Sehr geehrte(r) Rechtssuchende(r),
Vielen Dank für Ihre Anfrage. Diese möchte ich anhand Ihrer Sachverhaltsdarstellung wie folgt beantworten und vorab darauf hinweisen, dass dieses Forum nur geeignet ist, einen groben Überblick über die rechtliche Lage zu erteilen und kein eingehendes Mandantengespräch ersetzen kann.
Insbesondere kann das Weglassen wesentlicher Angaben das Ergebnis der Rechtsangelegenheit entscheident beeinflussen.
Die von Ihnen erfragte Kenntnis von Tat und Person i.S.v. § 77b StGB ist in der Rechtsprechung und Rechtslehre lebhaft umstritten. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen zunächst einige Auszüge aus verschiedenen Kommentierungen zu diesem Thema darlegen.
Tröndle/Fischer: Strafgesetzbuch und Nebengesetze
55. Auflage, Verlag C.H.Beck, München 2008:
§ 77b, Randnummer 4
"A. Erforderlich ist danach Kenntnis der Tat, dh der Tatbestandsverwirklichung, nicht allein schon der Tathandlung. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt nicht (LK-Jähnke 7). Kenntnis ist das Wissen von Tatsachen, welche einen Schluss auf die wesentlichen Tatumstände, also namentlich die Richtung und den Erfolg der Tat zulassen, so dass der Verletzte vom Standpunkt eines besonnenen Menschen aus zu beurteilen in der Lage ist, ob er Strafantrag stellen soll (1 StR 406/84). Bloße Vermutungen oder ein Verdacht reichen nicht aus (1 StR 606/78). Erfährt der Berechtigte, dass die Tat einen wesentlich anderen Charakter hat, als er bisher angenommen hat, so beginnt die Frist erst mit dieser Kenntnis (Bay NJW 96, 272; Frankfurt NJW 72, 65). Bei einer einheitlichen Tat (vgl. 2ff. vor § 52) entscheidet die Kenntnis des letzten Handlungsteils für den Fristbeginn."
Schönke/Schröder: Strafgesetzbuch Kommentar
72. Auflage, Verlag C.H.Beck, München 2006:
§ 77b, Randnummer 10
"6. Kenntnis ist mehr als Mutmaßung und weniger als Gewissheit; es muss ein Ermittlungsmaßnahmen rechtfertigender "Anfangsverdacht" vorliegen (Mitsch MK 12); eine bloße Vermutung genügt nicht (RG 75 300), mag auch der Berechtigte von der Tat einer bestimmten Person überzeugt sein (vgl. RG 45 129). Zur Kenntnis gehört das Wissen von Tatsachen, die einen Schluss auf die wesentlichen Tatumstände und den Täter zulassen (RG 58 204). Der Antragsberechtigte muss von der Tat und dem Täter so zuverlässige Kenntnis haben, dass er in der Lage ist, vom Standpunkt eines besonnenen Menschen aus zu beurteilen, ob er Strafantrag stellen soll (RG 75 300, BGH NJW 99,508, Schleswig SchlHA 57, 209, BGE 74 IV 75). Seine Kenntnis muss also so beschaffen sein, dass er sich bei Abwägung aller Umstände zur Antragstellung entschließen kann (Frankfurt NJW 52, 236; vgl. auch Hamm VRS 10 134, Köln JMBINW 61, 145, Saarbrücken VRS 30 40, Stuttgart NJW 55, 73). Entscheidend ist Kenntnis der Tatsachen; unwesentlich ist, ob der Antragsberichtige die Tat rechtlich zutreffend würdigt (Saarbrücken VRS 30 40)."
Lackner/Kühl: StGB Strafgesetzbuch Kommentar
26. Auflage, Verlag C.H.Beck, München 2007:
§ 77b, Randnummer 4
"b) Kenntnis ist nicht bloß Vermutung (RGSt 75, 298) oder Verdacht, sondern Wissen von Tatsachen, die auf die wesentlichen Tatumstände und den Täter, der zwar nicht dem Namen nach bekannt, aber individualisierbar sein muss (Bay NStZ 94, 86), in einer Weise schließen lassen, dass einem besonnenen Menschen die Antragstellung zugemutet werden kann (NJW 99, 508; Sch/Sch-Stree/Sternberg-Lieben 10)."
Jähnke/Laufhütte/Odersky: Strafgesetzbuch Leipziger Kommentar
11.Auflage, Verlag De Gruyter Recht, Berlin 2006:
§ 77b, Randnummer 7
"2. Kenntnis. Ist die Tat beendet, so hängt der Beginn der Antragsfrist weiter von der nach Absatz 2,3 erforderlichen Kenntnis des Antragsberechtigten ab. Ob der Antragsberechtigte über diese Kenntnis verfügt, ist keine rein tatsächliche Frage; sie ist vielmehr in wertender Betrachtung zu beantworten. Zwar setzt der Fristbeginn stets einen konkreten Wissenstands des Berechtigten voraus. Der bloße Verdacht, selbst die Überzeugung von der Schuld des Täters allein genügt dazu nicht (RGst. 10 141, 45 128,129; 51 71,73; RG Rspr. 1 614,627, RG HRR 1933 Nr.899). Aber das Ausmaß der erforderlichen Tatsachenkenntnis bestimmt sich danach, ob dem Berechtigten vom Standpunkt eines besonnenen Menschen aus der Entschluß zugemutet werden kann, gegen den anderen mit dem Vorwurf einer strafbaren Handlung hervorzutreten und die Strafverfolgung herbeizuführen (BGH bei Pfeiffer/Maul/Schulte § 61, Anm.16; BGH, Beschl.v.16.8.1984 - 1 StR 406/84). Dabei ist zu bedenken, daß der Gesetzgeber nicht bezweckt hat, den Antragsberechtigten mittels eines Fristendrucks zu leichtfertigen Strafanträgen zu nötigen (RGSt. 45 128,19; 75 298,300; 77 386,387; OGHSt. 2 291,309; 0LG Hamm VRS 14 33; OLG Frankfurt/M. NJW 1952 236).
Zur Kenntnis der Tat gehört hiernach nicht die Gewißheit über alle Einzelheiten des Handlungsverlaufs. Der Verletzte muß aber diejenigen Tatsachen kennen, die den objektiven und den subjektiven Tatbestand (RGSt. 69 378,380; OLG Hamm VRS 10 134) der Strafvorschrift als eines Antragsdelikts (RGSt. 10 141) ausmachen und die Tat als eine Verletzung seiner Person kennzeichnen (RGSt. 647,49; 61 299,302; 75 298,299)."
Aufgrund der verschiedenen Meinungen in den o.a. Kommentaren kann man ersehen, dass es keine "absolute Wahrheit" hinsichtlich des Begriffs der Kenntnis i.S.v. § 77b StGB gibt. Demzufolge muss der von Ihnen beauftragte Rechtsanwalt auch damit rechnen, dass die zuständige Staatsanwaltschaft oder das zuständige Gericht bei der Überprüfung der Strafantragsfrist eventuell von der für Sie ungünstigsten Variante ausgeht. Daher kann ich Ihrem Anwalt grundsätzlich nur zustimmen, vorsichtshalber vom frühest möglichen Beginn der Strafantragsfrist auszugehen.
Aufgrund Ihrer Angaben gehe ich davon aus, dass Sie Anfang Dezember 2009 durch die Presseveröffentlichungen und einem Vergleich zu Ihren geistigen Schöpfungen ( Architekturplänen ) die erste Kenntnis von der Urheberrechtsverletzung erhalten haben. Sofern Sie nämlich die von Ihnen geschaffenen geistigen Werke eindeutig wiedererkennen, ist Ihr Wissensstand wohl eher als "sichere Kenntnis" anstatt als bloßer Verdacht zu betrachten. Wenn Sie also in den Presseveröffentlichungen Ihre eigenen Werke sicher wiedererkennen, sollten Sie zur Sicherheit nach den Definitionen in den o.a. Kommentierungen von einem Fristbeginn Anfang Dezember 2009 ausgehen.
Ich bitte um Verständnis, dass mir mangels Einsichtnahme in die relevanten Unterlagen keine exakte rechtliche Beurteilung der Angelegenheit möglich ist.