Abwasseranschluss über Privatgrundstück

14. September 2011 15:50 |
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Baurecht, Architektenrecht


Nach der Errichtung einer öffentlichen Kläranlage in unserer Thüringer Stadt wurden die Haushalte unserer Eigenheimsiedlung aufgefordert, bis Ende 2011 die bisher betriebenen privaten Kleinkläranlagen stillzulegen (kurzzuschließen) und somit den Anschluss an die öffentliche Kläranlage umzusetzen.

Ich habe bisher eine Kleinkläranlage gemeinsam mit meinem Nachbarn betrieben. Das gemeinsame Abwasser wurde über einen ausschließlich durch mein Grundstück verlaufenden Kanal in das öffentliche Netz geführt. Dieser Kanal soll lt. Aussagen der Stadt nun weiter gemeinsam mit dem Nachbarn genutzt werden. Jedoch meint die Stadt, dieser Kanal wäre privat, da er auf meinem Grundstück verläuft. Somit sind Streitigkeiten mit dem Nachbarn vorprogrammiert, wenn es z.B. zu Haftungsfragen oder Investitionsfragen kommmt.
Der Kanal wurde 1989 durch die Gemeinde auf meinem späteren Grundstück errichtet, danach mir und dem Nachbarn zur gemeinschaftlichen Nutzung bereitgestellt und bis heute nicht privatisiert. Diesbezügliche Eintragungen im Grundbuch gibt es keine.

Frage: ist die Stadt als Rechtsnachfolger der Gemeinde berechtigt, mich zur Mitnutzung des Kanals durch den Nachbarn zu zwingen und gleichzeitig zu erklären, das dieses Kanalstück privat ist und somit nicht in der Verantwortung der Stadt liegt?

Muss nicht die Stadt dem Nachbargrundstück einen eigenen Anschluss bereitstellen, selbst wenn das für den Nachbarn technisch aufwändig wäre diesen Anschluss zu nutzen?

Ich hätte kein Problem mit der Mitnutzung durch den Nachbarn, aber nur, wenn das gemeinschaftliche auf meinem Grundstück verlaufende Kanalstück öffentlich und somit in der Verantwortung der Stadt bleibt.
Sehr geehrter Fragesteller,

die Frage beantworte ich wie folgt:

Frage: ist die Stadt als Rechtsnachfolger der Gemeinde berechtigt, mich zur Mitnutzung des Kanals durch den Nachbarn zu zwingen und gleichzeitig zu erklären, das dieses Kanalstück privat ist und somit nicht in der Verantwortung der Stadt liegt?

Nein. Bis sie Sie enteignet hat, oder Sie die Nutzung durch den Nachbarn stillschweigend dulden, kann sie das nicht machen. Falls Ihnen durch einen Verwaltungsakt angeordnet wird, dass Sie die Nutzung des Kanals durch den Nachbarn dulden müssen, können Sie dagegen gerichtlich vorgehen.

Muss nicht die Stadt dem Nachbargrundstück einen eigenen Anschluss bereitstellen, selbst wenn das für den Nachbarn technisch aufwändig wäre diesen Anschluss zu nutzen?

Wenn nicht anderes abhilft, kann die Stadt Sie enteignen, wobei sie Ihnen nur die Befugnis entzogen hätte, dem Nachbarn die Nutzung des Kanals zu verweigern, oder sie kann auch eine Eintragung in das Baulastenverzeichnis gem. § 80 Abs. 1 ThürBO erzwingen.

Ich hätte kein Problem mit der Mitnutzung durch den Nachbarn, aber nur, wenn das gemeinschaftliche auf meinem Grundstück verlaufende Kanalstück öffentlich und somit in der Verantwortung der Stadt bleibt.

Wenn Sie das schon so sehen, so sollen Sie auf die Bauaufsichtsbehörde zugehen und ihr mitteilen, dass Sie bereit sind, dem Nachbar die Nutzung des Kanals zu erlauben, wenn bestimmte Auflagen, Widerrufsvorbehalte,Befristungen oder Bedingungen in das Baulastenverzeichnis aufgenommen werden. Das ist gem. § 80 Abs.4 Nr.2 ThürBO erlaubt. Sie können zB dem Nachbar erlauben, dass er den Kanal nutzt unter der Bedingungen, dass er die Kosten für die Instands- oder Instandssetzung oder Investitionensmaßnahmen übernimmt bzw. mit Ihnen teilt und dass dies den geltenden Vorschriften entsprechen soll, wobei bei Meinungsverschiedenheiten die TÜV oder ein sonstiger Sachverständiger entscheiden soll, ob und inwieweit die Investitionen zu tätigen sind.

Anliegend erhalten Sie Auszug aus dem ThürBO:

Thüringer Bauordnung (ThürBO)*
in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. März 2004
§ 80
Baulasten und Baulastenverzeichnis
(1) Durch Erklärung gegenüber der Bauaufsichtsbehörde können Grundstückseigentümer öffentlich-rechtliche Verpflichtungen zu einem ihre Grundstücke betreffenden Tun, Dulden oder Unterlassen übernehmen, die sich nicht schon aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben (Baulasten). Baulasten werden unbeschadet der Rechte Dritter mit der Eintragung in das Baulastenverzeichnis wirksam und wirken auch gegenüber dem Rechtsnachfolger.

(2) Die Erklärung nach Absatz 1 bedarf der Schriftform; die Unterschrift muss öffentlich beglaubigt oder vor der Bauaufsichtsbehörde geleistet oder von ihr anerkannt werden.

(3) Die Baulast geht durch schriftlichen Verzicht der Bauaufsichtsbehörde unter. Der Verzicht ist zu erklären, wenn ein öffentliches Interesse an der Baulast nicht mehr besteht. Vor dem Verzicht sollen der Verpflichtete und die durch die Baulast Begünstigten angehört werden. Der Verzicht wird mit der Löschung der Baulast im Baulastenverzeichnis wirksam.

(4) Das Baulastenverzeichnis wird von der Bauaufsichtsbehörde geführt. In das Baulastenverzeichnis können auch eingetragen werden

1.
andere baurechtliche Verpflichtungen des Grundstückseigentümers zu einem sein Grundstück betreffenden Tun, Dulden oder Unterlassen,

2.
Auflagen, Bedingungen, Befristungen und Widerrufsvorbehalte.

(5) Wer ein berechtigtes Interesse darlegt, kann in das Baulastenverzeichnis Einsicht nehmen oder sich Abschriften erteilen lassen.
Rückfrage vom Fragesteller 14. September 2011 | 18:35

Zitat:
Ich hätte kein Problem mit der Mitnutzung durch den Nachbarn, aber nur, wenn das gemeinschaftliche auf meinem Grundstück verlaufende Kanalstück öffentlich und somit in der Verantwortung der Stadt bleibt.

dazu ergänzende frage:
Ist es überhaupt möglich, dass der auf meinem Privatgrundstück verlaufende Abwasserkanal öffentlich ist/wird? oder ist mit Erwerb des Grundstücks von der Stadt dieser Kanal in mein Eigentum übergegangen?

Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt 14. September 2011 | 19:16

Der Kanal ist mit der Überlassung des Grundstücks in Ihr Eigentum übergegangen. Daran gibt es keine Zweifel. Öffentlich kann er nur durch eine Enteignung werden. Ihnen als Eigentümer stehen Rechte gem. § 903 BGB und noch weitere Rechte gem. Art. 14 GG. Einen Dritten, damit auch den Nachbarn können Sie von der Einwirkung auf die Sache ausschalten.
Es gibt aber diese Verwaltungsakte mit enteignender Wirkung. Sollte die Stadt dem Nachbar die Nutzung des Kanals ohne Ihre Erlaubnis gestatten wollen, so sollen Sie sich an einen Anwalt wenden.

Ergänzung vom Anwalt 14. September 2011 | 19:34
Sie müssen aber auch beachten, dass der durch Ihr Grundstück verlaufende Kanal der Öffentlichkeit gewidmet ist. Dann entsteht öffentliche Sachherrschaft, die Sie unter Umständen von der Ausübung Ihrer Eigentümerbefügnisse ausschließen kann. Dann müssen Ihre Rechte aus dem zivilrechtlichen Eigentum gegenüber der öffentlichen Sachherrschaft zurücktreten. Das ist aber vor allem dann der Fall, wenn Sie als Eigentümer jahrelang einen solchen Zustand geduldet hätten. Hier würde ich sagen, dass die Gemeinde für die Nutzung und die Verwaltung schon zahlen soll.
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