Umsatzsteuerbefreiung: Wie sich auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL berufen?

16. November 2020 09:12 |
Preis: 70,00 € |

Steuerrecht


Beantwortet von

Guten Tag, meine Frau und ich betreiben in Lahr/Schwarzwald eine private Musikschule. Meine Frau ist freiberufliche Musikpädagogin - Sie hat Musikpädagogik und Geige/Bratsche studiert - und ist derzeit Kleinunternehmerin nach § 19 UStG . Ich unterstütze meine Frau als kfm. Assistenz.

Meine Frau wird in den kommenden Geschäftsjahren keine Kleinunternehmerin mehr sein und wird dann somit automaisch Umsatzsteuerpflichtig. Wir möchten uns gerne von der Umsatzsteuer befreien lassen. Art 132 Abs. 1 Buchst. j MwSTSystRL befreit den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht und Musikunterricht gehört zu den klassischen Schulfächern und kann als Grundlage für eine Berufsausbildung als Musiker oder Musiklehrer dienen.

Wie müssen wir nun hierbei vorgehen? Was gilt es zu beachten? Einfach einen Brief an das Finanzamt schreiben, in dem wir sagen "hiermit möchte ich mich von der USt befreien lassen. Ich berufe mich auf Art 132 ..."? Können Sie uns ein Schreiben aufsetzen?

Vielen Dank und beste Grüße
Dimitri Dementjew

16. November 2020 | 10:48

Antwort

von


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Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:

Nach Art. 133 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL können die Mitgliedstaaten die Befreiung u.a. von der Bedingung abhängig machen, dass die betreffenden Einrichtungen keine systematische Gewinnerzielung anstreben dürfen. Hat der nationale Gesetzgeber keine diesbezügliche Regelung getroffen, ist davon auszugehen, dass in den Fällen, in denen der Unionsgesetzgeber, wie in Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL, die Inanspruchnahme der betreffenden Befreiungen nicht ausdrücklich vom Fehlen eines Gewinnstrebens abhängig gemacht hat, das Streben nach Gewinnerzielung die Inanspruchnahme dieser Befreiungen nicht ausschließen kann (EuGH vom 28.11.2013, C-319/12 , LEXinform 0589405, Rz. 31).

Quelle: https://www.smartsteuer.de/online/lexikon/b/berufsbildende-einrichtungen-umsatzsteuerbefreiung/#D063014900005

Und genau hierin liegt der Knackpunkt. Die MwStSystRL werden durch die jeweiligen europäischen Staaten konkretisiert. Die Konkretisierungen, welche Ihre Frau als freiberufliche Musikpädagogin betreffen, finden Sie in § 4 Nr. 21 UStG und § 4 Nr. 22 UStG .

§ 4 Nr. 22 UStG kann vorab ausgeschieden werden, da dieser nur bei "Gemeinnützigkeit" und fehlendem Gewinnstreben eine Befreiung von der Umsatzsteuer ermöglicht.

Somit müsste § 4 Nr. 22 UStG für eine Umsatzsteuerbefreiung zugunsten Ihrer Frau greifen.

Ich erlaube mir den Gesetzestext an dieser Stelle zu zitieren:

...
a)
die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Leistungen privater Schulen und anderer allgemeinbildender oder berufsbildender Einrichtungen,

aa)
wenn sie als Ersatzschulen gemäß Artikel 7 Abs. 4 des Grundgesetzes staatlich genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt sind oder
bb)
wenn die zuständige Landesbehörde bescheinigt, dass sie auf einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten,

b)
die unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienenden Unterrichtsleistungen selbständiger Lehrer

aa)
an Hochschulen im Sinne der §§ 1 und 70 des Hochschulrahmengesetzes und öffentlichen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Schulen oder
bb)
an privaten Schulen und anderen allgemeinbildenden oder berufsbildenden Einrichtungen, soweit diese die Voraussetzungen des Buchstabens a erfüllen

...

Somit müsste Ihre Frau u. a. eine Ersatzschule gemäß Artikel 7 Abs. 4 des Grundgesetzes betreiben oder die Schulbehörde bescheinigen, dass "einen Beruf oder eine vor einer juristischen Person des öffentlichen Rechts abzulegende Prüfung ordnungsgemäß vorbereiten".

Dies müssten Sie durch ein Anschreiben an die zuständige Schulbehörde bescheinigen lassen.

Alternativ können Sie versuchen, über eine sog. verbindliche Auskunft beim zuständigen Finanzamt nach § 89 AO eine "Vorabbeurteilung" für Ihren Steuerfall zu erhalten.

Im Rahmen einer solchen Auskunftserteilung ersuchen Sie um Prüfung des Vorliegens des Tatbestands der Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 UStG (aus sämtlichen Gründen) unter Schilderung des betriebenen Geschäftsmodells.

Die Finanzbehörde nimmt sodann eine Vorabprüfung vor, an deren Ergebnis sich die Behörde für zukünftige Veranlagungsfälle festhalten lassen muss.

Sofern Sie sich ein solches Schreiben bzw. ein entsprechenden Antrag ggü. der Finanzbehörde nicht zutrauen, können Sie einen Rechtsanwalt hierfür beauftragen. Hierfür müssten Sie sodann auch zuvor die genaue Geschäftstätigkeit Ihrer Frau beschreiben (Art der Leistungserbringung, Zielgruppe, Ort etc.)

Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Sofern meine Ausführungen hilfreich waren, würde ich mich über die Abgabe einer vollen 5-Sterne-Bewertung freuen. Vielen Dank bereits vorab hierfür.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Traub
-Rechtsanwalt-
Fachanwalt für Insolvenzrecht
Fachanwalt für Steuerrecht


Rückfrage vom Fragesteller 16. November 2020 | 11:17

Vielen Dank für Ihre Antwort.

Unklar ist mir, wie ich Ihre Aussagen mit einem diesbzgl. Urteil des Bundesfinanzhofs und des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg in Verbindung stehen. Hier der Link; insbesondere das letzte Drittel:

https://steuerwelle.de/die-umsatzsteuerbefreiung-fuer-privatlehrer/

Der Artikel schildert in Bezug auf den Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL eine andere Einschätzung der Sachlage. Das verwirrt mich.

Vielen Dank!

Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 16. November 2020 | 11:25

Sehr geehrte(r) Ratsuchende(r),

gerne will ich Ihre Nachfrage beantworten.

Die benannten Ausführungen müssen Sie auf keinen Fall verwirren und stehen auch nicht im Widerspruch zu meinen Ausführungen.

Unterm Strich bedeutet dies, dass ggf. Grenzfälle im Rahmen des § 4 UStG im Lichte der Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL europarechtskonform auszulegen sind.

Hierauf können Sie sich sodann auch in Ihrem Fall ggü. dem Finanzamt berufen.

Allerdings kommen Sie nicht umhin, wie von mir beschrieben vorzugehen um zu klären, ob und wenn ja unter welche Umsatzsteuerbefreiung Ihre Frau fällt.

Dies wäre - wie ausgeführt - schnellstmöglich zur Erlangung von Rechtssicherheit mit der Finanzbehörde zu klären.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Traub
-Rechtsanwalt-
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