Sehr geehrter Fragesteller,
anhand der von Ihnen mitgeteilten Informationen beantworte ich die Ihre Frage gerne summarisch wie folgt:
1.
Da Sie andeuten, dass ihr Arbeitgeber möglicherweise alle Register ziehen wird, um unliebsame Mitarbeiter loszuwerden, möchte ich Ihnen zunächst den wichtigsten Rat auf den Weg geben: Machen Sie sich nicht angreifbar und versuchen Sie, penibel darauf zu achten, Ihren Arbeitsvertrag ordnungsgemäß zu erfüllen und gute Arbeit zu leisten (d.h. tricksen Sie auch nicht mit Reisekostenabrechnungen, kommen Sie nicht zu spät o.ä., selbst wenn dies zuvor möglicherweise geduldet wurde).
Ich habe häufig erlebt, dass Arbeitgeber, die bestimmte Arbeitnehmer loswerden möchten, regelrecht gezielt nach Verstößen suchen, um damit eine zweifelhafte außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung bzw. eine Abmahnung zu rechtfertigen. Eine personenbedingte Kündigung käme ohnehin nur in Betracht, wenn die Kündigung durch Gründe bedingt ist, die in der Person des Arbeitnehmers liegen (§ 1 Abs. 2 KSchG
). Im Unterschied zu einer verhaltensbedingte Kündigung sind diese Gründe nicht willkürlich von dem Arbeitnehmer beeinflussbar. Häufigster Fall einer personenbedingten Kündigung ist die Kündigung wegen Krankheit. Nach den von Ihnen mitgeteilten Informationen droht eine solche Kündigung nicht unmittelbar (jedenfalls keine wirksame).
2.
Ein Problem in Ihrer Situation (und der Ihrer ebenfalls betroffenen Kollegen) ist, dass ein Arbeitgeber prinzipiell durchaus die Unternehmerentscheidung zu inner- oder außerbetrieblichen Maßnahmen treffen kann, die auch zu einem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses führen können. Durch diese Entscheidung und deren Umsetzung betätigt sich der Arbeitgeber als Unternehmer im Rahmen grundgesetzlicher Garantien (Art. 12 Abs. 1
, 14 Abs. 1
, 9 Abs. 3
und 2 Abs. 1 GG). Die unternehmerische Entscheidung ist grundsätzlich frei. Sie ist von den Arbeitsgerichten deshalb auch nicht daraufhin zu überprüfen, ob sie sachlich gerechtfertigt oder zweckmäßig ist. Allerdings verbleibt im Sinne einer Missbrauchskontrolle die Möglichkeit der Überprüfung daraufhin, ob die unternehmerische Entscheidung offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich getroffen wurde (BAG AP Nr. 80 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung).
Dementsprechend können Sie die grundsätzlichen Umstrukturierungsentscheidungen in Ihrem Betrieb nach meiner vorläufigen Einschätzung wohl nicht mit Aussicht auf Erfolg angreifen. Allerdings kann der Kündigungsentschluss selbst niemals eine unternehmerische Entscheidung sein (BAG AP Nr. 11 zu § 1 KSchG). Eine Umstrukturierung mit dem von vornherein festgelegten Ziel, Ihren Arbeitsplatz überflüssig zu machen, ist unzulässig. Gegen eine auf Basis einer solchen Umstruktuierung erfolgte betriebsbedingte Kündigung könnten Sie sich vor dem Arbeitsgericht zur Wehr setzen.
Auch wenn es Ihnen nicht sinnvoll erscheint, ist Ihr Arbeitgeber berechtigt, Führungspositionen doppelt zu besetzen mit je einer kaufmännischen und einer technischen Führungskraft. Auch können Sie sich nicht prinzipiell gegen die Zuweisung eines neuen Vorgesetzten wehren. Ob Ihr neuer Vorgesetzter dagegen berechtigt ist und war, in Ihren ursprünglichen Verantwortungsbereich einzugreifen, hängt ganz erheblich von der Stellenbeschreibung in Ihrem Arbeitsvertrag ab. Sofern Ihre Kompetenzen durch die Umstrukturierungen „zu stark“ beschnitten wurden, könnten Sie sich hiergegen – notfalls vor dem Arbeitsgericht – zur Wehr setzen. Grundsätzlich gilt aber auch hier, dass Ihr Arbeitgeber Ihnen in gewissen Grenzen neue Aufgaben zuweisen kann. Selbstverständlich kann von einer Führungskraft jedoch nicht verlangt werden, z.B. die Toiletten zu putzen (um ein krasses Beispiel zu verwenden). Genaueres kann ich Ihnen in soweit ohne Kenntnis weiterer Einzelheiten (Ihres Arbeitsvertrages etc.) leider nicht mitteilen.
3.
Zum Thema „Beschäftigungsgarantie“/drohende Kündigung:
Sie teilen mit, dass der Vorstand des „alten“ Mutterunternehmens Ihres Arbeitgebers mitgeteilt habe, dass eine Beschäftigungsgarantie vereinbart worden sein soll.
Hier stellt sich das Problem, dass dieser Mann offensichtlich als Vertreter eines Gesellschafters Ihres Arbeitgebers sprach und als solcher eine wirksame Beschäftigungsgarantie für Ihren Arbeitgeber nicht abgeben kann. Da Sie jedoch mitteilen, dass auch der Betriebsrat eine ähnliche Aussage gemacht haben soll (und auch nicht dementiert hat), sollten Sie dort nachhaken. Möglicherweise wurde eine Betriebsvereinbarung mit dem Inhalt einer Beschäftigungsgarantie zwischen dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung Ihres Arbeitgebers geschlossen, aus der Sie wegen einer Beschäftigungsgarantier Rechte herleiten können. Insoweit rege ich an, nochmal bei dem Betriebrat – ggf. energisch – nachzuhaken. Wenn es eine solche Vereinbarung gibt, wird man die dort auch kennen. Alleine aus der mündlichen Aussage eines Vorstandes des ehemaligen Gesellschafters Ihres Arbeitgebers werden Sie wohl leider keine Rechte herleiten können.
Falls sie die von Ihnen befürchtete betriebsbedingte Kündigung erhalten, sollten Sie schnellstmöglich prüfen, sich hiergegen vor dem Arbeitsgericht zur Wehr zu setzen (insoweit gilt eine Drei-Wochen-Frist mit Zugang der Kündigung) . Die Erfolgsaussichten einer solchen Klage hängen letztlich davon ab, ob Ihr Arbeitsplatz tatsächlich weggefallen ist, ob eine Sozialauswahl (richtig) durchgeführt wurde und ob man Ihnen einen anderen Arbeitsplatz hätte anbieten müssen. Weitere Einzelheiten kann ich Ihnen ohne weitere Sachverhaltsinformationen derzeit leider nicht mitteilen.
Da Sie betonen, dass Sie vorrangig an dem Erhalt ihres Arbeitsplatzes interessiert sind, könnten Sie sich möglicherweise wieder in das Unternehmen hereinklagen. Sie wären also (falls die Kündigung unwirksam sein sollte) auch vor dem Arbeitsgericht nicht verpflichtet, eine Abfindung zu akzeptieren. Ob dies sinnvoll ist, müsste jedoch zugegebener Zeit überlegt werden.
4.
Zum Thema Aufhebungsvertrag:
Wie Sie selbst zutreffend bereits anmerken, riskieren Sie bei der Annahme einer Aufhebungsvereinbarung eine Sperrzeit der Bundes Agentur für Arbeit. Sollte Ihnen ein Aufhebungsvertrag mit einer für Sie akzeptablen Abfindung angeboten werden, sollten Sie diese keinesfalls unterschreiben, ohne den Entwurf zuvor dem Arbeitsamt vorgelegt zu haben und sich dort bestätigen zu lassen, dass eine Sperrzeit nicht eintritt. Weiter sollten Sie einen solchen Aufhebungsvertrag vorher von einem Rechtsanwalt Ihres Vertrauens prüfen lassen. Selbstverständlich stehe ich Ihnen in soweit selbst gerne zur Verfügung.
Vor dem Hintergrund ihrer Beschäftigungsdauer von einem Jahr und der einschlägigen Rechtsprechung ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass der Arbeitgeber Ihnen eine Abfindung in Höhe von mehr einem halben bis höchstens einem Monatsgehalt anbietet.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner vorläufigen Einschätzung der allgemeinen Rechtslage eine erste Orientierung an die Hand gegeben zu haben. Für eine weitere Beratung bzw. Vertretung können Sie sich jederzeit gerne an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Henn, LL.M.
Rechtsanwalt
Diese Antwort ist vom 11.10.2005 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
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Guten Tag,
danke für Ihre Antwort!
zu 1.: Alles klar
zu 2.: Das doppelte Besetzen der Führungspositionen ist Firmenphilosophie, ich vermute auch, dass man das gelten lassen muss.
Die Umstrukturierung war komplett, da dabei auch diese Doppel-Struktur eingeführt wurde - und damit komplett neue Abteilungen geschaffen wurden. Dass dadurch nun jeder auf einer neuen Position sitzt (und die gleiche Arbeit macht, nur eben mehr als vorher, damit ein paar übrig bleiben), ist im Zusammenhang mit dem Stellenabbau pikant:
Wenn eine solche Umstrukturierung bei jedem neu aquirierten Unternehmen erfolgt, und direkt anschließend bei der Umstrukturierung neu geschaffene Stellen wieder für unnötig und daher betriebsbedingt kündigbar erklärt werden können, dann wäre das ja ein Freibrief für den Mutterkonzern, den Kündigungsschutz komplett auszuhebeln zu können: Jeder, den man loswerden will, setzt man bei der Umstrukturierung überzählig irgendwo dazu, und schiebt ihn anschließend raus. Ist so etwas grundsätzlich geklärt, oder wäre dies hier ein Präzedenzfall?
Je nach dem, könnte die Frage nach "unsachlich, unvernünftig oder willkürlich" nur auf die Umstrukturierung für genau meinen Arbeitsplatz hinterfragt werden, was wohl Argumentationsprobleme brächte, oder kann man eher im Gegenteil argumentieren, jemanden auf einen Posten umzustrukturieren, den man gleichzeitig/direkt anschließend für überflüssig hält, ist unsachlich oder unvernünftig?
Was ich nicht OK finde: Dass die Planung beider Maßnahmen parallel stattgefunden hat, wird sich kaum leugnen lassen.
Wenn nun beide zusammengehörigen Maßnahmen gedanklich in umgekehrter Reihenfolge ablaufen würden, wäre es so, dass man mich entlassen würde, und den Kollegen aus einem anderen Bereich auf meine Position setzte, angeblich betriebsbedingt.
Wobei betriebsbedingt und inhaltlich nicht meine, sondern seine Tätigkeit wegfällt.
DAS wäre wohl nicht zulässig, bzw. als "unsachlich, unvernünftig oder willkürlich" deutlich fragwürdig? Ist die Argumentation, dass es nur ein Kaschieren der wirkungsgleichen Vorgehensweise ist, offiziell die Umstrukturierung knapp vor dem Belegschaftsabbau durchzuführen, juristisch gangbar?
zu 3.: Der Betriebsrat hat eben nichts Belastbares heraus gerückt, und auch keine Erklärung gegeben, wie es zu solchen Aussagen kam. Deshalb ist mehr erstmal nicht da, aber die damalige Betriebsversammlung wurde auf Video aufgenommen.
Die Belegschaft so in die Irre zu führen, und ein dreiviertel Jahr in diesem Glauben zu lassen, erscheint mir mindestens abgefeimt.
Reicht das, um in irgendeine Richtung einen Anspruch abzuleiten, oder kann das maximal als Begleitumstand vielleicht die Meinungsbildung des Gerichts unterstützen?
zu 4. Ja, ist klar, und die Abfindung ist vernachlässigbar. Für die paar Euro verzichte ich auf kein Prozent Chance, über den Kündigungsschutz meinen Job doch zu behalten. Wenn mir tatsächlich ein Aufhebungsvertrag angeboten wird, würde ich den ablehnen, und sehen, ob es tatsächlich zu einem Kündigungsversuch kommt, und falls ja, tatsächlich zum Anwalt gehen.
Mit allem Besprechen eines Aufhebungsvertrages kann ich ja die Chance auf meinen Arbeitsplatz nicht erhöhen, sondern ihn höchstens teurer verkaufen, nicht wahr?
Danke für Ihre Mühe!
MfG.
Sehr geehrter Fragesteller,
vielen Dank für Ihre Nachfrage, die ich - in der gebotenen Kürze - nachstehend wie folgt beantworten möchte:
So einfach ist die Aushebelung des Kündigungsschutzes auch bei der Umstrukturierung von neu akquirierten Unternehmen nicht. Selbst wenn Mitarbeiter „pro forma“ auf neu geschaffene Stellen gesetzt werden, die später betriebsbedingt wieder gestrichen werden müssen, heißt dies nicht dass die auf diese Positionen versetzten Arbeitnehmer ohne Berücksichtigung des Kündigungsschutzgesetzes gekündigt werden können.
Insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze einer betriebsbedingten Kündigung. Erforderlich sind:
-dringende betriebliche Bedürfnisse, die die Kündigung rechtfertigen
- fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb
- Durchführung einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl
Ob - falls Sie eine betriebsbedingte Kündigung erhalten sollten - diese sozial ungerechtfertigt ist, lässt sich an Hand der mir bislang bekannten Informationen nicht abschließend beurteilen. Dies ist letztlich auch eine Entscheidung des konkreten Einzelfalls, die im Rahmen eines möglichen Kündigungsschutzprozesses entschieden werden müsste. Die Kriterien für eine betriebsbedingte Kündigung nach einer Unternehmensummstrukturierung sind jedoch grundsätzlich höchstrichterlich geklärt, es handelt sich insoweit bei ihrem Fall nicht um einen „Präzedenzfall“.
Aus der Aussage eines Vertreters des ehemaligen Gesellschafters ihres Arbeitgebers können Sie voraussichtlich im Hinblick auf eine Beschäftigungsgarantie keinen „Honig saugen“. Ob Sie diesen Vertreter persönlich in die Haftung nehmen können, erscheint höchst zweifelhaft. Anders wäre die Situation, wenn eine entsprechende Betriebsvereinbarung existieren würde.
Ob Sie Ihre Situation durch Verhandeln eines Aufhebungsvertrages verbessern oder verschlechtern, hängt letztlich von ihrem Verhandlungsgeschick und der Bereitschaft ihres Arbeitgebers nach einer einvernehmlichen Lösung ab. Gleiches gilt für die Höhe einer Abfindung im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses. Kürzlich habe ich vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf für einen Mandanten, der nach nur einem Jahr Beschäftigungszeit gekündigt wurde, eine Abfindung von zwei Monatsgehältern herausverhandelt.
Mit freundlichen Grüßen
Oliver Henn, LL.M.
Rechtsanwalt