Einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld: Anrechenbarkeit von deutschem Einkommen?

| 29. Februar 2012 21:12 |
Preis: 50€ Historischer Preis
Hier finden Sie einen
Aktuellen Kostenvorschlag
|

Internationales Recht


Sehr geehrte Damen und Herren!

Vor Geburt unseres Kindes im Oktober 2011 waren meine Frau und ich in Deutschland wohnhaft und erwerbstätig (alle drei haben die deutsche Staatsbürgerschaft). Nach dem Mutterschutz bin ich ab Dezember 2011 für ein Jahr in Elternzeit gegangen (Anstellung in Deutschland besteht fort) und beziehe seitdem deutsches Elterngeld (65% des Voreinkommens). Anfang Januar 2012 sind wir dann aus beruflichen Gründen (neue Anstellung meiner Frau) nach Österreich umgezogen (einziger Wohnsitz).

Als ich dann in Österreich einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld als Ersatz für das deutsche Elterngeld beantragen wollte, wurde mir mitgeteilt, dass ich keinen Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld hätte, da die Anspruchsvoraussetzung einer 6-monatigen in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes nicht erfüllt wäre. Stattdessen bestünde für mich lediglich die Option des Bezuges von pauschalem Kinderbetreuungsgeld (Tagessatz von €33,00 statt 80% des Voreinkommens bei der einkommensabhängigen Variante).

In Abschnitt 5, §24, Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) wird zwar tatsächlich die Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit in den 6 Kalendermonaten vor der Geburt als Voraussetzung für den Bezug des einkommensabhängigen KBG benannt.
In Abschnitt 5a, §25, Abs. 3, wird dann jedoch auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 verwiesen, in der in Artikel 5 relevante Leistungen, Einkünfte, Sachverhalte oder Ereignisse zwischen den Mitgliedsstaaten gleichgestellt werden.

Daher nun meine Frage(n):

Wäre demzufolge nicht eine in Deutschland in den 6 Monaten vor der Geburt ausgeübte sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit der geforderten in Österreich ausgeübten Tätigkeit gleichzustellen? (Im umgekehrten Falle würde das deutsche Elterngeld meines Wissens ja auch auf der Basis eines österreichischen Voreinkommens berechnet.)

Oder besteht, falls ich tatsächlich keinen Anspruch auf einkommensabhängiges, sondern nur auf pauschales Kinderbetreuungsgeld in Österreich habe, wenigstens ein Anspruch auf Ausgleichszahlungen (Differenz zwischen deutschem Elterngeld und österreichischem Kinderbetreuungsgeld) gegenüber dem deutschen Staat?

Besten Dank und Grüße

neu_in_austria
Sehr geehrte(r) Ratsuchende(r),

dieses Forum dient dazu, Ihnen eine erste rechtliche Orientierung zu verschaffen. Für einen eingehenden Rechtsrat ist ein Gespräch mit einem Rechtsanwalt unerlässlich. Ihre Anfrage beantworte ich unter Berücksichtigung des geschilderten Sachverhaltes sowie des Einsatzes wie folgt:

In Ihrem Fall ist tatsächlich die Verordnung EG Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit anwendbar. Danach haben nach dem Prinzip der Gleichbehandlung die EU-Staatsangehörigen die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats. Danach ist der Grundsatz der Zusammenrechnung von in verschiedenen EU-Staaten zurückgelegten Zeiten zu berücksichtigen. Die Verordnung stellt dies explizit in Ziffer 14 klar. Allerdings knüpft die Verordnung grundsätzlich daran an, dass die Regeln des Beschäftigungslandes Geltung haben sollen. In Ziffer 17 heisst es:
" Um die Gleichbehandlung aller im Hoheitsgebiet eines Mitglied­staats erwerbstätigen Personen am besten zu gewährleisten, ist es zweckmäßig, als allgemeine Regel die Anwendung der Rechts­vorschriften des Mitgliedstaats vorzusehen, in dem die betref­fende Person eine Beschäftigung oder eine selbstständige Er­werbstätigkeit ausübt."

In Ihrem Fall dürfte dies die BRD sein. Sie müssten dann deutsches Kinderbetreuungsgeld erhalten, Ausgleichszahlungen eventuell von österreischischer Seite.

Bei EU-Bürgern/Bürgerinnen wird in grenzüberschreitenden Fällen geprüft, unter welche Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit Mütter und Väter fallen (das ist in der Regel jener Staat, in dem man beschäftigt und versichert ist). Ist diese Prüfung erfolgt?
Damit will der Gesetzgeber ungerechtfertigte Doppelleistungen vermeiden.

bei Bedarf nutzen Sie bitte die kostenlose Nachfragefunktion.
Rückfrage vom Fragesteller 1. März 2012 | 20:05

Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Kilinc,

haben Sie vielen Dank für die Beantwortung meiner Anfrage.

Da die GRUNDSÄTZLICHE Österreichische Zuständigkeit für das Kinderbetreuungsgeld jedoch nicht in Zweifel steht, sondern sich meine Anfrage speziell auf den Anspruch auf EINKOMMENSABHÄNGIGES Kinderbetreuungsgeld bezog (s. Überschrift), geht Ihre Antwort allerdings deutlich an meiner eigentlichen Frage vorbei. Daher möchte ich zur Sicherheit noch einmal nachfragen, ob ich Ihre Antwort im Hinblick auf den für mich zentralen Sachverhalt (vor allem Punkt 1: Anrechenbarkeit von deutschem Einkommen) richtig verstanden habe:

1) Da das Österreichische Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) die Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit in den 6 Kalendermonaten vor der Geburt als Voraussetzung für den Bezug des EINKOMMENSABHÄNGIGEN Kinderbetreuungsgeldes benennt, ich jedoch vor der Geburt nicht in Österreich sondern in Deutschland sozialversicherungspflichtig erwerbstätig war, bin ich diesbezüglich nicht bezugsberechtigt. Hierauf hat auch die Verordnung EG Nr. 883/2004 (oder anderes EU-Recht) keinen Einfluss, d.h. meine Erwerbstätigkeit in Deutschland kann nicht angerechnet werden.

2) Da das mir dann in Österreich zustehende PAUSCHALE Kinderbetreuungsgeld wesentlich niedriger ausfällt als das bis zum Umzug nach Österreich bezogene deutsche Elterngeld, kann ich in Deutschland Ausgleichsansprüche geltend machen.

Ich bedanke mich im Voraus für eine möglichst konkret auf meine Zusammenfassung/Interpretation Ihrer Antwort bezogene Rückmeldung.

Mit bestem Dank und Grüßen

neu_in_austria

Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 2. März 2012 | 12:46

Sehr geehrter Fragesteller,

gerne präzisiere ich meine Ausführungen. Bitte bedenken Sie, dass es sich hier um eine erste Einschätzung handelt, ohne Kontaktaufnahme zu Behörden. Unter Beachtung Ihres Einsatzes antworte ich zu Frage 1 wie folgt: Nach einer engen Interpretation der Verordnung EG Nr. 883 / 2004 wäre die Vorschrift des § 24 Absatz 2 KBGG europarechtswidrig. Dies müssten Sie gerichtlich anfechten oder vielleicht vorher bei der Volksanwaltschaft eine Beschwerde einreichen. Diese Frage kann im Rahmen dieser Erstberatung nicht endgültig geklärt werden. Bedenken Sie aber, dass Sie keine Nachteile erleiden, wenn deutsche Stellen die Differenz ausgleichen. Dies könnte dazu führen, dass kein Verstoß gegen genannte Verordnung vorliegt, da keine Schlechterbehandlung aufgrund der Ausgleichsregelungen.

Zu Frage 2:
Ja, Sie können in Deutschland Ausgleichsansprüche geltend machen. Die zuständige Stelle wird voraussichtlich die Differenz ausgleichen. Im worst case verweigert die deutsche Stelle eine Zahlung mit zu Frage 1 ausgeführter Argumentation, dann müssten Sie in Österreich klagen. Es ist also sinnvoll, vorher bei der zuständigen deutschen Stelle dies nachzufragen.

Ich hoffe, die Problematik wurde ausreichend beantwortet.

Ergänzung vom Anwalt 1. März 2012 | 12:51
Ich habe erst nach Fertigstellung der Antwort gesehen, dass Ihre Frau in Österreich beschäftigt ist. Dann entsteht eine Anspruchskonkurrenz, die wie folgt zu lösen ist: Sind die Eltern in verschiedenen Staaten beschäftigt ist vorrangig der Staat zuständig, in dem die Kinder wohnen, Art. 68 Abs. 1 Buchstabe b Ziffer i) VO Durchführungsanweisung zum
über- und zwischenstaatlichen Recht).

Da das Kind in Österreich lebt ist Österreich für das Kinderbetreuungsgeld zuständig. Es ist richtig, Ausgleichsansprüche sind in Deutschland Beschäftigungsstaat) zu stellen. Der Antrag in Österreich gilt auch als Antrag für die deutschen Behörden, und müsste weitergeleitet werden.

Da die deutschen Behörden sehr wahrscheinlich die Differenz ausgleichen werden brauchen Sie nicht mehr gegen die österreichisches Behörden vorgehen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen ersten Überblick verschaffen und stehe bei weiteren Fragen gern zur Verfügung.
Bewertung des Fragestellers 6. März 2012 | 17:02

Hat Ihnen der Anwalt weitergeholfen?

Wie verständlich war der Anwalt?

Wie ausführlich war die Arbeit?

Wie freundlich war der Anwalt?

Empfehlen Sie diesen Anwalt weiter?

"Nach anfänglicher "Themaverfehlung" wurde meine Frage im zweiten Anlauf (nach meiner Nachfrage) doch noch zufriedenstellend beantwortet. Unter anderem bin ich Dank der Hinweise des Anwalts zwischenzeitlich auf ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH-Urteil vom 15.12.11 zur Rechtssache C-257/10) gestoßen, das für mich (und andere in meiner Situation) von erheblicher Relevanz sein dürfte. BESTEN DANK DAFÜR!"