Gewerbe-Mietpreiserhöhung nach Verbraucher-Preis-Index

8. Oktober 2025 22:49 |
Preis: 70,00 € |

Mietrecht, Wohnungseigentum


Beantwortet von

Ich habe einen Seminarraum (Gewerbeimmobilie).
Die Miete ist seit ca 21 Jahren konstant geblieben, u.a. weil wir Eigenleistungen wie die Sanierung der sanitären Anlagen geleistet haben.
Der neue Vermieter verlangt nun eine Mietpreiserhöhung von 53,9 %, und begründet dies mit folgendem Passus im Mietvertrag: "Verändert sich der .. Lebenshaltungskostenindex ....künftig gegenüber dem Stande des Vertragsabschlusses ...so sind beide Vertragsparteien berechtigt, die Neufestsetzung des Mietzins zu verlangen."

Darf der neue Vermieter das? Es lag im Ermessen des vorherigen Vermieters, die Kaltmiete nicht an den Verbraucherpreisindex anzupassen. Der Mietvertrag sieht keine Verpflichtung zur Mieterhöhung vor.
Darf der neue Vermieter also so eine Mietpreiserhöhung vornehmen?
Darf er dabei eine prozentuale Erhöhung vornehmen, die sich am Verbraucherindex orientiert?

Hier ist doch von Neufestsetzung die Rede und nicht -wie der neue Vermieter es annimmt - von einer notwendigerweise prozentualen Erhöhung , die sich am Verbraucherindex orientiert.

Was kann ich tun, bzw. wie kann ich gegenüber dem neuen Vermieter argumentieren, um eine solche drastische Mietpreiserhöhung zu verhindern? Oder ist das ganze rechtens?

Mit besten Grüßen

Andreas Schulz


9. Oktober 2025 | 02:09

Antwort

von


(1395)
Vorstadt 42
41812 Erkelenz
Tel: 02435 - 6114416
Tel: 0174 - 9994079
Web: https://www.rechtsanwalt-burgmer.com
E-Mail: ra-w.burgmer@online.de
Gerne zu Ihren Fragen auf der Basis der folgende

[b]1. Ausgangslage[/b]

[i]Langjähriger Gewerberaummietvertrag (Seminarraum), Laufzeit ca. 21 Jahre.
Bisher keine Mieterhöhungen; Mieter erbrachte Eigenleistungen (Sanierung etc.).
Mietvertrag enthält folgende Klausel:
„Verändert sich der Lebenshaltungskostenindex (…) künftig gegenüber dem Stande des Vertragsabschlusses, so sind beide Vertragsparteien berechtigt, die Neufestsetzung des Mietzinses zu verlangen."[/i]

Neuer Vermieter verlangt nun Mieterhöhung um 53,9 %, mit Bezug auf die Indexentwicklung.

2. Rechtslage

a) Charakter der Klausel
Diese Formulierung „berechtigt, die Neufestsetzung zu verlangen" spricht nicht für eine automatische Anpassung, sondern für ein Verhandlungsrecht.
Die Klausel gewährt also kein einseitiges Erhöhungsrecht, sondern eröffnet den Parteien lediglich die Möglichkeit, über eine neue Miethöhe zu verhandeln, wenn sich der Index wesentlich verändert hat.

Die Rechtsprechung (etwa BGH) unterscheidet klar zwischen:

-Indexierungsklauseln (automatische prozentuale Anpassung), und
-Neufestsetzungsklauseln (Anpassung durch Verhandlung).

Ihre Vertragsklausel fällt nach meiner Interpretation in die zweite Kategorie, also

[b]b) keine automatische oder gebundene Erhöhung [/b]

Die Klausel enthält keine Berechnungsformel und keine feste Bindung an den Indexwert, sondern lediglich einen Anpassungsanlass.

Damit besteht kein vertraglich bindender Anspruch auf eine bestimmte prozentuale Erhöhung – insbesondere nicht zwingend in Höhe der Indexsteigerung.

Der Vermieter darf daher [b]nicht einseitig [/b]eine Erhöhung „nach Index" festsetzen, sondern müsste mit Ihnen eine einvernehmliche Neufestsetzung aushandeln.

Nur wenn sich die Parteien nicht einigen, könnte in Ausnahmefällen eine gerichtliche Anpassung in Betracht kommen – dann aber auf Basis einer angemessenen ggf. ortsüblichen Marktmiete, nicht automatisch um den Indexwert.

c) Rolle des neuen Vermieters

Der Erwerber tritt gemäß § 566 BGB („Kauf bricht nicht Miete") in den bestehenden Vertrag unverändert ein.
Das bedeutet: Er hat keine weitergehenden Rechte als der frühere Vermieter.
Wenn der frühere Eigentümer auf die Geltendmachung von Anpassungen verzichtet hat, war das seine freie Entscheidung; der neue Eigentümer kann nicht rückwirkend oder nachholend für 21 Jahre erhöhen.

Allenfalls kann er ab jetzt die Neufestsetzung verlangen, muss diese aber mit Ihnen verhandeln. Eine 53,9 %ige Erhöhung per einseitiger Erklärung ist nicht wirksam.

d) Verhältnismäßigkeit und Treu und Glauben
Selbst wenn die Klausel als ein sog. dynamische Wertsicherung interpretiert würde, wäre eine derart sprunghafte Erhöhung nach jahrzehntelanger Untätigkeit treuwidrig (§ 242 BGB).
Die Rechtsprechung nimmt an, dass ein Vermieter, der über viele Jahre auf Indexanpassungen verzichtet, damit ein vertrauensbegründendes Verhalten setzt.

Die plötzliche Vollanpassung über zwei Jahrzehnte wäre daher regelmäßig unzulässig.

[b]3. Ergebnis[/b]

Die vom neuen Vermieter verlangte einseitige Mietpreiserhöhung um 53,9 % ist nicht rechtmäßig.
Die Vertragsklausel gewährt lediglich ein Verhandlungsrecht, keine automatische Anpassung.

Eine einseitige Berechnung nach VPI ist nicht vom Vertrag gedeckt.

Der neue Vermieter kann eine Neufestsetzung verlangen, muss diese aber mit Ihnen abstimmen.

Eine drastische Sprunganpassung nach 21 Jahren wäre zudem treuwidrig.

[b]4. Handlungsempfehlung und/ Argumentationslinie
[/b]
Sie können gegenüber dem Vermieter sachlich und juristisch fundiert argumentieren:

- Hinweis auf Vertragswortlaut:
Der Vertrag sieht keine automatische Anpassung vor („Neufestsetzung" ≠ „Erhöhung um denselben Prozentsatz").

- Verweis auf die Systematik der Indexklauseln:
Es fehlt eine verbindliche Rechenregel; daher ist die Klausel als Verhandlungsgrundlage zu verstehen.

- Treuwidrigkeit einer Vollanpassung:
Eine nachträgliche 53,9 %-Erhöhung nach 21 Jahren widerspricht dem Grundsatz von Treu und Glauben.

Vorschlag: Sie können eine maßvolle Anpassung anbieten, die den heutigen ggf. ortsüblichen Marktverhältnissen entspricht, oder ein gemeinsames Gutachten zur ortsüblichen Gewerbemiete anregen.

Meine Ausführungen stellen eine erste rechtliche Einschätzung auf Grundlage Ihrer Angaben dar und ersetzt keine individuelle Rechtsberatung unter Prüfung des vollständigen Vertrags, der relevanten Dokumente und der gewerblichen Ortsüblichkeit. Eine abschließende Beurteilung kann nur nach Einsicht des vollständigen Mietvertrags und etwaiger Nachträge erfolgen.
Zur Wahrung Ihrer Rechte empfehle ich, die Klausel und das Erhöhungsverlangen abschließend durch einen im Gewerberaummietrecht spezialisierten Rechtsanwalt (m/w), ggf. auch einen sachverständigen Makler oder Mediator prüfen zu lassen. Eine einvernehmliche (außergerichtliche) Einigung wäre für beide Seiten eine Win/win-Situation. Dennoch denke ich, Ihre Fragen hilfreich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten nutzen Sie die Nachfrageoption.

Mit freundlichen Grüßen


Rechtsanwalt Krim.-Dir. a.D. Willy Burgmer

ANTWORT VON

(1395)

Vorstadt 42
41812 Erkelenz
Tel: 02435 - 6114416
Tel: 0174 - 9994079

Web: https://www.rechtsanwalt-burgmer.com
E-Mail: ra-w.burgmer@online.de
RECHTSGEBIETE
Strafrecht, Arbeitsrecht, Erbrecht, Familienrecht, Sozialrecht, Miet- und Pachtrecht, Baurecht, Verwaltungsrecht, Vertragsrecht, Steuerrecht
Durchschnittliche Anwaltsbewertungen:
4,8 von 5 Sternen
(basierend auf 119054 Bewertungen)
FRAGESTELLER
Aktuelle Bewertungen
5,0/5,0
Eine so ausführliche und schnelle Beantwortung ist mehr als lobenswert. Keine Rückfrage notwendig. ...
5,0/5,0
Vielen Dank für die schnelle und nachvollziehbare Erläuterung. ...
5,0/5,0
Wow hätte Noenals gedacht das ein Fremder Mensch für wenig Geld hier mir so Hilft vielen Dank. ...