Sehr geehrter Rechtsuchender,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne wie folgt beantworte:
I.
Eine strafbefreiende Selbstanzeige können Sie grundsätzlich auch durch „freiwillige" Nacherklärung der steuerlich relevanten Tatsachen abgegeben, da § 371 Abs. 1 AO
insoweit nur die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der zuvor nicht, unrichtig oder unvollständig gemachten Angaben verlangt.
Entsprechend können Ihre Nacherklärungen grundsätzlich die gewünschte Straffreiheit herbeiführen. Zudem müssten die verkürzten Steuern innerhalb einer angemessen gesetzten Frist entrichtet werden, § 371 Abs. 3 AO
.
Allerdings bestimmt § 371 Abs. 2 AO
, in welchen Fällen Straffreiheit nicht eintritt.
Danach tritt eine Straffreiheit nicht ein, wenn vor der Selbstanzeige ein Amtsträger der Finanzbehörde bei Ihnen zur steuerlichen Prüfung oder zur Ermittlung eine Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist. Ob dies bei Ihnen, ggf. noch vor der Nacherklärung für 2009, der Fall war, kann ich Ihren Schilderungen nicht mit Gewissheit entnehmen.
Auch kommt eine Strafbefreiung nicht in Betracht, wenn Ihnen wegen der bestimmten Taten (das sind die einzelnen Hinterziehungen, also die verschiedenen Abgaben unrichtiger oder unvollständiger Steuererklärungen oder Umsatzsteuervoranmeldungen) die Eröffnung eines Steuerstraf- oder –Ordnungswidrigkeitenverfahrens bekannt gegeben wurde. Auch dies kann ich aufgrund Ihrer Schilderung nicht 100%ig bewerten. Die Bekanntgabe könnte durch die Steuerfahndung erfolgt sein.
Schließlich ist eine Strafbefreiung auch dann nicht möglich, wenn die (einzelnen) Taten bereits entdeckt waren und Sie dies wussten oder jedenfalls damit rechnen mussten. Dass diese Variante des Ausschlusses der Strafbefreiung bei Ihnen vorliegt, ist eher unwahrscheinlich. Mit einer Entdeckung müssen Sie wohl noch nicht rechnen. Jedenfalls kann man Ihren Schilderungen nicht entnehmen, dass die Kenntnisse der Finanzbehörde schon einen entsprechenden Verdachtsgrad rechtfertigen.
Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass Sie durch Ihre Nacherklärungen grundsätzlich Straffreiheit erreichen können, wenn Sie die nachzuentrichtende Steuer fristgerecht zahlen. Allerdings bestehen die o.g. Ausschlussgründe, deren Vorliegen oder Nicht-Vorliegen sich auf Grundlage Ihrer Schilderungen nicht abschließend bewerten lässt.
Sollten Ausschlussgründe nicht vorliegen, ist es grundsätzlich egal, wie viel Zeit zwischen Erlass des Steuerbescheides und der Selbstanzeige vergangen ist.
II.
Grundsätzlich ist damit zu rechnen, dass seitens des Finanzamts der strafrechtliche Vorwurf der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO
erhoben würde. Vorgesehen ist hier ein Strafrahmen von Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe, wobei jede einzelne Hinterziehung eine eigenständige Tat darstellt. Da alle Taten einheitlich abgeurteilt würden, würde sich insoweit bei der Bildung der sog. Gesamtstrafe (dies ist geringer als die Summe der Einzelstrafen) eine „Rabattwirkung" bemerkbar machen. Grundsätzlich ist die Festsetzung der Strafe Angelegenheit des Gerichts. Hier frühzeitig zu prognostizieren wäre verfehlt, da es häufig bei der Strafzumessung auch auf Umstände ankommt, die im Vorhinein noch nicht bewertet werden können. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe dürfte aber eher unwahrscheinlich sein (insbesondere wenn keine Vorstrafen vorliegen). Dagegen ist unter Umständen mit einer nicht unempfindlichen Geldstrafe zu rechnen. Dabei könnte die Grenze von 91 Tagessätzen (ab dann gälten Sie als „vorbestraft") überschritten werden. Sie sollten daher die Bestellung eines Verteidigers in Erwägung ziehen.
Im Hinblick auf eine Reduzierung des Strafmaßes kann reuiges und kooperatives Verhalten sinnvoll sein. Ob dieses Verhalten in Ihrem Fall angebracht ist, sollten Sie idealerweise nach Rücksprache mit Ihrem Verteidiger (ggf. nach Akteneinsicht) bestimmen. Dafür könnte aber sprechen, dass die Taten nach Ihren Schilderungen recht offensichtlich sind und daher ohnehin aufklärbar wären.
Sollte Ihnen bezüglich der Steuerhinterziehung ein Tatvorsatz nicht nachweisbar sein, so käme eine Ahndung lediglich als Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO
in Betracht. Hier ist eine Geldbuße von bis zu 50.000 EUR möglich; dieser Rahmen dürfte aber bei weitem nicht ausgeschöpft werden.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen weiterhelfen.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei den vorstehenden Ausführungen um eine erste Einschätzung aufgrund des von Ihnen geschilderten Sachverhalts handelt, die eine persönliche Beratung durch einen Rechtsanwalt nach umfassender Sachverhaltsaufklärung nicht ersetzen kann. Durch Auslassen oder Hinzufügen von Tatsachen Ihrerseits kann sich die rechtliche Bewertung ändern.
Bei Unklarheiten können Sie gerne von Ihrem Nachfragerecht Gebrauch machen.
Mit freundlichen Grüßen
Chris Koppenhöfer
(Rechtsanwalt)
Diese Antwort ist vom 18.01.2011 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
Jetzt eine neue Frage stellen
Schönen guten Tag Herr Koppenhöfer,
vielen Dank für ihre ausführlichen Antworten.
Einer meiner wesentlichen Fragen bleibt aber noch offen.
1. Verhindert das nicht Anzeigen der Hinterziehung von 2008 die Straffreiheit bei der gemeldeten Hinterziehung von 2009 ?
Das aktuelle BGH Urteil vom Frühjahr 2010 verstehe ich so. Laut BGH ist eine "völlige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit" ebenfalls nun Voraussetzung für eine Straffreiheit. D.h. es müssen ALLE Steuerhinterziehungen offen gelegt. Findet das FA bei Prüfung eine noch nicht bekannte Angelegenheit, ist die Straffreiheit für die freiwillige gemeldeten hinfällig.
Wird diese Rechtssprechung nun in der Regel angewandt auch wenn der Wortlaut noch nicht so im Gesetzt steht?
Vielleicht noch eine kleine Nachfrage. Ist mit einem Strafmaß in Höhe der hinterzogenen Steuern zurechnen oder liegt die Strafe grundsätzlich drüber/drunter?
Zur Ergänzung. Vorstrafen jeglicher Art gibt es bei mir nicht, Besuch von der Steuerfahndung oder die Einleitung eines Verfahrens wurde mir nicht bekannt gegeben. Es hießt lediglich "Prüfung der Sachlage" o.ä.
Sehr geehrter Rechtsuchender,
wenn die Aufklärungsarbeit bislang zur lediglich zur Prüfung der Sachlage tätig geworden ist, dürfte der Ausschluss der Straffreiheit nicht vorliegen.
Die Nichtanzeige der Taten aus dem Jahr 20008 hat auf die Selbstanzeige bezüglich 2009 keine Auswirkung.
§ 371 AO
gewährt Strafbefreiung jeweils für einen Fall des § 370 A0, also eine einzelne Tat.
Die Abgabe einer Steuererklärung für das Jahr 2009 und für 2008 sind zwei verschiedene Taten. Daher kann für jede Tat die Möglichkeit der Selbstanzeige separat genutzt werden. Entsprechendes gilt für einzelne Umsatzsteuervoranmeldungen.
Die von Ihnen angesprochene Entscheidung des BGH (Az. 1 StR 577/09
) stellt nur klar, dass eine Selbstanzeige für Teile einer solchen Tat (sog. Teilselbstanzeige) nicht zur Strafbefreiung führt.
Das Strafmaß wird sich nicht unmittelbar nach dem Steuerschaden bestimmt. Die Anzahl der Tagessätze, für jede Tat in obigen Sinne separat ermittelt, bestimmt sich u.a. nach dem Steuerschaden. Die Höhe der einzelnen Tagessätze bestimmt sich nach Ihrem Netto-Einkommen.
Mit freundlichen Grüßen
Chris Koppenhöfer
(Rechtsanwalt)