Sehr geehrter Ratsuchender,
ich kann die Frage in Ihrer Antwort eigentlich vorwegnehmen. Auch wenn Juristen dazu neigen, bei Ihren Antworten Unwägbarkeiten offen zu lassen, da es von so manchem noch abhängen würde, wage ich folgende Prognose:
Die Verfassungswidrigkeit dieser Besteuerung wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht festgestellt werden. Zum einen wird das Finanzamt eine solche zu ihren Lasten wohl kaum selber annehmen, so daß zunächst vor dem Finanzgericht und dann dem Bundesfinanzhof geklagt werden müsste.
Und selbst dann würde der Streit bei anschließender Vorlage an das Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg haben. Der Ansatz der damaligen Feststellung durch das Bundesverfassungsgericht war vor folgendem Hintergrund zu verstehen. Die Besteuerung der Spekulationseinkünfte war eine Besteuerung, welche die breite Masse aus alltäglichen und normalen Geschäften aus vornehmlich Aktiengeschäften betraf. Die Finanzverwaltung hatte ein Erhebungsdefizit, weil sie die Besteuerung auch wegen der damaligen technischen Möglichkeiten nicht ansatzweise kontrollieren konnte. Man war also auf die Besteuerung des "ehrlichen" Anlegers angewiesen. Die Quellensteuer steckte in den Kinderschuhen und auch die rechtlichen Vorgaben zur Absicherung der Besteuerung waren mehr oder weniger nicht gegeben. Damit stellte sich das BVG vor den ehrlichen Bürger und rief die Gesetzgebung dazu auf, bei der Besteuerung nachzuleisten und ein rechtliches Rahmenkonstrukt einer verlässlichen Besteuerung zu erlassen.
Bei der Kryptowährung handelt es sich um einen ganz anderen Sachverhalt. Profianleger und kaum der normale Bürger verdienen oder verlieren mit dieser Anlageform auf kürzeste Zeit erheblich viel Geld. Nicht dem Staat ist heute ein Erhebungsdefizit vorzuwerfen, sondern ( wie Sie es auch schon ansprachen) dem Anleger, der nicht selten einfach die Übersicht verloren hat. Die rechtlichen Vorgaben zur Besteuerung sind allesamt geklärt und der Steuerpflichtige muss nur noch seine Gewinne aus diesen Geschäften darlegen und versteuern. Das wird zum grossen Teil unterlassen, weil hier die Steuerpflichtigen entweder die Übersicht verloren haben oder auch der Auffassung sind, auch mit im Ausland geführten Transaktionen nicht erwischt zu werden.
Auf den Punkt gebracht: Es trifft nicht mehr die Bevölkerung bei normalen Anlagegeschäften, an denen auch der Rechtsstaat wegen der privaten Vorsorge der Steuerbürger selber ein Interesse hatte. Es trifft heute eine geringe Anzahl von Profianlegern, die mit einem "äußerst kapitalistisch" ausgerichteten Produkt nur noch auf der Jagd nach Rendite sind.
Ich wage auch zu bezweifeln, daß dieser Streit jemals vor das Bundesverfassungsgericht gelangt oder von diesem gar zur Prüfung angenommen werden wird.
Ich denke mal, Ihre befürchteten Annahmen eigentlich nur selber bestätigt zu haben. Aber jeder der hier etwas anderes schreiben würde, hat in meinen Augen Sinn und Zweck des rechtsstaatlichen Besteuerungssystems nicht verstanden.
Mit besten Grüssen
Fricke