Sehr geehrte/r Fragesteller/in,
bei den monatlichen Zahlungen der Großmutter an ihren Enkel in Höhe von 600 Euro über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren handelt es sich sehr wahrscheinlich nicht mehr um eine sogenannte Anstandsschenkung im Sinne des § 534 BGB. Vielmehr ist von einer Schenkung auszugehen, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls hinzukommen, die die Zuwendungen als Anstandsschenkungen erscheinen lassen.
Für Anstandsschenkungen gilt, dass sie aus einer moralischen Verpflichtung heraus geleistet werden und das Unterlassen solcher Zuwendungen nach den Anschauungen der beteiligten sozialen Kreise als gesellschaftlich nicht akzeptabel angesehen würde. Die Rechtsprechung erkennt bei gelegentlichen und vor allem angemessenen Beträgen von Großeltern an Enkel ein Taschengeld als Anstandsschenkung an, jedoch wurden etwa 50 Euro monatlich (LG Aachen, Urteil vom 14.02.2017, Az. 3 S 127/16, https://nrwe.justiz.nrw.de/lgs/aachen/lg_aachen/j2017/3_S_127_16_Urteil_20170214.html) als angemessen beurteilt. Regelmäßige, deutlich höhere Beträge über einen längeren Zeitraum werden hingegen nach der Entscheidung des OLG Celle (Urteil vom 13.02.2020, Az. 6 U 76/19, https://openjur.de/u/2207781.html) nicht mehr als Anstandsschenkung, sondern als echte Schenkung angesehen, insbesondere wenn sie dem Vermögensaufbau des Empfängers dienen.
Die Zahlungen der Großmutter an den Enkel in Höhe von 600 Euro monatlich überschreiten das übliche Maß für eine Anstandsschenkung und sind daher i. d. R. als Schenkung im Sinne von § 516 BGB zu qualifizieren. Das Sozialamt kann daher, falls die Großmutter bedürftig wird, einen Rückforderungsanspruch nach § 528 BGB gegen den Enkel geltend machen. Dieser Anspruch kann auf den Sozialhilfeträger nach § 93 Abs. 1 SGB XII übergeleitet werden, soweit die Bedürftigkeit innerhalb von zehn Jahren nach der jeweiligen Schenkung eintritt (§ 529 Abs. 1 BGB).
Maßgeblich ist, dass die Zahlungen innerhalb des Zehnjahreszeitraums vor Eintritt der Bedürftigkeit erfolgt sind. Liegen die Zahlungen mehr als zehn Jahre zurück, scheidet ein Rückforderungsanspruch aus. Das Sozialamt hat bei der Geltendmachung des Anspruchs ein Ermessen, muss aber insbesondere bei familiären Schenkungen die persönlichen Verhältnisse und Motive umfassend berücksichtigen. In der Praxis werden insbesondere hohe regelmäßige Zahlungen meist als rückforderbare Schenkung bewertet.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Haeske, Rechtsanwältin
Antwort
vonRechtsanwältin Gabriele Haeske
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Vielen Dank für Ihre ausführlichen und kompetenten Erläuterungen.
Ich würde gerne den Punkt "sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls hinzukommen" und "moralische Verpflichtung" noch einmal aufgreifen.
Könnten Sie dafür Beispiele nennen?
In diesem Fall existiert z.B. ein Titel wg. Unterhaltsrückstand i.H.v. 30.000€, den der Enkel gegenüber dem Vater (Sohn der Großmutter) hat. Die Großmutter ist mit dem Vater zerstritten und möchte mit den Zahlungen sozusagen gut machen/ausgleichen was ihr Sohn bei dem Enkel zu zahlen versäumt hat.
Wäre so etwas eine moralische Verpflichtung/besonderer Umstand, wie Sie erwähnten oder eher nicht?
Falls relevant, der Enkel ist heute 25 und noch Doktorand/Student.
Sehr geehrte/r Fragesteller/in,
Sie können zwar versuchen, das gegenüber dem Sozialamt geltend zu machen, aber diese Zahlungen an den volljährigen Enkel werden vermutlich nicht als zwingend oder gesellschaftlich „notwendig" anerkannt werden, selbst wenn ein Unterhaltstitel gegen den Vater besteht.
Nach § 1601 BGB sind Verwandte in gerader Linie grundsätzlich verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren. Dies bedeutet, dass auch zwischen Großeltern und Enkeln eine mögliche Unterhaltspflicht besteht. Allerdings ist diese Unterhaltspflicht der Großeltern gegenüber ihren Enkeln nachrangig gegenüber der Unterhaltspflicht der Eltern. Die Großeltern haften erst dann, wenn die Eltern nicht leistungsfähig sind.
Es besteht keine rechtliche Verpflichtung der Großmutter, dem volljährigen Enkel im Promotionsstudium Unterhalt zu zahlen. Eine Promotion gilt nicht als Teil der Erstausbildung für die Eltern oder Großeltern unterhaltspflichtig sind. Die Großmutter kann solche Zahlungen zwar aus familiären oder moralischen Gründen leisten, das Gesetz erkennt dies aber nicht als rechtliche Pflicht an.
Auch das Motiv, Unterhaltsschulden des Sohnes (Vater des Enkels) auszugleichen, bleibt eine private, moralische Entscheidung und führt nicht zu einer Unterhaltspflicht oder einer besonderen rechtlichen Stellung der Großmutter.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Haeske, Rechtsanwältin