Sehr geehrte Fragestellerin,
Ihrer Anfrage habe ich nachfolgend die von Ihnen aufgeworfenen 13 Einzelfragen entnommen und beantworte diese wie folgt:
1. Ist der Wert für das Erbscheinverfahren der tatsächliche Wert des Erbes, von dem jeder Erbe seinen Anteil erhält? (also bei mir z.B. 6.500 €)
Der Wert des Nachlasses im Erbscheinsverfahren ist in der Regel nur ein grober Anhaltspunkt und dient dazu, z.B. die gerichtlichen Gebühren festzulegen. Dieser Wert und der tatsächliche Wert des Erbes stimmen selten genau überein.
2. Wurde der "Wert für Erbscheinverfahren" also an meine Mutter ausgezahlt?
Dies ist eine Frage zum Sachverhalt, die ich Ihnen leider nicht beantworten kann, da ich nichts darüber weiß. Sie sollten Ihre Mutter fragen, ob und was sie sich vom Nachlass „ausbezahlt" hat. Zu dieser Auskunft ist sie den Miterben gegenüber verpflichtet.
Zum besseren Verständnis: Existiert eine Mehrheit von Erben, so bilden sie kraft Gesetzes eine Erbengemeinschaft. Diese ist eigentlich darauf angelegt, sich auseinanderzusetzen und aufzulösen. Das heißt, dass die Erben müssen miteinander vereinbaren, wie sie die Aufteilung des Nachlasses vornehmen wollen, wer also was bekommt.
Beim Anfall des Erbes handelt es sich um einen sog. „Vonselbsterwerb", der sich im Zeitpunkt des Erbfalls ohne Wissen und Willen des Erben „von selbst" vollzieht, §§ 1922, 1942 BGB. Deshalb steht dem Erben das Recht zur Erbausschlagung zu, § 1945 ff. BGB, es sei denn, er hat die Erbschaft angenommen, § 1943 S. 1 BGB. Sie teilen mit, Sie und Ihre drei Geschwister seien im Zeitpunkt des Erbfalles noch minderjährig gewesen(12 Jahre), was an sich kein Problem darstellt, da auch ein Minderjähriger Erbe werden kann. Zum Zeitpunkt des Erbanfalls waren Sie allerdings nur beschränkt geschäftsfähig, § 106 BGB. Ein beschränkt Geschäftsfähiger bedarf zur Abgabe einer rechtlich verbindlichen Willenserklärung, die ihm nicht lediglich rechtliche Vorteile bringt, zwingend der vorherigen Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, in Ihrem Fall also die Ihrer Mutter. Ob hier eine Annahmeerklärung erfolgt ist oder nicht, weiß ich nicht; grundsätzlich kann die Annahme der Erbschaft auch stellvertretend durch einen gesetzlichen Vertreter erklärt werden.
Eine Annahmeerklärung ist allerdings nicht zwingend vorgeschrieben. Wird die Annahme der Erbschaft nicht ausdrücklich erklärt, dann gilt die Erbschaft auch von einem Minderjährigen nach Ablauf der Ausschlagungsfrist von Gesetzes wegen als angenommen. Ob solche eine Ausschlagung erfolgt ist, ist ebenfalls eine Sachverhaltsfrage, die ich nicht beantworten kann, da mir die entsprechenden Informationen nicht vorliegen. Klarheit bringen wird hier nur eine Einsicht in die gerichtliche Nachlassakte. Hierzu sollten Sie einen Rechtsanwalt Ihres Vertrauens bitten, Einblick in die Nachlassakte zu nehmen und die Akte zu kopieren, damit sie selber die gewünschten Informationen erhalten. Wichtig ist: Der Minderjährige ist durch eine Vorschrift des Familienrechts geschützt, soweit die von ihm angenommene Erbschaft nicht nur positive Aspekte mit sich bringt, so zum Beispiel überschuldet ist. Nach § 1629a BGB beschränkt sich nämlich die Haftung des Minderjährigen aus der Erbschaft auf den Bestand des bei Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögen des Minderjährigen.
Gem. § 1640 BGB sind Eltern dazu verpflichtet, ein schriftliches Vermögensverzeichnis anzufertigen, in dem das dem Minderjährigen vererbte Vermögen aufgelistet ist und darüber eine eidesstattliche Versicherung abzugeben und beim zuständigen Familiengericht einzureichen, sofern der Wert des Erbteils des Minderjährigen den Wert von € 15.000,00 nicht übersteigt. Ob dies hier erfolgt ist, müssten Sie bei zuständigen Familiengericht klären oder durch einen Rechtsanwalt Ihres Vertrauens klären lassen).
Vorausgesetzt, wurde in Ihrem Fall keine Ausschlagung erklärt und die Erbengemeinschaft besteht nach wie vor, haben Sie als Miterbe (wie jeder andere Miterbe auch) bestimmte Rechte, die Sie gegenüber den anderen Miterben geltend machen können. Es sind dies z.B. Auskunftsrechte über den Bestand des Nachlasses und dessen Verbleib (dies war die Ausgangsfrage); Mitwirkungsrechte bei der Verwaltung (z.B. ob Miete verlangt werden soll und wie viel) und Mitbestimmungsrechte bei der Frage, wann und wie die Erbengemeinschaft auseinandergesetzt wird.
3. Hätte sie unsere Anteile jeweils bei einer Bank anlegen müssen, da wir zu jung waren, um selber darüber zu verfügen?
Eine solche Verpflichtung zur Anlage bei einer Bank bestand nicht. Man kann ja auch nur Bargeld bei einer Bank anlegen, nicht jedoch einen Anteil am Grundbesitz.
4. Kann man jetzt (mit 24) noch an das Geld kommen, oder ist es verjährt, weil ich mich mit Einsetzen der Volljährigkeit nicht darum gekümmert habe?
Soweit noch keine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft stattgefunden hat, könnten Sie auch jetzt noch an ihren Erbteil gelangen (sofern noch etwas vorhanden ist). Sollte nichts mehr vorhanden sein, muss der Verbleib geklärt werden. Ggf. bestehen dann Schadensersatzansprüche.
5. …Miete in Höhe meines Anteils - Könnte man diese ggf. rückwirkend geltend machen?
Nein, es sei denn, der „Mieter" wäre damit einverstanden. Ein Mietverhältnis ist eine vertragliche Vereinbarung, mit der beide Seiten einverstanden sein müssen. Auch für die Geltendmachung einer Nutzungsentschädigung rückwirkend sehe ich keine Aussichten - Sie waren ja die ganze Zeit über damit einverstanden, dass eine unentgeltliche Nutzung erfolgt.
6. Müsste man dies über einen Anwalt einfordern?
Nein, ein Anwalt kann zwar hilfreich sein, ist aber nicht zwingend vorgeschrieben. Allerdings hat eine rückwirkende Geltendmachung m.E. ohnehin keine Aussicht auf Erfolg.
7. Wenn dieses Haus für z.B. 300.000 € verkauft wird. Wie berechnet sich mein Anteil, wenn auf dem Haus noch Schulden sind? Sind die Schulden für das Haus, die meinem Vater angerechnet wurden, nicht in o.g. Berechnung durch die Verrechnung mit der Nachlassmasse beglichen?
Auch dies ist letztlich eine Tatsachenfrage, die ich von hier aus mit den vorliegenden Informationen nicht beantworten kann. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt des Erbfalls: Welche positiven Werte waren zu diesem Zeitpunkt im Nachlass (Aktiva) und welche negativen Werte waren seinerzeit vorhanden (Passiva)? Hierzu sind ggf. Anfragen an die finanzierende Bank zu richten. Sollten nach dem Zeitpunkt des Todes Belastungen des Grundstücks erfolgt sein, die nicht vom Erblasser veranlasst worden sind, sondern z.B. durch Ihre Mutter zu einem späteren Zeitpunkt, spielen diese bei der Wertermittlung Ihres Erbanteils zum Zeitpunkt des Erbanfalls zunächst keine Rolle.
8. Gehören die restlichen Schulden also meiner Mutter allein, da die Schulden meines Vaters beglichen wurden?
Ob die Schulden Ihres Vaters tatsächlich „beglichen" wurden oder ob diese weiterhin Bestand haben, vermag ich nicht zu beurteilen; auch dies ist eine Tatsachenfrage. Den Zeitpunkt einer belastenden Eintragung im Grundbuch können Sie aber jederzeit durch Einsichtnahme im Grundbuch abklären. Wenn Ihre Mutter zu einem späteren Zeitpunkt Belastungen dort eintragen ließ, berührt dies zwar nicht den Wert Ihres Erbteils, wohl aber den Wert Ihres Miteigentumsanteils. Wurde durch Ihre Mutter z.B. ein Kredit aufgenommen und durch Eintragung einer Grundschuld abgesichert und wurde der Betrag zur Sanierung des defekten Daches verwendet, so kommt diese neue Schuld Ihrer Mutter ja auch Ihnen zugute, da dies den Wert Ihres Miteigentumsanteils erhält oder sogar erhöht hat. Da Sie Miteigentümer der Immobilie sind, haften Sie als solcher auch für diese Grundschuld.
9. Oder müssen wir alle, als Erbengemeinschaft, gemeinschaftlich für die Begleichung der Restschuld aufkommen?
Es kommt auf die Ursache der „Restschuld" an - siehe obiges Beispiel. Hat Ihre Mutter sich allerdings z.B. selber verschuldet und mit dem Geld eine private Vergnügungsreise gemacht, trifft Sie eine Haftung für diese „Restschuld" natürlich nicht.
10. Wie sieht also die Berechnung für meinen Anteil aus? 300.000 € - z.B. 50.000 € Restschulden = 250.000 € / 16 = 15.625 € oder 300.000 € / 16 = 18.750 € (in diesem Fall müsste sie die Schulden von ihrem Anteil begleichen)
Zunächst müssen Sie die Aktiva und die Passiva aufschlüsseln, und zwar nur die, die Ihren Vater betrafen. Der Saldo ergibt den Nachlasswert. Soweit keine letztwillige Verfügung vorhanden war, gilt die gesetzliche Erbfolge. Da Ihre Eltern im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet waren, erbt Ihre Mutter die Hälfte des Nachlasses, die andere Hälfte wird unter den Kindern gleichmäßig verteilt.
Also: Wert des Hauses 300.000; hälftiger Anteil 150.000; abzgl. Schulden Ihre Vaters 50.000 = 100.000; 100.000 ./. 2 = 50.000 für Ihre Mutter; 50.000 ./. 4 = 12.500 für jedes der Kinder
11. Da ich nicht weiß, ob es sich bei der Restschuld um eine Hypothek, eine Grundschuld oder ähnliches handelt, würde ich gerne wissen, ob dies bei der Berechnung einen Unterschied macht. Also dass die Grundschuld z.B. von der Erbengemeinschaft zu tragen ist und eine Hypothek nur von der Person, die die Hypothek aufgenommen hat.
Nein, dies macht keinen Unterschied. Wichtig ist aber, wie hoch die Grundschuld bzw. die Hypothek im Zeitpunkt des Erbfalls noch valutiert, d.h., in welcher Höhe die Schuld noch bestand. In aller Regel werden ja laufend Zahlungen auf die Schuld an die Bank erbracht. Diese muss Auskunft geben, in welcher Höhe die Schuld im Zeitpunkt des Erbfalls bestand.
12. Zudem hat meine Mutter bereits einen Makler beauftragt und über den Verkaufspreis im Alleingang entschieden, ohne sich mit der Erbengemeinschaft abzustimmen. Meiner Meinung nach ist der Verkaufspreis zu niedrig angesetzt. Habe ich eine Möglichkeit diesen noch mitzubestimmen, obwohl sich bereits Interessenten zu diesem Preis das Haus angesehen haben?
Als Mitglied der Erbengemeinschaft sind Sie mitstimmungsberechtigt, zu welchem Preis der Verkauf erfolgen soll. Ohne Ihre Zustimmung und Ihre Unterschrift kann der Verkauf nicht erfolgen.
13. Wie habe ich die Möglichkeit an das Geld zu kommen, dass ich mit 12 geerbt habe, wenn sie es mir nicht geben möchte oder kann? Ist dann ggf. eine Einigung beim Verkauf des Hauses möglich? (z.B. dass der Notar beim Unterschreiben des Vertrages beglaubigt, dass sie uns das restliche Erbe von ihrem Anteil auszahlt. Wer sorgt dafür, dass die Anteile gerecht (nach Erbschein) aufgeteilt werden? Wird das Geld auf ein Konto gezahlt und von da aus von einer außenstehenden Person (z.B. Anwalt) verteilt?
Der Verkauf des Hauses ist das eine, die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft ist das andere. Ich würde beides nicht unbedingt miteinander verquicken, solange die Fragen über die Höhe Ihres Erbteils ungeklärt sind. Der Notar kann angewiesen werden, den Kaufpreis zunächst treuhänderisch zu verwalten, bis sich die Erbengemeinschaft geeinigt hat oder die Erbengemeinschaft beauftragt einen Rechtsanwalt als Treuhänder, das Geld so lange zu verwalten. Sie können es aber auch auf ein eigenes Konto der Erbengemeinschaft transferieren, bei dem Auszahlungen nur erfolgen dürfen, wenn alle schriftlich zugestimmt haben.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen zu Ihrer Zufriedenheit beantworten und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Fenimore v. Bredow