Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen wie folgt beantworten:
1. Ist die Verabreichung von Ciatyl Acuphase als Zwangsmedikation ohne richterliche Genehmigung bei bereits fixiertem Patienten rechtlich zulässig?
Die Fixierung eines Patienten ist eine Maßnahme der Gefahrenabwehr und unterliegt den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen der Länder. Zwangsmaßnahmen, die nicht der Heilung, sondern allein der Abwendung einer Gefahr für Leib oder Leben dienen, können unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne richterliche Genehmigung erfolgen, wenn eine akute Gefahr besteht.
Allerdings ist die Zwangsmedikation – also die Verabreichung eines Medikaments gegen den natürlichen Willen des Patienten – grundsätzlich als erheblicher Eingriff in die Grundrechte zu werten und bedarf in der Regel einer richterlichen Genehmigung. Dies gilt insbesondere für Medikamente mit Depotwirkung wie Ciatyl Acuphase, da deren Wirkung über mehrere Tage anhält und somit eine nachhaltige Freiheitsentziehung darstellt.
2. Gilt dies als rechtmäßige Notfallmedikation oder als Körperverletzung?
Eine Notfallmedikation ohne richterliche Genehmigung ist nur dann zulässig, wenn eine akute, nicht anders abwendbare Gefahr für Leib oder Leben besteht und keine Zeit bleibt, eine richterliche Entscheidung einzuholen.
Die Anwendung eines Depot-Neuroleptikums wie Ciatyl Acuphase wird in der Praxis und nach Leitlinien (siehe unten) jedoch nicht als klassische Notfallmedikation angesehen, da die Wirkung verzögert eintritt und lange anhält. Wird das Medikament ohne rechtfertigenden Notfall und ohne richterliche Genehmigung verabreicht, liegt grundsätzlich eine Körperverletzung vor.
3. Kann eine richterliche Genehmigung für Zwangsmedikation nachträglich eingeholt werden?
Eine nachträgliche richterliche Genehmigung ist in echten Notfällen möglich, wenn die Maßnahme zur Abwehr einer akuten Gefahr sofort erforderlich war und eine vorherige richterliche Entscheidung nicht eingeholt werden konnte.
Allerdings ist die Schwelle für einen solchen Notfall hoch, und die Maßnahme muss unverzüglich dem Gericht angezeigt werden. Für Depotmedikamente ist dies besonders kritisch zu sehen, da deren Wirkung nicht kurzfristig, sondern über Tage anhält.
4. Wie ist die Rechtslage, wenn zwar ein richterlicher Beschluss für eine Zwangsbehandlung vorliegt, dieser aber keine Zwangsmedikation beinhaltet?
Wenn der richterliche Beschluss keine Zwangsmedikation umfasst, ist diese nicht gedeckt und somit unzulässig. Therapiemaßnahmen, insbesondere Zwangsmedikation, müssen im Beschluss konkret benannt sein.
Eine eigenmächtige Ausweitung der Maßnahmen durch das Personal oder den Arzt ist nicht zulässig.
5. DGPPN-Leitlinie: Ciatyl Acuphase als Notfallmedikation ausgeschlossen – rechtliche Relevanz?
Leitlinien wie die der DGPPN sind medizinisch-fachliche Standards und können im Rahmen der Auslegung des rechtlichen Sorgfaltsmaßstabs herangezogen werden. Wenn die Leitlinie Ciatyl Acuphase als Notfallmedikation ausschließt, spricht dies gegen die Zulässigkeit des Einsatzes als Notfallmedikation. Ein Verstoß gegen Leitlinien kann im Haftungsfall als Indiz für ein rechtswidriges Verhalten gewertet werden.
6. Gibt es ein rechtliches „Schlupfloch" für den Einsatz dieser Depotspritze ohne richterliche Anordnung?
Ein solches „Schlupfloch" existiert nicht. Die Anwendung von Depot-Neuroleptika ohne richterliche Genehmigung ist nur in absoluten, nicht anders abwendbaren Notfällen denkbar, wobei die Anforderungen an die Rechtfertigung extrem hoch sind. Die Notfallregelung ist auf akute, kurzfristig wirkende Medikamente zugeschnitten, nicht auf Depotpräparate.
7. Wie kann ich als Pflegekraft rechtssicher vorgehen, wenn ich eine solche Behandlung beobachte?
Sie sind verpflichtet, rechtswidrige Maßnahmen zu melden. Zunächst sollten Sie den Vorfall intern an Ihre Vorgesetzten und ggf. an den ärztlichen Dienst melden.
Reicht dies nicht aus oder wird der Vorfall nicht aufgeklärt, können und sollten Sie sich an externe Stellen wenden, etwa die Heimaufsicht, das Gesundheitsamt oder – bei Verdacht auf Straftaten wie Körperverletzung – an die Staatsanwaltschaft.
Sie sollten Ihre Meldung stets schriftlich dokumentieren (Datum, Uhrzeit, beteiligte Personen, genaue Schilderung des Vorfalls) und sich eine Eingangsbestätigung geben lassen. So sichern Sie sich gegen mögliche Vorwürfe der unterlassenen Hilfeleistung oder Mitwirkung an einer Straftat ab.
8. Reicht es aus, nur intern zu melden, oder bin ich verpflichtet, externe Stellen zu informieren?
Wenn Sie den begründeten Verdacht haben, dass eine Straftat (z. B. Körperverletzung) vorliegt und intern keine Abhilfe geschaffen wird, sind Sie verpflichtet, externe Stellen zu informieren. Andernfalls könnten Sie sich selbst strafbar machen (z. B. wegen unterlassener Hilfeleistung oder Beihilfe).
9. Welche rechtlichen Risiken bestehen für mich, wenn ich nicht oder nur intern melde?
Sie riskieren, sich wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB) oder Beihilfe zur Körperverletzung strafbar zu machen, wenn Sie von einer rechtswidrigen Zwangsmedikation wissen und nicht angemessen reagieren. Auch arbeitsrechtliche Konsequenzen sind möglich.
10. Wie kann ich mich absichern, dass meine Meldung rechtssicher dokumentiert ist und nicht zu Nachteilen für mich führt?
Dokumentieren Sie Ihre Meldung schriftlich, bewahren Sie Kopien auf und lassen Sie sich den Eingang bestätigen. Sie können sich auf das Hinweisgeberschutzgesetz berufen, das Sie vor Benachteiligungen schützt, wenn Sie in gutem Glauben auf Missstände hinweisen.
11. Was tun, wenn das Gericht Ciatyl Acuphase nicht als Zwangsmedikation erkennt und eine Grauzone entsteht?
Sie können das Gericht schriftlich auf die Problematik hinweisen und auf die DGPPN-Leitlinie sowie die rechtlichen Anforderungen an Zwangsmedikation aufmerksam machen. Dokumentieren Sie Ihre Bedenken und wenden Sie sich ggf. an die Patientenfürsprache, den Betreuungsrichter oder die zuständige Aufsichtsbehörde.
Fazit:
Die Verabreichung von Ciatyl Acuphase als Zwangsmedikation ohne richterliche Genehmigung ist grundsätzlich unzulässig und stellt in der Regel eine Körperverletzung dar, sofern keine akute, nicht anders abwendbare Notlage vorliegt. Als Pflegekraft sind Sie verpflichtet, solche Vorfälle zu melden und sich rechtlich abzusichern. Die Einhaltung medizinischer Leitlinien ist auch rechtlich relevant. Ein „Schlupfloch" für den Einsatz von Depot-Neuroleptika ohne richterliche Anordnung besteht nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Milad Ahmadi
Rechtsanwalt
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vonRechtsanwalt Dr. Milad Ahmadi
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Was gilt nach aktueller Rechtslage (NRW) in der Psychiatrie konkret als „akute, nicht abwendbare Notlage"?
Ist es rechtlich noch gerechtfertigt, einem Patienten ein stark sedierendes Neuroleptikum (z. B. Ciatyl-Acuphase) intramuskulär zu verabreichen, wenn sich dieser bereits in einer mechanischen Fixierung mit Gurten befindet? Oder würde in diesem Fall das Vorliegen einer „akuten, nicht abwendbaren Notlage" entfallen, weil durch die Fixierung die unmittelbare Gefahr bereits abgewendet ist?
Vielen Dank im Voraus.
Nach der aktuellen Rechtslage in NRW ist es in aller Regel nicht mehr gerechtfertigt, einem bereits mechanisch fixierten Patienten zusätzlich ein stark sedierendes Neuroleptikum wie Ciatyl Acuphase ohne richterliche Genehmigung zu verabreichen. Die „akute, nicht abwendbare Notlage" entfällt durch die Fixierung, da die unmittelbare Gefahr bereits abgewendet ist. Eine zusätzliche Zwangsmedikation wäre dann nicht mehr durch das Notfallrecht gedeckt und könnte als rechtswidrige Körperverletzung gewertet werden.