Sehr geehrte Fragestellerin,
nach Ihrer Schilderung wurde am 13.06. ein Umzugsvertrag für Jürgen (83 Jahre) mit dem Umzugsunternehmen geschlossen. Die Anzahlung erfolgte, der Umzug war für den 23.06. geplant. Am 16.06. erfolgte der Widerruf/Kündigung per E-Mail, am 18.06. forderte das Unternehmen 495 € Schadenersatz und verweist auf den Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB.
Im Folgenden erläutere ich die Rechtslage zu den einzelnen Aspekten:
1. Vertragsschluss und Anwendbarkeit des Widerrufsrechts
a) Vertragsschluss
Ein Vertrag ist durch Angebot und Annahme zustande gekommen. Die Anzahlung und die Kommunikation bestätigen dies.
b) Widerrufsrecht
Nach § 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB besteht kein Widerrufsrecht bei Verträgen über Dienstleistungen im Zusammenhang mit Freizeitbetätigungen, wenn der Vertrag für die Erbringung einen spezifischen Termin oder Zeitraum vorsieht. Dies gilt auch für Umzugsverträge:
„Nach § 312 g Abs. 2 Nr. 9 BGB ist ein Widerruf von Verträgen zur Erbringung von Dienstleistungen der Warenbeförderung, die zu einem bestimmten Termin zu erbringen sind, ausgeschlossen."
Dieser Ausschluss soll nach der Rechtsprechung des OLG Saarbrücken auch für die Beförderung von Umzugsgut gelten.
Das Unternehmen hat sich also zu Recht auf den Ausschluss des Widerrufsrechts berufen.
c) Informationspflicht über das Nichtbestehen des Widerrufsrechts
Das Unternehmen hätte Sie jedoch über das Nichtbestehen des Widerrufsrechts informieren müssen (Art. 246a § 1 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB). Fehlt diese Information, kann dies nach überwiegender Auffassung in der Literatur einen Anspruch auf Vertragsaufhebung begründen.
Es gibt jedoch keine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, sodass ein gewisses Prozessrisiko verbleibt.
2. Kündigung des Umzugsvertrags
Da das Widerrufsrecht ausgeschlossen ist, ist die Erklärung vom 16.06. als Kündigung des Umzugsvertrags zu werten.
a) Rechtsfolgen der Kündigung
Nach § 415 HGB kann das Umzugsunternehmen bei Kündigung durch den Auftraggeber eine sogenannte Fautfracht verlangen:
Das bedeutet:
Pauschal kann das Unternehmen ein Drittel (33,3%) der vereinbarten Fracht verlangen.
Mehr als ein Drittel darf nur verlangt werden, wenn das Unternehmen konkret nachweist, dass der Schaden höher ist (z.B. durch detaillierte Aufstellung der entgangenen Einnahmen und nicht ersparter Aufwendungen).
b) AGB-Klausel
Die AGB verweisen auf § 415 HGB und § 346 ff. BGB. Das ist zulässig, solange keine weitergehenden, für den Kunden nachteiligen Regelungen getroffen werden.
3. Berechnung der Forderung
Gesamtkosten des Umzugs: 1.950 €
Ein Drittel davon: 650 €
Das Unternehmen fordert 495 € Schadenersatz. Das entspricht etwa 25 % des Gesamtpreises und liegt unterhalb der pauschalen Fautfracht von 33,3 %. Diese Forderung ist daher rechtlich zulässig.
Die Anzahlung von 1.140 € übersteigt jedoch die geforderte Fautfracht. Das Unternehmen muss daher den übersteigenden Betrag (1.140 € - 495 € = 645 €) an Jürgen zurückzahlen.
4. Zusammenfassung und Empfehlung
Der Vertrag ist wirksam zustande gekommen.
Ein Widerrufsrecht besteht nicht, da es sich um einen Umzug zu einem festen Termin handelt (§ 312g Abs. 2 Nr. 9 BGB).
Die Kündigung ist wirksam; das Unternehmen kann pauschal ein Drittel der Fracht verlangen, sofern kein höherer Schaden nachgewiesen wird.
Die Forderung von 495 € ist rechtens, da sie unter dem pauschalen Drittel liegt.
Die Anzahlung ist zu hoch; das Unternehmen muss den Differenzbetrag zurückerstatten.
5. Fazit
Das Umzugsunternehmen kann im Rahmen der gesetzlichen Regelungen maximal ein Drittel der vereinbarten Fracht als Schadenersatz verlangen, sofern kein höherer Schaden nachgewiesen wird. Die Forderung von 495 € ist daher zulässig. Die Anzahlung ist entsprechend zu verrechnen und der übersteigende Betrag zurückzuzahlen.
Hinweis: Da die Informationspflicht über das Nichtbestehen des Widerrufsrechts nicht erfüllt wurde, besteht ein gewisses Prozessrisiko, falls Sie auf vollständige Rückzahlung bestehen. Die überwiegende Meinung in der Literatur sieht hier einen Anspruch auf Vertragsaufhebung, höchstrichterliche Rechtsprechung gibt es dazu jedoch m.E. derzeit noch nicht. Dies müsste ggfls. nochmals geprüft werden.
Ich hoffe, diese Ausführungen helfen Ihnen bei der weiteren Vorgehensweise.
Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Antwort
vonRechtsanwalt Olaf Tank, Wirtschaftsjurist
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