Sehr geehrte(r) Ratsuchende(r),
Ihre Frage beantworte ich anhand der von Ihnen übermittelten Informationen wie folgt:
1.
Wenn keine letztwillige Verfügung Ihres verstorbenen Vaters vorliegt, sind Ihre Halbschwester und Sie als seine leiblichen Kinder gleichermaßen BEREITS seit Dez. 2002 zu gesetzlichen ERBEN gemäß den Vorschriften des US-Staates, in dem der Erblasser verstorben ist, berufen, und sollten diese Rechte auch wahrnehmen.
Es stünden Ihnen beiden dann gleichberechtigt gegenüber der zweiten Ehefrau Ihres Vaters vorbehaltlich einer eingehenderen Prüfung jeweils ein Anteil von 3/8 am gesamten Nachlass samt Grundstück zu.
Dies alles unter der Voraussetzung, dass keine weiteren erbberechtigten Verwandten zur Zeit des Erbfalls vorhanden waren – ungeachtet der beiden Stiefkindern Ihres Vaters, die ohnehin erst nach dem Tod deren Mutter zum Zuge kommen.
Ich würde mich allerdings keinesfalls auf das bloße Ausbleiben einer Informierung durch das örtlich zuständige Nachlassgericht verlassen, auch wenn dort eine entsprechende Mitteilung von Amts wegen vorgesehen ist, da nicht klar ist, ob Ihre Anschrift dort bekannt oder ermittelbar ist.
2.
Falls Ihr Vater doch ein Testament errichtet haben und Ihre Halbschwester und Sie dabei übergangen haben sollte, stehen Ihnen beiden auch in den Vereinigten Staaten Pflichtteilsansprüche („COMPULSORY PORTION“) gegen die testamentarischen Erben zu, in der Regel in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
3.
Die Gefahr, dass der Nachlass Ihres Vaters WEGEN
seiner Wiederverheiratung Ihnen vorenthalten werden könnte, besteht dann, wenn eine letztwillige Verfügung in Form eines von Ihrem Vater und seiner zweiten Ehefrau gemeinschaftlich abgefassten Testaments vorliegt, in welchem der Nachlass zunächst dem Überlebenden als Vorerbe, und erst nach dem Tod des Letztversterbenden den im Testament bestimmten Nacherben zugute kommt(oder wenn ein entsprechender Erbvertrag geschlossen wurde).
Hier könnte es ja durchaus sein, dass insoweit nur die Stiefkinder Ihres Vaters eingesetzt sind.
In diesem Fall müssten Sie nach dem Ableben der Ehefrau Ihres Vaters Ihre Pflichtteilsansprüche gegenüber den Stiefgeschwistern geltend machen.
Ansonsten kommen Sie beide natürlich auch als Nacherben in Betracht.
Dies alles ist hier Tatfrage.
4.
Es gilt also zunächst, das zuständige Nachlassgericht („SURROGATE COURT“) am Sterbeort in Erfahrung zu bringen und sich von dort die entsprechenden Informationen zu verschaffen.
Spätestens dann, wenn Sie Klarheit über die konkrete Nachlasssituation haben, sollten Sie die erforderlichen Maßnahmen über einen in den USA niedergelassenen Anwalt einleiten, der nach Testamentseinsicht und -prüfung also gegebenenfalls einen Erbschein beantragt oder nötigenfalls den Erb- bzw. Pflichtteilsanspruch gerichtlich geltend macht.
Im Internet gibt es Anwaltsuchdienste z.B. unter
http://lawyers.findlaw.com/lawyer/state.jsp (Suche nach Bundesstaat) oder
http://lp.findlaw.com/ (Suche nach Rechtsgebiet).
Unter http://lawcrawler.findlaw.com/ sind auch US-amerikanische Behörden auffindbar.
Weiter sollten Informationen über das Grundstück und etwa vorhandene Belastungen bei dem örtlichen Katasteramt / Grundbuchamt („REAL ESTATE RECORDING OFFICE“) innerhalb des Staates Washington in Erfahrung gebracht werden.
5.
Eine Auszahlung des Erb- oder Pflichtteils in Geld zu Lebzeiten der zweiten Ehefrau Ihres Vaters wird erst möglich sein, sobald Sie einen in den USA erwirkten Rechtstitel haben UND wenn das neben dem Grundstück vorhandene Vermögen zur Auszahlung ausreicht.
Andernfalls kann es erforderlich werden, dort eine Teilungsversteigerung zu veranlassen, etwa unter Berücksichtigung eines Wohnrechts der Witwe.
Eine wirtschaftlich sinnvolle Verwertung des Grundbesitzes durch Zwangsversteigerung wird möglicherweise erst nach dem Tod der Ehefrau Ihres verstorbenen Vaters in Frage kommen, wenn ein solches Wohnrecht eingetragen ist.
Mit der Eintragung einer Zwangshypothek können Sie auch nach amerikanischem Recht Ihre Rechte nur sichern und keine Verwertung vornehmen.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Auskünften eine erste Orientierung an die Hand gegeben zu haben.
Sollten meine Ausführungen noch Unklarheiten enthalten, nützen Sie bitte die einmalige kostenlose Nachfragefunktion.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfram Geyer
Rechtsanwalt
Sehr geehrter Dr. Wolfram Geyer !
WOW !
So eine ausführliche Experten-Erstantwort hätte ich nicht erwartet.
Danke vielmals für diese klaren und höchst kompetenten Auskünfte.
Diese ermunterten mich zu zwei sofortigen, spontanen Taten um weiteres "Licht ins Dunkel" dieses Erbrechtsfalles zu bringen:
Ich loggte gestern online im US-Netzwerk Netronline (Nationwide Environmental Title Research, www.netronline.com) im örtlichen Katasteramt von Pierce County des Bundesstaates Washington ein um gegen CreditCard-Gebühren von US Dollar 33,50 einen "Property Detail Report" auszudrucken (habe ich als pdf-Datei - auch für Ihre allfällige spätere Einsichtnahme): Sieh da, das Haus ist unter dem Begriff "Primary Owner" auf die zweite Ehefrau meines Vaters eingetragen! Die Spalte "Secondary Owner" ist leer. Leider nicht ersichtlich ist das Datum dieser geänderten Eintragung.
Weiters fasste ich mir ein Herz und rief gestern additiv den Sohn (meinen Stiefbruder) dieser zweiten Ehefrau in USA an. Dieser teilte mir mit, dass es sehr wohl ein Testament (last will) meines Vaters aus den 70-er-Jahren gab (hat er zwar selbst nicht gesehen - besitzt aber seine Mutter= meines Vaters zweite Ehefrau). In diesem alten Testament verfügte mein Vater, dass nach Eintritt seines Todes, das Haus seiner Ehefrau verbleiben soll.
Was ich nun gerne zusätzlich wissen würde (wenn dies großzügiger Weise Ihrerseits als Zusatzfrage möglich ist):
Die Daten von uns zwei leiblichen Kindern in Europa sind der dortigen Großfamilie samt vielen Freunden (z.B. auch Lions-Club), als auch mit Sicherheit den US-Behörden bekannt (schon durch die Alimentenzahlungen zum Beispiel). Darüber hinaus war mein Vater in diesem Bundesstaat eine honorige Person öffentlichen Interesses, und viele US-Bürger kannten mich von oftmaligen Besuchen in USA gleichfalls. Hätten wir beiden Kinder in Europa daher nicht längstens bei der Überschreibung des Hauses auf die Ehefrau von Amts wegen von diesem "last will" in Kenntnis gesetzt werden müssen (Amtsversäumnis?)?
Denn logisch für die Zukunft weitergedacht, ginge ja ohne Benachrichtigung und daher auch ohne Einspruchsmöglichkeit der leiblichen Kinder, das im Besitz der Ehefrau befindliche Haus und Grundstück erbtechnisch nur noch auf die leiblichen Kinder der Ehefrau (also meine Stiefgeschwister) über und wir beiden leiblichen Kinder des Vaters würden im Todesfall der Ehefrau als in Frage kommende Erben gar nicht bedacht.
Ihrem Schreiben, sehr geehrter Herr Dr. Geyer, entnehme ich in Punkt 2, dass in der Regel auch in USA immer ein Pflichtteilsanspruch (Compulsory Portion) in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils besteht. Hiesse das konkret 3/16 für jedes der europäischen leiblichen Kinder, also mich und meine Halbschwester in Deutschland?
Müssen wir aus Verfallsfristensicht diesen Pflichtteilsanspruch noch bei Lebzeiten gegenüber der hochbetagten 88-jährigen Ehefrau meines Vaters geltend machen (wäre für sie sicher emotional hochgradig aufregend), oder kann das auch still und unauffällig beim zuständigen Nachlassgericht (Surrogate Court, siehe Punkt 4 Ihrer Antwort) für den Tag X (Eintritt des Todes der Ehefrau) geltend gemacht werden?
Der Sohn dieser zweiten Ehefrau meines Vaters (also mein Stiefbruder) erwähnte beiläufig im gestrigen Telefonat, dass die alte Dame eventuell vor hat, das Haus innerhalb eines Jahres dzu veräussern, in eine Alterspflegeheim zu ziehen und vom Hausverkaufserlös ihre Pflegeheimkosten zu bestreiten. Muss man in diesem Fall aus europäischer Sicht nicht versäumnishintanhaltend rechtens vorher handeln, bevor das Kapital "verloren" ist ? Denn nach dem derzeitigen Stand, würden wir ja in Europa vom Hausverkauf durch die Ehefrau wiederum keine Benachrichtigung seitens der Behörden erhalten, da derzeit die Ehefrau alleinige Eigentümerin ist.
Zum Abschluss konkret gefragt:
Wären Sie, sehr geehrter Herr Dr. Geyer interessiert, für uns Kopien der bei den Behörden aufliegenden Originaldokumente (Testament - "last will" am Nachlassgericht, "detailed real estate record" am Katasteramt) ausheben zu lassen ? Dann sieht man ja erst wirklich klar, ob alles obige (und auch die gestrige Sicht des Stiefsohnes hinsichtlich des Testamentes) überhaupt "realita" ist, und wie sich der Stand der Dinge derzeit darstellt.
Könnten Sie diese US-Amtsanfragen von München aus selbst erledigen, ohne vorläufig die - sicher teure - Hilfe eines US-Anwaltes in Anspruch zu nehmen?
Und was könnte mich Ihre fachliche Anwalts-Dienstleistung für diese erhellenden Fakten in etwa kosten?
Sehr geehrte Ratsuchende,
Sie scheinen es ja faustdick hinter den Ohren zu haben. Alle Achtung für Ihr persönliches Engagement in der eigenen Sache (und der Ihrer Halbschwester).
Zunächst aber herzlichen Dank für Ihre überschwängliche Bewertung.
Nach Ihren Recherchen verhält es sich höchstwahrscheinlich so, dass Ihnen Pflichtteilsansprüche gegenüber der zweiten Ehefrau Ihres Vaters zustehen.
Wenn diese allerdings aus ihrem derzeitigen Alleineigentum Pflegeleistungen finanziert, kann sich Ihr Anspruch mit der Zeit entsprechend verringern.
Ihre Pflichtteilsquote dürfte 3/16 betragen. Zutreffend lässt sich das aber erst anhand des Wortlautes der tatsächlichen sonstigen getroffenen letztwilligen Verfügungen ermitteln.
Pflichtteilsansprüche bestehen zu Lebzeiten der zweiten Ehefrau Ihres Mannes gegen diese, danach gegen die Stiefkinder.
Ein Verjährungs- oder Verfristungsproblem sehe ich hier noch nicht.
Auf Ansprüche wegen eines „Amtsversäumnis(ses)“ würde ich mich nach wie vor keineswegs verlassen. Generell sind nämlich Sie in der Pflicht, Ihre Ansprüche vollständig und rechtzeitig gelten zu machen.
Gerne übernehme ich (etwa auf Stundenbasis) Ihre weitere Vertretung von Deutschland aus. Der richtige Zeitpunkt, wann wir einen Kollegen vor Ort (zusätzlich) einschalten sollten, wird sich weisen. Billig wird Ihre Unternehmung aber in jedem Fall nicht. Das Nähere sollten wir zunächst telefonisch besprechen (ab morgen Vormittag).
Mit freundlichen Grüßen
Wolfram Geyer
Rechtsanwalt
Tel.: +49 (0)89 – 300 92 21
Fax: +49 (0)89 – 30 54 14