Entzug eines akademischen Grades

| 6. August 2020 17:46 |
Preis: 50,00 € |

Schule, Hochschule, Prüfungen


Beantwortet von

Rechtsanwältin Elisabeth v. Dorrien

Zusammenfassung

Kann ein berufsqualifizierender Diplomabschluss aufgrund eines nach mehr als 20 Jahren festgestellten Plagiats in der Diplomarbeit (nur eine Kopie existiert) entzogen werden?

Im HochSchG NRW ist eine Frist von 5 Jahren festgelegt, innerhalb derer ein Abschluss wegen Täuschung entzogen werden darf. Der Gesetzgeber hat zugleich entschieden, dass eine weiter zurückreichende Frist nicht vorgesehen sein soll. Daraus kann man ableiten, dass - auch wenn es im Verwaltungsrecht kein strafrechtliches Rückwirkungsverbot gibt - eine längere Frist zur Sanktionierung einer fehlerhaften Diplomarbeit nicht festgeschrieben werden sollte.

Es geht um die Frage, ob ein berufsqualifizierender Diplomabschluss aufgrund eines nach mehr als 20 Jahren festgestellten Plagiats in der Diplomarbeit (nur eine Kopie existiert) entzogen werden kann? (Es handelt sich in diesem Fall ausschließlich um theoretische Überlegungen).
Die Originaldiplomarbeit wurde vom Prüfungsamt nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist von 5 Jahren vernichtet (wenn die Nachweisfunktion nicht mehr nötig ist, laut Uni). Es gibt also keinen Nachweis im Original mehr.
Die Prüfungsordnung vom Jahr 1977, nach der die Diplomprüfung in einem Diplomstudiengang abgelegt wurde, enthält gar keine spezielle Regelung über Entzug eines berufsqualifizierenden Diplomgrades. Die meisten anderen PO enthalten einen Paragrafen, wonach die Rücknahme des Diplomgrades nur innerhalb einer Frist von 5 Jahren erfolgen kann, wenn der Kandidat bei einer Prüfung getäuscht hat und diese Tatsache erst nach Aushändigung des Zeugnisses bekannt wurde.
In der genannten PO 77 steht nicht einmal der Satz: „Nach den gesetzlichen Bestimmungen". Kommt hier 48 VwVfG zur Anwendung?
Das neue Landeshochschulgesetz NRW vom Jahr 2000 enthält den Paragrafen 66 mit dem Absatz 4 „Die Rücknahme ist nur innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Gradverleihung zulässig". Hier stellt sich die Frage, ob der Absatz 4 auch auf alte berufsqualifizierende Hochschulgrade wie Diplomgrad anwendbar ist? (siehe unten)

§ 66
Hochschulgrade, Leistungszeugnis
(1) Die Hochschule verleiht auf Grund einer Hochschulprüfung, mit der ein Studienabschluss in einem Studiengang erworben wird, einen Bachelorgrad oder einen Mastergrad. […] Andere akademische Grade kann die Hochschule nur in besonderen Fällen verleihen.

(4) Für die Rücknahme der Gradverleihung gilt § 48 Absatz 1 und 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen. Die Rücknahme ist nur innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Gradverleihung zulässig

Die Frage lautet: Kann der berufsqualifizierende Diplomgrad bei einem nach mehr als 20 Jahren festgestellten Plagiat in der Kopie der Diplomarbeit angesichts der o.g. Ordnungen bzw. Gesetze aberkannt werden?

herzlichen Dank

Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:

Indem § 66 Abs. 4 HochSchG NRW eine Frist von 5 Jahren festgelegt hat, innerhalb derer ein Abschluss wegen Täuschung entzogen werden darf, hat der Gesetzgeber zugleich entschieden, dass eine weiter zurückreichende Frist nicht vorgesehen sein soll.

Daraus kann man ableiten, dass - auch wenn es im Verwaltungsrecht kein strafrechtliches Rückwirkungsverbot gibt - eine längere Frist zur Sanktionierung einer fehlerhaften Diplomarbeit nicht festgeschrieben werden sollte.

Natürlich kann man an eine Analogie denken und diese aus dem Rechtsgedanken des Paragraphen 48 VwVfG (keine Frist bzw. die Frist läuft ab Kenntnis) ableiten. Das würde voraussetzen, dass eine Regelungslücke vorhanden ist, das heißt, dass der Gesetzgeber einen Tatbestand nicht geregelt hat, weil er ihn übersehen hat.

Das aber kann ich hier nicht angenommen werden, denn dem Gesetzgeber war natürlich bewusst, dass es auch Hochschulgrade gibt, die noch vor längerer Zeit verliehen wurden. Der Gesetzgeber hätte also eine klare Regelung für derartige Altfälle treffen können. Dass er dies nicht getan hat, sondern die Fünfjahresfrist in § 66 Abs. 4 (neues) HochSchG NRW eingeführt hat, zeigt, dass es keine Aberkennung über die Frist von fünf Jahren hinaus geben soll.

Insofern verdrängt § 66 HochSchG NRW als lex specialis den allgemeinen § 48 LVwVfG NRW. Dies ist freilich nur eine Interpretation bzw. Argumentation. Wenn der völlig unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass nach 20 Jahren Ihre Diplomarbeit als Täuschungsversuch gewertet werden sollte (und dies auch nur anhand einer Kopie, da das Original inzwischen vernichtet wurde), so müsste man im Zweifel darum kämpfen, dass die Fünfjahresfrist in § 66 Abs. 4 HochSchG NRW Anwendung findet - insbesondere auch deshalb, da er ja ausdrücklich die Vorschrift des § 48 LVwVfG NRW entsprechend modifiziert und die Fünfjahresfrist einführt.

Hier hat der Gesetzgeber also dem Gedanken des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit den Vorrang gegenüber der akademischen integrität gegeben. Dies ist auch nachvollziehbar, denn selbst für die Aberkennung von Doktorgraden gilt an vielen Hochschulen der Bundesrepublik Deutschland eine Frist von höchstens 10 Jahren. Es gibt eine laufende Diskussion darüber, ob die Entziehung von Doktorgraden auch nur innerhalb von 5 Jahren zulässig sein solle.

In Anbetracht dessen erscheint es vollkommen unangemessen, einen berufsbegründenden Abschluss wie das Diplom noch nach so langer Zeit überhaupt aberkennen zu können. Eine derart lange berufliche Laufbahn im Nachhinein zu zerstören, gebietet die akademische Integrität ganz gewiss nicht. Dies drängt sich insbesondere im Vergleich mit der Diskussion um die Promotionsgrade (die ja im Gegensatz zu Diplomen eine akademische Laufbahn ermöglichen sollen) geradezu auf.

Insofern darf ich Sie beruhigen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass so eine Möglichkeit der Entziehung des Diplomgrades nach 20 Jahren überhaupt von irgendeiner amtlichen Stelle in Betracht gezogen werden sollte.

Wenn noch etwas unklar geblieben ist, so fragen Sie gerne nach. Vorerst verbleibe ich mit freundlichen Grüßen!

Elisabeth v. Dorrien
Rechtsanwältin

Rückfrage vom Fragesteller 7. August 2020 | 12:09

Sehr geehrte Frau Dorrien,

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre ausführlichen und nachvollziehbaren Erläuterungen, die beruhigend wirken.
Ich möchte noch nachfragen, ob ich es richtig verstehe, dass sich die Fünfjahresfrist im neuen Landeshochschulgesetz NRW nicht nur auf Bachelograde und Mastergrade, sondern auch auf andere berufsqualifizierende Hochschulgrade wie alte Diplomgrade beziehen kann? (Diplomgrade aus der Vergangenheit, die im Bologna-Prozess zu Mastergraden umgewandelt wurden)

HochSchulG NRW § 66
Hochschulgrade, Leistungszeugnis
(1) Die Hochschule verleiht auf Grund einer Hochschulprüfung, mit der ein Studienabschluss in einem Studiengang erworben wird, einen Bachelorgrad oder einen Mastergrad. […] Andere akademische Grade kann die Hochschule nur in besonderen Fällen verleihen.
(4) Für die Rücknahme der Gradverleihung gilt § 48 Absatz 1 und 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen. Die Rücknahme ist nur innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Gradverleihung zulässig.

Ergänzend möchte ich hier noch aufführen, was ich beim genauen Betrachten der Prüfungsordnungen festgestellt habe. Es gab bereits in einigen anderen Prüfungsordnungen vom Jahr 1972 der betreffenden Universität eine Verjährungsfrist von 5 Jahren, aber nicht in der betreffenden Prüfungsordnung von 1977. In der dann veränderten Prüfungsordnung von 1993 gab es diese Fünfjahresfrist aber schon. Das damalige Rahmenhochschulgesetz sah noch keine Verjährungsfrist von 5 Jahren vor. Diese wurde in das Landeshochschulgesetz erst um 2014 eingeführt.

Des Weiteren erscheinen die Aufbewahrungsfristen bedeutsam. Interessant ist die Tatsache, dass der erste Erlass in NRW über die Aufbewahrungsfristen für Prüfungsarbeiten am 17.02.1978 (GABl NW, S. 100) veröffentlicht wurde. Darin steht, es soll gesichert werden, dass die schriftlichen Prüfungsarbeiten bis zur endgültigen Bestandskraft der Prufungsentscheidung (5 Jahre ab Prufungsentscheidung) erhalten bleiben und danach dem Prüfling zurückgeben werden können. Dieser Erlass wurde dann durch den Runderlass des nordrheinwestfälischen Ministeriums für Schule, Wissenschaft und Forschung vom 07.10.2002 ersatzlos aufgehoben. Die Aufbewahrungsfristen sind seither von jeder Hochschule selbst zu regeln. Danach werden die Arbeiten entsorgt, sie können also nicht mehr geprüft werden. Bezüglich der Promotionen gibt es an der betreffenden Universität die dreißigjährige Aufbewahrungsfrist, um die Verfügbarkeit dieser Unterlagen im Falle von Rechtsstreitigkeiten (z.B. Plagiatsvorwürfen) sicherzustellen.

In vielen Gerichtsurteilen über Entzug des Doktorgrades ist zu lesen, dass es sich im Entzugsverfahren um ein neues, unabhängiges Verfahren handelt, deshalb kommt nicht die im Verleihungsverfahren geltende Promotionsordnung, sondern die im Rücknahmeverfahren aktuell gültige Fassung der Promotionsordnung in Betracht. Hier wäre noch meine letzte Frage, ob diese Vorgehensweise auch auf berufsbezogene akademische Grade anwendbar wären? (Hier als Beispiel: Die Diplomprüfung wurde nach der PO 77 abgelegt, aber bei einer erneuten Überprüfung der Diplomarbeit würde man die letzte gültige Version der PO von 93 heranziehen, mit Berücksichtigung der Fünfjahresfrist?

Zu guter Letzt möchte ich Ihre Aussage aufgreifen „In Anbetracht dessen erscheint es vollkommen unangemessen, einen berufsbegründenden Abschluss wie das Diplom noch nach so langer Zeit überhaupt aberkennen zu können. Eine derart lange berufliche Laufbahn im Nachhinein zu zerstören, gebietet die akademische Integrität ganz gewiss nicht.", was am meisten überzeugt und beruhigt.

Ich danke Ihnen Frau Dorrien nochmals für Ihre hilfreiche Beratung.

Mit herzlichen Grüßen




Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 7. August 2020 | 12:53

Sehr geehrter Fragesteller,

vielen Dank für Ihre freundliche Nachfrage!

Sie treffen genau den Punkt, den ich zum Ausdruck bringen wollte. Sie haben die Prüfungsordnungen vollkommen richtig gelesen. Ich verstehe diese genauso. Es gibt Überdies tatsächlich jeweils ein neues Verfahren, sollte der Entzug eines akademischen Grades in Betracht gezogen werden.

Der entscheidende Ansatz ist, dass der Gesetzgeber in der alten Prüfungsordnung keine Frist geregelt hatte, dies aber in der neuen Prüfungsordnung getan hat, und zwar mit einer Festlegung auf 5 Jahre.

Deshalb auch ist eine sog. Regelungslücke (die eine Ausfüllung qua Analogie erlauben würde) ausgeschlossen, meine ich. Denn wenn der Gesetzgeber offensichtlich und bewusst eine Frist regeln wollte, dann hätte er diese Frist entweder länger ausgestalten können, oder aber er hätte ausdrücklich Altfälle von der Neuregelung rausnehmen können. Dies ist nicht geschehen.

Dass Promotionsverfahren und die Verleihung eines Diplomgrades nicht gleichgestellt sind (und auch nie waren), zeigt sich, wie Sie richtig feststellen, auch an den unterschiedlichen Aufbewahrungsfristen.

Es ist meiner Meinung nach ausgeschlossen, dass jemand auf die Idee kommen könnte, eine Diplomarbeit, die vor 20 Jahren gefertigt, abgegeben und bewertet wurde, nach so langer Zeit noch einmal zu überprüfen und aufgrund angeblich (wie?) festgestellter Mängel ein Entzugsverfahren einzuleiten. Dafür fehlt offensichtlich die Rechtsgrundlage.

Eine Analogie ist, wie dargestellt, ebenfalls ausgeschlossen. Ich darf Sie daher ehrlich dahingehend beruhigen, dass eine Überprüfung Ihrer Diplomarbeit sowie der Entzug ihres Diplomgrades schlechthin ausgeschlossen erscheint.

Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, so mache ich mir auch nicht wirklich Sorgen, denn Sie haben ein so klares und gründliches Rechtsverständnis, dass Sie sich ohne weiteres gegen ein solches Ansinnen verteidigen könnten.

Ich grüße Sie nochmals sehr herzlich!

EvD

Bewertung des Fragestellers 8. August 2020 | 13:17

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