Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Das Jugendamt versucht natürlich bei Ihnen diese Gelder einzutreiben, in der Hoffnung, dass Sie sich aus „Angst" vor einer gerichtlichen Auseinandersetzung auf eine (ratenweise) Rückzahlung einlassen, so dass Sie letztendlich den Anspruch insgesamt anerkennen. Das sollten Sie natürlich nicht tun.
Sie haben vollkommen Recht. Die Rückforderung des Unterhaltsvorschuss aus den Jahren 2009 und 2010 ist zum 31.12.2012 bzw. 2013 verjährt. Es gilt die regelmäßige Verjährung von drei Jahren (§ 195 BGB
), die jeweils zum 31.12. des Jahres, in dem der Anspruch entstand, zu laufen begann, § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB
).
Die Verjährung ist auch sachgerecht, da der übergegangene Anspruch von der Vorschusskasse zeitnah – unter Beachtung des Haushaltsrechts – gegenüber dem Schuldner geltend gemacht werden muss (§ 7 Abs. 3 UVG). Ein Rückgriff sollte vom Leistungsträger in der Regel innerhalb eines Jahres ab Zugang der Rechtswahrungsanzeige geltend gemacht werden. Ansonsten wäre der Schuldnerschutz nicht gewahrt. Insoweit könnten Sie versuchen, sich hilfsweise darauf zu berufen, dass die Rückforderung des Unterhaltsvorschuss aus 2012 verwirkt sei, weil Sie mit einer Rückforderung nicht mehr gerechnet haben.
Die Rückforderungen aus den Jahren 2011 bis April 2014 haben aber grundsätzlich nur dann Erfolg, wenn Sie in diesem Zeitraum dem Kind gegenüber auch leistungsfähig gewesen sind. Dass dem nicht so war, haben Sie dem Jugendamt nachgewiesen. Warum das Jugendamt jetzt doch Rückgriff bei Ihnen nehmen will, obwohl es Ihre Leistungsunfähigkeit bestätigte, kann nur unter dem Gesichtspunkt der Zurechnung „fiktiven Einkommens" in Betracht kommen. Gegenüber Minderjährigen sind Eltern gesteigert unterhaltspflichtig, § 1603 Abs. 2 BGB
. Bei einem vorwerfbaren Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit könnten Ihnen fiktive Einkünfte zugerechnet werden.
Sie sollten dem Jugendamt erklären, dass bezüglich der Rückforderung aus 2009 und 2010 die Einrede der Verjährung erhoben wird. Bezüglich der Jahre 2011 bis 2014 weisen Sie auf ihre geringen Einkünfte hin, bzw. dass Sie nicht leistungsfähig waren, und Ihrer Auskunftspflicht stets nachgekommen sind. Sollte das Jugendamt wider Erwarten daraufhin nicht einlenken, sollten Sie eine gerichtliche Entscheidung nicht scheuen.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Vielen Dank für ihre Antwort.
Zitat: "Insoweit könnten Sie versuchen, sich hilfsweise darauf zu berufen, dass die Rückforderung des Unterhaltsvorschuss aus 2012 verwirkt sei, weil Sie mit einer Rückforderung nicht mehr gerechnet haben."
Auf welcher gesetzlichen Grundlage basiert diese hilfsweise Berufung auf verwirkter Rückforderung und in welcher Art müsste der Schuldner dies glaubhaft machen?
Was ist mit dem Jahr 2011? Ist da die Rückforderung mit gleicher Begründung u.U. verwirkt?
Mit freundlichen Grüßen
Guten Tag,
Zu Ihrer Nachfrage:
Die Verwirkung steht nicht ausdrücklich im Gesetz. Sie ist ein ungeschriebenes Rechtsinstitut und wurde nach dem Grundsatz von Treu und Glauben entwickelt, § 242 BGB
. Dabei geht der BGH davon aus, dass schon ein Jahr der Nichtgeltendmachung des rückständigen Unterhalts, ausreichen kann, um den Anspruch wegen illoyaler Verspätung der Rechtsausübung zu verwirken (BGH v. 13.1.1988 – IVb ZR 7/87
, FamRZ 1988, 370
; 2002, 1698
; 2004, 531
(532)
Eine Verwirkung von Unterhaltsansprüchen setzt voraus, dass der Berechtigte (bzw. hier aus übergangenem Recht das JA)
1. Anspruch auf rückständigen Unterhalt hat. Dies wiederum setzt voraus, dass er seine Ansprüche gegenüber dem Verpflichteten unter den Voraussetzungen des § 1613 Abs. 1 BGB
geltend gemacht hat,
2. der Berechtigte (JA) diese Ansprüche in der Folgezeit über einen längeren Zeitraum nicht mehr weiter verfolgt hat (sog. Zeitmoment). Dabei muss er in der Lage gewesen sein, die Ansprüche weiterzuverfolgen und
3. er muss durch sein passives Verhalten bei dem Verpflichteten den Eindruck erweckt haben, dass er nicht mehr weiter auf Zahlung in Anspruch genommen werde, woraufhin sich dieser darauf eingerichtet hat (sog. Umstandsmoment). Hier spricht eindeutig für Sie, dass Ihnen das JA die Leistungsunfähigkeit bescheinigt hat. Warum sollten Sie also noch mit einer Nachforderung rechnen ?
Die Verwirkung ist jedoch immer eine Einzelfallentscheidung, und kann, je nach Vorgeschichte, auch abschlägig beurteilt werden. Deshalb sollten Sie zuerst mit Ihrer nachgewiesenen Leistungsunfähigkeit im damaligen Zeitraum argumentieren und nur hilfsweise mit Verwirkung. (Wenn ich für 2012 geschrieben habe, dann gilt das für das Jahr zuvor erst recht).
LG
Anne S.-F.