 BGB
). Eine Rücksendepflicht gibt es allerdings nicht, d. h., der Verkäufer müsste den Artikel selbst abholen (lassen).
„- welche Ansprüche hat der Verkäufer wenn er später seinen Irrtum entdeckt?"
Der Empfänger wurde durch die Sendung ungerechtfertigt bereichert. Der Verkäufer hat entsprechend einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB
auf Rückgabe des Artikels. Ist der Empfänger hierzu außerstande, muss er Wertersatz leisten (§ 818 Abs. 2 BGB
).
Die Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB
) sind gesetzliche Ansprüche. § 241a Abs. 2 BGB
stellt ausdrücklich klar, dass diese nicht ausgeschlossen sind, wenn die Lieferung „in der irrigen Vorstellung einer Bestellung erfolgte und der Empfänger dies erkannt hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können".
„- verjähren Ansprüche des Verkäufers? (Wann)"
Der Herausgabeanspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährung von 3 Jahren (§§ 195
, 199 BGB
). Die Verjährung würde in diesem Fall mit Ablauf des 31.12.2014 eintreten.
„- was ist, wenn die Ware zwischenzeitlich benutzt oder weiterverkauft wurde?"
In diesem Fall müssten Sie Wertersatz leisten, § 818 Abs. 2 BGB
.
„- gibt es strafrechtliche/zivilrechtliche Aspekte zu beachten, wenn der Verkäufer nicht informiert wird und die Ware benutzt oder weiterverkauft wird?"
Die zivilrechtlichen Aspekte wurden erschöpfend beleuchtet. In strafrechtlicher Hinsicht hätten Sie grundsätzlich nichts zu befürchten. Eine Unterschlagung (§ 246 StGB
) kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil Sie mit der Lieferung Eigentümer der Sache geworden sind. Etwas anderes würde nur gelten, wenn sich der Absender das Eigentum daran vorbehalten hätte. Hierzu müsste der beiliegende Lieferschein geprüft werden, ob er einen entsprechenden Hinweis enthält.
Ich hoffe, Ihnen hiermit einen ersten Überblick über die Rechtslage verschafft zu haben, und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Felix M. Safadi
Rechtsanwalt
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Allgemeine Hinweise:
Bitte erlauben Sie mir noch den obligatorischen Hinweis, dass es sich bei dieser Antwort lediglich um eine erste rechtliche Einschätzung des allein auf Ihren Angaben basierenden Sachverhalts handelt. Eine solche ERSTberatung kann und will eine umfassende Begutachtung und den Gang zum Anwalt nicht ersetzen. Durch Hinzufügen oder Weglassen weiterer Angaben kann die rechtliche Beurteilung völlig anders ausfallen.
Hallo,
inwiefern ändert sich Ihre Einschätzung, wenn das Begleitpapier der Lieferung einen Hinweis auf "Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Zahlung" enthält?
Falls es gestattet ist, an dieser Stelle Bezug auf eine ähnliche Beratung zu nehmen, würde ich gerne noch die Informationspflicht(§242BGB)hinterfragen.
http://www.frag-einen-anwalt.de/forum_topic.asp?topic_id=122093
Darin heißt es: "Es gibt keine gesetzliche Pflicht den Lieferanten zu informieren, da diese Doppellieferung in seinem Verantwortungsbereich liegt..."
Worin liegt der Unterschied der Rechtslage zu dem von mir geschilderten Fall?
Vielen Dank.
Der Sachverhalt ist in etwa der gleiche (irrtumsbedingte Doppellieferung) nur irrt der Kollege insoweit, als er eine Benachrichtigungspflicht für den Empfänger verneint. Diese habe ich mir nicht aus den Fingern gesogen, sondern sie entspricht der herrschenden Meinung (vgl. Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2007, § 241a, Rn. 22 f.; Bamberger/Roth, BGB, § 241a, Rn. 11).
Die Tatsache, dass sich der Verkäufer das Eigentum an der Ware bis zur vollständigen Bezahlung vorbehalten hat, führt dazu, dass er noch Eigentümer ist. Zivilrechtlich bedeutet das, dass ihm der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB
zusteht. Die Voraussetzungen der Vorschrift sind erfüllt: Der Absender ist Eigentümer, Sie sind Besitzer (= Sie haben über die Sache die tatsächliche Verfügungsmacht), ohne ein Recht zum Besitz zu haben. Da Sie zudem sog. bösgläubiger Besitzer sind (Sie wissen um den Irrtum des Verkäufers), haften Sie gemäß § 990 Abs. 1 BGB
von der Zeit des Besitzerwerbs an nach § 989 BGB
, d. h., Sie sind „für den Schaden verantwortlich, der dadurch entsteht, dass infolge [Ihres] Verschuldens die Sache verschlechtert wird, untergeht oder aus einem anderen Grunde von [Ihnen] nicht herausgegeben werden kann". Die Verjährung der Ansprüche aus §§ 985 ff. BGB
ist die gleiche wie bei §§ 812 ff. BGB
.
Strafrechtlich hat der Eigentumsvorbehalt Folgendes zur Folge: Durch das Besitzen ohne Recht zum Besitz machen Sie sich nicht strafbar. Auch dass Sie den Verkäufer nicht benachrichtigen, ist nicht strafbar. Es kommt allerdings eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung (§ 246 StGB
) in Betracht, wenn Sie sich die Sache zueignen. Zueignung ist die Anmaßung einer eigentümerähnlichen Position. Dazu müssten Sie mit der Sache nach außen hin erkennbar so verfahren, wie es nur dem Eigentümer zusteht. Dafür kommen Handlungen wie das Ableugnen des Besitzes oder der Weiterverkauf in Betracht.
Ich möchte keine Empfehlung aussprechen; Sie müssen selbst entscheiden, ob Sie den Verkäufer benachrichtigen oder nicht. Aus meiner Sicht ist es eher unwahrscheinlich, dass er seinen Irrtum bei diesem Warenwerts nicht bemerkt. Bei der nächsten Inventur könnte das schon der Fall sein. 3,5 Jahre sind ein langer Zeitraum.
Ich hoffe, Ihre Nachfrage damit zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet zu haben, und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
RA Safadi