Falsche Beratung bei Immobilienfonds - was tun?

5. September 2013 18:28 |
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Wirtschaftsrecht, Bankrecht, Wettbewerbsrecht


Zusammenfassung

Die Rückabwicklung von Verträgen über geschlossene Immobilienfonds wegen unvollständiger Information der Anleger richtet sich ab dem 01.07.2013 nach § 306 KAGB, für die Zeit davor nach § 127 InvG.

Sehre geehrte Damen und Herren,
meiner Mutter (Alter 92 , seit 10 J Witwe, stark seh-und gehbehindert , Hautschulabschluss, zeitlebens Hausfrau) wurde von der Hausbank im Alter zw. 86 und 90 Jahren 4 Sachwertanlagen, ie. 3 geschlossene Immobilienfonds, und 1 Lebensversicherungsfond ("Todesfond") verkauft. Es war ihr in keister Weise bewusst , dass es sich mit diesen Sachwertanlagen um unternehmerische Beteiligung handelt mit Laufzeiten von 10-15 J. sowie das Risiko eines Totalverlusts beihalten kann. Sie war der Meinung sie hätte gemischte Aktien/Anleihenfonds gekauft, die kurzfristig veräusserbar sind, was der bisherigen Struktur des von ihrem Mann geerbten Depots entspricht. Das Depot war gedacht, 1/ sie abzusichern, falls sie krank werden bzw ein Pflegefall werden sollte (was jetzt der Fall ist) und 2/ finanzielle Mittel für den Erhalt der von der Familie genutzten Immobilien vorzuhalten. Die meisten der von ihr gekauften Fonds sind heute in einer finanziellen Schieflage. Darüber hinaus war ihr in keinster Weise bewusst gemacht worden, dass ihr auch ein US Lebensversicherungsfond verkauft worden war, der in das vorzeitige Ableben von Rentnern spekuliert.
Nach detaillierter Befragung über das Zustandekommen der 4 Verträge hat sie schriftlich protokolliert , dass sie nicht über die das Risiko (potentieller Totalverlust) noch über die Langfristigkeit (praktisch Unveräusserlichkeit) der Anlage im Beratungsgespräch informiert worden ist. Sie hat allerdings einen "Gesprächsbogen Sachwertanlagen" unterschrieben, den der Berater vorbereitet hat und wo er folgendes angekreuzt hat:
o Anlageverhalten: "begrenzt risikobereit" : "Eine unternehmerische Beteiligung kommt für mich in Frage . Ich habe die Riskohinweise im Beteiligungsprospekt und meine Erwartungen genau abgewogen"
o Kenntnisse und Erfahrungn mit geschlossenen Fonds: "ja" angekreuzt
o Anlageziele : "langfristiger Vermögensaufbau " und "Vermögensstreuung"
o "Mir ist bewusst, dass das eingezahlte Kapital längerfristig gebunden ist und geschlossene Fonds deshalb lediglich als Beimischung in meine Vermögensportfolio empfohlen werden"
Der Berater ersuchte sie bei "X" zu unterschreiben , was sie tat , im Vertrauen darauf, dass sie Hausbank die Familie ueber Jahrzehnte hinweg immer im Sinne der Anlageziele
( mittlere Risikobereitschaft: gemischte Fonds, kurzfristig veräusserbar) beraten hatte.
Es ist folgendes festzuhalten:
a/ Bei den Beratern, die sie zu den Sachwertanlagen drängten, handelte es sich um neue Berater, da der frühere , bei Ableben ihres Mannes in Pension ging.
b/ Depot wurde immer von ihrem Mann verwaltet , sie hat keinerlei Erfahrung mit Finanzprodukten , ausser dass sie erwartete, dass die Struktur des Depots fortgeschrieben würde.
c/ Meine Mutter leidet seit Jahren an Makuladegeneration , dh kann kaum noch lesen. Selbst wenn sie jedoch noch 100%ige Sehkarft hätte, wäre sie von der Komplexität der produkte komplett überfordert worden.
Dh , sie hat im wahrsten Sinne des Wortes im blinden Vertrauen unterschrieben und ist nun masslos entsetzt, dass sie manipuliert bzw ihr Vertrauen missbraucht worden ist.
Die Bank sagt, es sei alles mit Rechten Dingen zugegangen und beruft sich auf die Unterschrift des Beratungsprotokolls.
Ich meine es handelt sich um Falschberatung und eventuell sogar um sittenwidriges Verhalten der Bank und möchte auf Rückabwicklung der Verträge klagen. Wie hoch schätzen sie die Chancen ein?
Sehr geehrter Fragesteller,

Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegeben Informationen verbindlich wie folgt beantworten:


Zum 22.07.2013 ist das Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) in Kraft getreten (im Internet nachzulesen unter: http://www.buzer.de/gesetz/10756/index.htm). Es löst das bis dahin geltende Investmentgesetz (InvG) ab (im Internet nachzulesen unter: http://www.buzer.de/gesetz/6331/index.htm). Beide Gesetze regeln die Rechtslage zu geschlossenen (und offenen) Immobilienfonds.

1. Widerrufsrecht

Nach § 305 Abs. 7 KAGB richtet sich das Widerrufsrecht in Bezug auf Anteile und Aktien eines geschlossenen Investmentvermögens nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).

Schon vor Inkrafttreten des KAGB haben BGH und EuGH entschieden, dass der Anleger geschlossener Immobilienfonds ein Widerrufsrecht nach § 312 BGB haben (sog. Haustürwiderrufsrecht), wenn der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume der Bank abgeschlossen wurde; dieses Widerrufsrecht besteht unbegrenzt, wenn über sein Bestehen und seine Ausübung nicht ordnungsgemäß bei Vertragsabschluss
belehrt wurde. Allerdings steht Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (Haustürgeschäfte-RL) einer Rückabwicklung eines wirksam widerrufenen Gesellschaftsbeitritts nach den Grundsätzen der im deutschen Recht anerkannten Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft nicht entgegen, auch wenn dadurch der Verbraucher möglicherweise weniger als den Wert seiner Einlage zurückerhält oder sich am Verlust des Fonds beteiligen muss (EuGH, Urt. v. 15. April 2010 – C-215/08, DStR 2010, 878). Wie der BGH entschieden hat, steht der Gesellschaft gegen den Widerrufenden ein Anspruch auf Verlustausgleich auch dann zu, wenn dieser seinen Beitritt zu dem geschlossenen Immobilienfonds wirksam nach § 312 BGB widerrufen hat (Beschluss vom 27.06.2006 - Az.: II ZR 218/04).

Angesichts der von Ihnen geschilderten Verluste der Fonds hülfe das Widerrufsrecht hier nicht weiter, auch wenn seine Voraussetzungen gegeben sind.

2. Rücknahme der Anteile gegen Erstattung der Zahlung

Das KAGB enthält beim Beitritt zu geschlossenen Immobilienvermögen in den §§ 267 - 270 (geschlossene Fonds) und §§ 164 - 166 (offene Fonds) sehr detaillierte und umfangreiche Vorschriften über Prospekt- und Informationspflichten, deren Verletzung zu einer Haftung des Verkäufers bzw. Verkaufsvermittlers der Gestalt führt, dass er dem Anleger dessen erworbene Anteile gegen Erstattung des von ihm gezahlten Betrages verlangen kann (§ 306 Absätze 1, 2 und 5).

Allerdings gelten diese Vorschriften nur für Neugeschäfte ab dem 01.07.2013 (§ 352 KAGB).

Für Altgeschäfte gilt insoweit weiterhn das InvG. § 127 InvG enthält eine § 306 KAGB inhaltlich im wesentlichen entsprechende Vorschrift. Hinsichtlich des notwendigen Inhalts und Umfangs der Prospekt- und Anlegerinformationen gelten §§ 121, 122 InvG. (Diese Vorschriften sind zu umfangreich, um sie hier wiederzugeben; ich darf Sie bitten, diese selbst nachzulesen.) Nach § 121 Abs. 1 Satz 2 InvG sind dem Verkaufsprospekt die Satzung und die Vertragsbedingungen beizufügen, in denen die Laufzeit der Anlage geregelt ist.

Allerdings ist zu beachten: Was Ihre Mutter unterschrieben hat, belehrt worden zu sein, muss sie gegen sich gelten lassen. Etwas anderes gilt nur dann wenn sie zum Zeitpunkt der Belehrung und Unterschrift nachgewiesenermaßen nicht mehr voll geschäftsfähig gewesen wäre, z.B. wegen Altersdemenz. Sehschwäche oder intellektuelle Überforderung führen nicht zur Unwirksamkeit einer erteilten Belehrung.

3. Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit

Nach § 138 Abs. 2 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, durch das jemand unter Ausbeutung der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögens oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

Nehmen wir einmal an, dass im Fall Ihrer Mutter Unerfahrenheit bzw. Mangel an Urteilsvermögen gegeben waren - dann müsste aber zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis bestehen. Ihre Mutter hat ja für ihre Zahlungen Anteile an Immobilien- und Lebensversicherungsfonds mit theoretischer Gewinnmöglichkeit erhalten. Das theoretische Verlustrisiko allein führt noch nicht zu einem auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Anders kann dies im Hinblick auf das hohe Alter Ihrer Mutter zu beurteilen sein, d.h. der Umstand, dass ein Erleben des Laufzeitendes bei Vertragsschluss sehr unwahrscheinlich war.

Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit führt dazu, dass sich die Vertragsparteien die beiderseits gewährten Leistungen zu erstatten haben, wobei im Falle der Unmöglichkeit einer nachträglichen Rückerstattung eine wertmäßige Saldierung der beiderseitigen Erstattungsansprüche durchgeführt wird.

Ich empfehle Ihnen, anhand der Protokolle und Vertragsunterlagen abzuprüfen, ob die Anforderungen der §§ 121, 122 InvG eingehalten wurden, und ggfs. nach § 127 InvG die Rückabwicklung der Verträge gegen die Bank geltend zu machen.

Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.

Mit freundlichen Grüßen
Carsten Neumann, Rechtsanwalt
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