Sehr geehrter 123recht.net-Nutzer,
bei der Frage, ob man einen Rechtsstreit durch alle Instanzen führt, oder aber an einem bestimmten Punkt, bei dem es noch wirtschaftlich sinnvoll, und vor allem möglich ist, sich mit der gegnerischen Prozesspartei durch Vergleichsschluss zu einigen, spielen viele Faktoren eine Rolle, die sorgfältig durchdacht werden müssen.
In Ihrem Fall neige ich dazu, Ihnen zum Abschluss des angebotenen Vergleiches zu raten. Ich will dies auch kurz, im Rahmen dieser Erstberatung, begründen:
Bei der Entscheidung des Rechtsstreites spielt die Auslegung des Testamentes Ihres Vaters eine entscheidende Rolle. Hierbei ist der maßgebliche Erblasserwille umfassend zu ermitteln. Das bedeutet, es sind sämtliche Umstände heranzuziehen, die innerhalb und außerhalb der Testamentsurkunde liegen.
Insoweit hat das Gericht, hier der Einzelrichter beim Landgericht, einen gewissen Spielraum, was diese Beurteilung anbelangt. Viele Umstände kann man hierbei verschieden werten und juristisch begründen. Die Testamentsauslegung ist ein sehr komplexes Thema, und man kann nie wissen, wie ein Gericht, auch ein Berufungsgericht, am Ende urteilt.
Die Kostenfrage, also die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten, sollte man, sofern keine Rechtsschutzversicherung eintritt, wovon ich ausgehe, da in Erbsachen meist nur eine Beratung übernommen wird, auch nicht außer Acht lassen, denn die Prozesskosten eines Rechtsstreites über 2 Instanzen bei dem doch wohl erheblichen Streitwert der Sache, können schnell fünfstellige Beträge erreichen.
Zu bedenken ist letztlich auch, ob man sich noch jahrelang mit einem Rechtsstreit beschäftigen möchte oder die Sache in einem relativ frühen Stadium abschließt. Ein Rechtsstreit kostet schließlich viel Zeit und Nerven: Es sind Gerichtstermine wahrzunehmen, Schriftsätze zu lesen, Besprechungen mit dem eigenen Anwalt abzuhalten, und das alles, wenn es über mehrere Instanzen geht, jahrelang. Das sollte man nicht unberücksichtigt lassen.
Bei einemn Vergleichsschluss ist der gesamte Rechtsstreit sofort abgeschlossen; es gibt keine weiteren Verhandlungen und keine Berufungsmöglichkeit. Es wird quasi ein Schlussstrich gezogen.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte, unabhängig davon, dass der Vergleich, bei dem Sie 75% erhalten, was sicherlich dem bisherigen Sach- und Streitstand sowie dem Prozessrisiko in etwa entspricht, kein schlechtes Angebot darstellt, würde ich Ihnen zu der vorgeschlagenen Einigung raten.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass meine obige Einschätzung auf Ihren Angaben beruht, eine erste rechtliche Beratung - ohne Kenntnis des genauen Sach- und Streitstandes aufgrund der gewechselten Schriftsätze der Prozessparteien - darstellt und eine ausführliche Rechtsberatung anhand aller Unterlagen nicht ersetzen kann.
Dennoch hoffe ich, dass meine Überlegungen Sie in die Lage versetzen, eine entsprechende Entscheidung zu treffen. Sie haben selbstverständlich auch die Möglichkeit, anhand meiner Ausführungen die Sache nochmals mit der von Ihnen beauftragten Kollegin zu erörtern.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Phileas Lemmer, Rechtsanwalt