Antwort
vonRechtsanwalt Philipp Wendel
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vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß dieses Forum lediglich die Funktion hat, Ihnen einen ersten Überblick über die Rechtslage zu geben. Eine persönliche Beratung kann durch Ihre Anfrage nicht ersetzt werden.
Die Vorschrift des § 112 a StPO erlaubt die vorbeugende Maßnahme der Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen Straftaten besonders gefährlicher Täter.
Die Voraussetzungen sind neben der Anlasstaten in Nr.1 und Nr.2 im Einzelnen:
a)
Dringender Tatverdacht im Sinne des § 112 I S.1 StPO. Der besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter (oder Teilnehmer! §§ 25 StGB ff.) einer Straftat ist. Die Prognose, dass eine Verurteilung wahrscheinlich ist, verlangt der dringende Tatverdacht nicht (BGH NStZ 81, 94).
b)
Bei den Anlasstaten nach Nr.1 setzt die Sicherungshaft ferner Wiederholungsgefahr sowie die Notwendigkeit der Haft zur Abwendung der Gefahr voraus.
Die Wiederholungsgefahr wird als Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten gleicher Art oder Fortsetzung der Straftat definiert.
Die Wiederholungsgefahr muss durch bestimmte Tatsachen begründet werden, die eine so starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Tate erkennen lassen, dass die Besorgnis begründet ist, er werde die Serie gleichartiger Taten noch vor einer Verurteilung wegen der Anlasstat fortsetzen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Vorstrafen des Beschuldigten, die Abstände zwischen ihnen (Jena StraFo 09, 21), die äußeren Umstände, in denen er sich bei Begehung der Taten befunden hat, seine Persönlichkeitsstruktur und sein soziales Umfeld (Bremen NStZ-RR 01,220).
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Ist dies nun für die Beurteilung zu 80 % wichtig ?
Das die Entscheidung treffende Gericht, gewichtet die einzelnen Faktoren jeweils unterschiedlich. Ein fester Prozentsatz ist ein keinem Fall vorher bestimmbar. Anhand einer sog. ,,Gesamtschau der Umstände des Einzelfalles' wird das Gericht eine Gefahrenprognose (Wiederholungsgefahr) erstellen und darauf ihre Entscheidung fußen lassen
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Zu Ihrer Frage der Verhältnismäßigkeit möchte ich abschließend hinzufügen:
Die Sicherungshaft muss grundsätzlich erforderlich, als Verhältnismäßig sein. Können die von dem Beschuldigten ausgehenden Gefahren durch andere Maßnahmen - Anstaltsbehandlung eines Sittlichkeitsverbrechers (Frankfurt StV 92, 425) - abgewendet werden, so ist sie unzulässig.
vgl. auch § 116 Ansatz 3 StPO.
Ich hoffe, meine Antwort hat Ihnen weitergeholfen. Bei Unklarheiten oder Verständnisschwierigkeiten nutzen Sie bitte die Nachfrage-Option.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Philipp Wendel
VielenDank, meine Frage war aber, ob es zulässig ist jemanden in U Haft zu nehmen, der nicht vorbestraft ist.
Oder ist es dann zumindest schwerer den Hang zu erheblichen Taten im Sinne der Wiederholungsgefahr nachzuweisen ?
Kurzum: Unter Grundlage meiner Frage würde mich interessieren, ob die fehlenden Vorstrafen meistens positiv für den Betroffenen über die Entscheidung ob er in u haft kommt, berücksichtigt werden muss ?
Siehe auch : Johannes Rux..
http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv035185.html
" sondern nur auf bestimmte Tatsachen gestützt werden kann, wobei in der Regel verlangt wird, daß der Beschuldigte innerhalb der letzten fünf Jahre wegen einer gleichartigen Straftat rechtskräftig zu Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Die damit getroffene Regelung bringt das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Interesse des Beschuldigten an der Bewahrung seiner persönlichen Freiheit mit.."
Sind diese aussagen des BVerfG nach wie vor wirksam und richten sich Urteile danach, muss also - wie oben beschrieben- die fehlenden Vorstrsfen in jeden individuellen Fall berücksichtigt werden?
BVerfGE 35, 185 - Haftgrund Wiederholungsgefahr
Sehr geehrter Fragesteller, gerne beantworte ich Ihre Nachfrage wie folgt:
Wie ich schon in der ersten Antwort ausgeführt habe, fußt die Entscheidung des Gerichts auf einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalles.
Das heisst:
Natürlich werden fehlende Vorstrafen ,,positiv'' in die Gesamtabwägung der einzlenen Faktoren vom Gericht mit aufgenommen. Das heisst aber im Umkehrschluss nicht, dass es unzulässig wäre, jemanden in U-Haft zu nehmen, der bisher keine Vorstrafen aufweist.
Dies wird auch nicht in der von Ihnen zitierten Entscheidung des BVerG verlangt. Das BVerfG spricht lediglich davon, dass ,,in der Regel'' eine Vorveruteilung verlangt wird. Das bedeutet in der Entscheidung sollte das Gericht erkennen lassen, dass es im Rahmen der Gesamtabwägung erkannt hat, dass keine Vorverurteilung vorliegt, und dann explizit begründen, weshalb es dennoch eine Wiederholungsgefahr annimmt und die U-Haft anordnet.
Kurz wiederholt:
Fehlende Vorstrafen müssen und werden in der Entscheidungsfindung positiv berücksichtigt, garantieren aber nicht, dass keine Wiederholungsgefahr angenommen werden darf und kann.
Sollten Sie weitere Fragen haben kontaktieren Sie mich bitte über meine E-mail adresse.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Philipp Wendel