Antwort
vonRechtsanwalt Valentin Becker
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nach deutschem Recht kommt es im Wesentlichen darauf an, wer mit wem einen verbindlichen Mietvertrag über den Leihwagen geschlossen hat. Wenn Sie nie einen Vertrag unterschrieben haben und Ihnen auch keine Mietbedingungen ausgehändigt wurden, besteht zwischen Ihnen und der Leihwagenfirma kein unmittelbares Vertragsverhältnis. Das bedeutet, dass die Leihwagenfirma Sie grundsätzlich nicht direkt aus dem Vertrag in Anspruch nehmen kann, den sie mit dem Autohersteller geschlossen hat.
In § 535 BGB heißt es, dass durch den Mietvertrag der Vermieter verpflichtet ist, dem Mieter die Mietsache zum Gebrauch zu überlassen, und der Mieter im Gegenzug zur Entrichtung der Miete verpflichtet ist. Hier hat aber nicht—wie sonst üblich—die Leihwagenfirma mit Ihnen einen Vertrag geschlossen, sondern diese steht vertraglich nur gegenüber dem Autohersteller (der sogenannte Flottenkunde). Sie haben in Ihrem Fall weder das Mietobjekt persönlich abgeholt, noch die AGB oder einen Mietvertrag unterzeichnet. Die Leihwagenfirma hat Ihnen den Wagen auf Bitten des Herstellers zur Verfügung gestellt (Mobilitätsgarantie), ohne dass Sie jemals selbst Vertragspartner geworden wären. Dementsprechend scheidet ein direkter Anspruch der Vermieterin gegen Sie aus, weil Sie niemals "Mieter" im Sinn des § 535 BGB waren.
Auch eine sogenannte „Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter" (§ 328 BGB) kommt hier nicht in Betracht. Ein solcher Vertrag setzt voraus, dass die Vertragsparteien erkennbar den Dritten (also Sie) in ihren Schutzbereich einbeziehen wollten. Sowohl Autohaus als auch Leihwagenfirma hatten kein Interesse daran, Sie als Mieter zu verpflichten – sie wollten das Vertragsverhältnis allein zwischen Hersteller und Vermieter regeln. Dass Sie den Wagen benutzt haben, geschah nur, weil der Hersteller es so arrangiert hat.
Ferner müsste die Leihwagenfirma beweisen, dass die strafbaren oder vertraglichen Voraussetzungen für eine Schadenshaftung vorliegen. Bei einem Mietwagen, den man ohne eigenen Vertrag nutzt, kommt allenfalls eine Haftung aus §§ 280, 286 BGB infrage – also eine Schadensersatzpflicht, weil Sie mangelhaft mit der Sache umgegangen sein sollen. Dafür müssten Sie die vertraglich vereinbarten Pflichten verletzt haben. Doch hierfür bräuchte die Firma zuerst einmal einen wirksamen Vertrag, aus dem sich etwa eine Selbstbeteiligung von 800 € ergibt. Liegt kein Vertrag in Ihrer Person vor, können Sie sich auch nicht aus diesen Vertragsklauseln binden lassen. Damit entfallen sämtliche Pflichten, die sich aus einem solchen Vertrag ergeben würden (zum Beispiel Haftung bei Schäden bis zur Höhe der Selbstbeteiligung).
Einmal angenommen, die Kratzer am Kotflügel seien tatsächlich während der Mietzeit entstanden, dann müsste die Vermieterin den Schaden gegen denjenigen geltend machen, der gemietet hat – also den Hersteller. Wenn der Hersteller seinerseits Sie in Regress nehmen wollte, müsste er nachweisen, dass genau Sie den Schaden vorsätzlich oder fahrlässig verursacht haben. Ein Schadenersatzanspruch aus § 280 BGB setzt nämlich voraus, dass Sie eine Pflicht aus dem Vertrag verletzt haben. Das wäre hier höchstens eine Pflichtverletzung aus einem (unmittelbar zwischen Ihnen und der Vermieterin nicht bestehenden) Mietvertrag, der Sie zur sorgfältigen Behandlung verpflichtet hätte. Da es aber gar keinen Vertrag zwischen Ihnen und der Vermieterin gibt, ist auch gar kein entsprechendes Verschulden zuzuordnen.
Rein zivilrechtlich dürfte allenfalls eine Haftung als sogenannter „Erfüllungsgehilfe" des Herstellers in Betracht (§ 278 BGB) kommen. Ein solchet handelt im Rahmen der Erfüllung fremder Pflichten. Nachdem Sie den Leihwagen aber nicht im Auftrag der Leihwagenfirma (sondern im Auftrag des Herstellers) übernommen hatten, könnte man höchstens argumentieren, Sie seien Erfüllungsgehilfe des Herstellers und somit müsste der Hersteller Sie für die Schäden in Anspruch nehmen. Damit läge die Kausalität:
Hersteller → Sie → Leihwagenfirma. Doch auch in diesem Fall müssten die Leihwagenfirma trotzdem erst einmal vom Hersteller das Geld fordern. Eine Direktforderung gegen Sie wäre weiterhin aussichtslos, weil die Leihwagenfirma keinen vertraglichen oder sonstigen Schadensersatzanspruch direkt gegen Sie haben kann.
Unabhängig davon muss die Vermieterin darlegen, dass der Schaden in dem kurzen Zeitraum, in dem Sie den Wagen genutzt haben, tatsächlich neu entstanden ist. Üblich ist bei Fahrzeugüberlassungen, dass eine Übergabeprotokoll erstellt wird, in dem vorhandene Beschädigungen dokumentiert werden. Haben Sie niemals ein solches Protokoll erhalten oder unterschrieben, kann die Firma nicht beweisen, dass die Kratzer während Ihrer Nutzung entstanden sind. Ohne ein Übergabeprotokoll zu dem genauen Zeitpunkt Ihrer Übernahme sind dafür immer nur Mutmaßungen möglich. Sollte die Leihwagenfirma behaupten, die Kratzer wären erst nach Abholung des Wagens durch Sie entstanden, muss sie darlegen, dass niemand sonst Zugang zum Fahrzeug hatte. In Ihrem Fall wurde der Leihwagen offenbar am Parkplatz der Werkstatt abgestellt, ohne dass Sie eine Übergabe bestätigen mussten. Wenn die Wagenabholung oder Rückgabe nicht durch ein Protokoll begleitet wurde, ist nicht klar, ob der Schaden nicht schon vor Ihrer Nutzung bestanden hat oder erst nach Ihrem Abgeben – beispielsweise beim Verladen auf einen Transporter zur nächsten Station.
Rechtlich gesehen können Sie daher wie folgt vorgehen:
Fordern Sie die Leihwagenfirma schriftlich (per Einschreiben mit Rückschein) auf, konkret nachzuweisen, wann und unter welchen Umständen die Kratzer entstanden sein sollen. Bitten Sie um Vorlage eines Übergabeprotokolls vom Tag der Überlassung und eines Protokolls vom Rückgabetag. Solange diese Dokumente fehlen, können Sie nicht plausibel beschuldigt werden. Verweisen Sie auf Ihre Kenntnis, keinen Unfall verursacht und keinen Mietvertrag unterschrieben zu haben.
Weisen Sie auch explizit darauf hin, dass es keinen von Ihnen unterzeichneten Vertrag mit der Leihwagenfirma gab und dass Sie deshalb nicht an die Klauseln gebunden sind, die zwischen Hersteller und Verleiher gelten. Machen Sie deutlich, dass Sie lediglich das Angebot des Herstellers aus Mobilitätsgründen wahrgenommen haben und selbst nie Vertragspartei der Vermieterin waren.
Teilen Sie der Leihwagenfirma mit, dass Sie keine vertragliche Beziehung zu ihr haben und dass sie allfällige Schadensersatzansprüche gegen denjenigen geltend machen muss, mit dem sie den Mietvertrag geschlossen hat – nämlich gegen den Autohersteller als unmittelbaren Vertragspartner. Wenn sich die Leihwagenfirma wehrt, möchten Sie schriftlich bestätigt wissen, dass sie Ihnen keine vertragliche Selbstbeteiligungsschuld nachweisen kann.
Selbst wenn die Leihwagenfirma Ihnen gegenüber argumentieren sollte, Sie seien stillschweigend Vertragsnehmer geworden, nur weil Sie den Wagen in Empfang genommen haben, bleibt ihre Beweislast bestehen. Sie muss nachweisen, dass Sie genau jene Mindestanforderung erfüllt haben, die nötig ist, um einen Mietvertrag herbeizuführen – etwa dass Sie die Mietbedingungen ausdrücklich akzeptiert haben oder dass Sie einen Generalschlüssel erhalten haben und mit diesem Schlüssel („Schlüsseltäuschung") freiwillig Mietbedingungen anerkannt haben. Fehlt dieser Nachweis, können Sie sich darauf berufen, dass Sie keinen Vertrag abgeschlossen haben.
Manche Vermieter berufen sich auf §§ 823 ff. BGB oder gar auf strafrechtliche Vorschriften, wenn sie Schäden geltend machen. Ihnen geht es aber nicht darum, Strafbarkeitsrisiken zu prüfen, sondern um die zivilrechtliche Frage. Sie haften nur, wenn Sie schuldhaft gehandelt haben und zugleich ein Vertragsverhältnis Sie zur Schadensdeckung verpflichtet. Beides ist hier nicht der Fall.
Fazit: Da Sie nie einen Mietvertrag unterschrieben haben und der Wagen ohne Protokoll übergeben wurde, besteht zwischen Ihnen und der Leihwagenfirma kein wirksames Vertragsverhältnis. Ohne Vertrag können Sie nicht verpflichtet werden, 800 € Selbstbeteiligung zu zahlen. Zudem muss die Vermieterin nachweisen, dass die Kratzer während Ihrer Nutzung entstanden sind – wofür sie ein Übergabe- und ein Rückgabeprotokoll benötigt. Da weder ein solcher Nachweis vorliegt noch ein Vertragsverhältnis mit Ihnen existiert, können Sie die Forderung zurückweisen. Die Leihwagenfirma muss ihre Ansprüche gegenüber dem Autohersteller geltend machen.
Viele Grüße
Danke für die schnelle und ausführliche Antwort, ich werde mich dann mal zurücklehnen und den weiteren Verlauf abwarten. Folgendes muss ich nachfragen, weil unklar:
Sie schreiben "Fordern Sie die Leihwagenfirma schriftlich (per Einschreiben mit Rückschein) auf, konkret nachzuweisen, wann und unter welchen Umständen die Kratzer entstanden sein sollen. Bitten Sie um Vorlage eines Übergabeprotokolls vom Tag der Überlassung und eines Protokolls vom Rückgabetag."
Was bringt mir das? Es gab ja keine Übergabe und entsprechend habe ich kein Protokoll unterschrieben. Allerdings können die Mitarbeiter der Leihwagenfirma sicherlich ein Dokument ohne meine Beteiligung und Unterschrift herstellen. Hat das dann eine Bedeutung?
Sie schreiben "... oder dass Sie einen Generalschlüssel erhalten haben und mit diesem Schlüssel („Schlüsseltäuschung") freiwillig Mietbedingungen anerkannt haben."
Was ist ein Generalschlüssel und wieso erkennt man damit etwas an? Ich habe natürlich den Autoschlüssel erhalten, sonst hätte ich das Auto nicht benutzen können. Übergeben hat ihn mir der Mann von der Werkstatt und an den gab ich ihn zurück. Mit den Mitarbeitern von der Leihwagenfirma wie gesagt kein Kontakt.
Sehr gerne!
Wenn Sie die Leihwagenfirma schriftlich auffordern, Ihnen ein Übergabe- und ein Rückgabeprotokoll vorzulegen, verfolgen Sie damit in erster Linie das Ziel, die Beweislast eindeutig auf die Firma zu verlagern. In einem Miet- oder Leihverhältnis muss derjenige, der Ansprüche geltend macht – hier also die Leihwagenfirma – nachweisen, dass der von ihm behauptete Schaden tatsächlich während Ihrer Nutzungsphase entstanden ist. Ein schriftliches Protokoll, in dem zum Zeitpunkt der Fahrzeugbereitstellung der Zustand des Kotflügels festgehalten wurde, gefolgt von einem Protokoll zum Zeitpunkt der Rückgabe, wäre der geeignetste Beweis dafür, dass Sie den Schaden verursacht haben. Sofern ein solches Dokument nicht existiert, steht die Firma vor dem Problem, dass sie nur behaupten kann, der Schaden sei in dem kurzen Zeitraum, in dem Sie den Wagen gefahren haben, entstanden. Ein derartiges "Mutmaßungsverfahren" reicht vor Gericht jedoch in der Regel nicht aus, um Ihre Haftung festzustellen. Selbst wenn die Mitarbeiter der Leihwagenfirma unbeteiligte Dritte beauftragen würden, ein rückdatiertes Protokoll zu erstellen, genügt dies nicht, um einen rechtserheblichen Beweis zu liefern; die Firma müsste nämlich darlegen, dass dieses Dokument bereits damals, zur Zeit der Übergabe, tatsächlich gefertigt und von niemandem manipuliert wurde. Sobald Sie in Ihrem Schreiben deutlich machen, dass Ihnen kein Protokoll vorgelegen hat und dass Sie den Wagen über keinen von der Firma unterzeichneten Übernahmezettel in Empfang genommen haben, ist jedem Gerichtspflichtigen klar, dass der einzige Beweis, den die Firma vorlegen kann, höchstwahrscheinlich eine nachträgliche, nicht verifizierte Behauptung sein wird. Sobald Sie also keine Unterschrift oder anderweitige Bestätigung geleistet haben und der Wagen schlicht auf dem Werkstattparkplatz abgestellt war, hat kein unabhängiger Zeuge festgehalten, dass der Kotflügel zum Zeitpunkt der Übergabe in einem unversehrten Zustand war. Die Forderung von Schäden kann dadurch juristisch kaum tragfähig sein.
Zum Thema „Generalschlüssel": Damit ist gemeint, dass manche Leihwagenfirmen ihre Fahrzeuge über ein zentralisiertes Schlüsselsystem bereitstellen, beispielsweise in einer Sammelkiste vor Ort oder in einer Schlüsselbox, zu der der Fahrer lediglich mit einem Code oder einer Chipkarte Zugang hat. Entscheidend ist dabei, dass der Leihnehmer in dem Moment, in dem er den Schlüssel entnimmt und somit das Fahrzeug in Besitz nimmt, seine allgemeinen Mietbedingungen – die in der Regel in einer mit dem Schlüssel verwahrten Mappe hinterlegt sind oder über einen Link elektronisch abgerufen werden können – automatisch akzeptiert hat. Dieses Verfahren der elektronischen oder konkludenten Annahme nennt man „Schlüsseltäuschung", weil der Schlüsselzugang das Einverständnis mit den Bedingungen voraussetzt, ohne dass die AGB oder der Vertragspunkt explizit eigenhändig unterzeichnet werden müssen. In Ihrem Fall haben Sie jedoch erklärt, dass Sie weder das Fahrzeug in dieser Form übernommen haben, noch jemals einem Terminal oder einer elektronischen Box einen Code entnommen hätten. Stattdessen hat der Werkstattmitarbeiter Ihnen ohne Zwischenschaltung eines solchen Systems den Schlüssel direkt übergeben. Damit fehlt die konkludente Willenserklärung, die notwendig wäre, um Sie rückwirkend an die Mietbedingungen zu binden. Sie müssen also nicht befürchten, dass Ihnen die Leihwagenfirma mit dem Hinweis auf eine „Generalschlüsselmethode" eine vertragliche Zustimmung unterjubelt, da dieses Verfahren bei Ihnen nicht angewendet wurde.
Sollte die Firma dennoch versuchen, Ihnen über ein eigens erstelltes oder elektronisch erzeugtes „Übergabeprotokoll" eine Schadenszuschreibung vorzulegen, könnten Sie weiterhin entgegnen, dass Sie zu keinem Zeitpunkt in den Besitz der AGB gekommen sind und dass ein nachträglich erstelltes Dokument nicht beweist, dass zu Beginn Ihrer Nutzung keine Kratzer vorhanden waren. Selbst wenn die Firma behauptet, den Schaden erst beim Rücktransport bemerkt zu haben, wäre zu klären, ob der Wagen nicht auch nach Ihrem Zurückstellen auf dem Werkstattparkplatz nochmal bewegt oder umgeparkt wurde, wodurch ein neuer Kratzer entstehen könnte, ohne dass Sie dafür verantwortlich sind. Damit entziehen Sie der Firma endgültig den festen Boden, den sie für eine Forderung bräuchte.
In der Summe reduziert sich Ihre Position also nicht darauf, dass Sie lediglich behaupten, keinen Schaden verursacht zu haben, sondern Sie legen dar, dass die Firma nicht einmal die grundlegende schlüssige Beweisführung betreibt. Indem Sie anfordern, das original erstellte Übergabe- und Rückgabeprotokoll vorzulegen, weisen Sie die Leihwagenfirma gezielt auf ihre Nachweispflicht hin. Fehlt dieser Nachweis, wird die Forderung in aller Regel nicht durchsetzbar sein. Gleichzeitig wird deutlich, dass Sie kein generelles Vertragsverhältnis mit der Firma hatten, weil weder eine ausdrückliche Annahme der Mietbedingungen noch eine konkludente Schlüsseltäuschung stattgefunden hat.:
Es bleibt dabei: Ohne wirksamen Vertrag und ohne Beweis für eine während Ihrer Nutzungszeit verursachte Beschädigung sind Sie meines Erachtens nicht einfach verpflichtet, die angedrohten 800 € zu zahlen.
Beste Grüße