Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegeben Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Grundsätzlich ist im Bereich des Baurechts gegen Baugenehmigungen immer noch das Widerspruchsverfahren nach § 68 VwGO
statthaft, obwohl es in vielen anderen Bundesländern durch Landesrecht abgeschafft worden ist. Da das Baurecht durch § 15 BW AG VwGO nicht ausgeschlossen ist, besteht also die Möglichkeit eines Drittwiderspruchs innerhalb eines Monats gegen eine dem Nachbarn erteilte Baugenehmigung. Dieser hat aber grundsätzlich gemäß § 212a BauGB
keine aufschiebende Wirkung. Der Bauherr könnte also weiterbauen. Sollte der Widerspruch erfolglos sein, verbleibt so dann nur noch die Möglichkeit der Klage gegen die dem Nachbarn erteilte Baugenehmigung oder ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, der zum Baustopp führen würde.
Im Rahmen des Kenntnisgabeverfahrens wird über die Zulässigkeit des Bauvorhabens nicht durch die Verwaltung entschieden. Hier kann also mangels abschließender Verwaltungsentscheidung kein Widerspruch gegen eine die Baumaßnahme „zulassende" Entscheidung erhoben werden. Insofern wird ein daher ein Widerspruch oder eine anschließende Anfechtungsklage gegen eine belastende Maßnahme der Verwaltung nicht rechtlich nicht möglich sein.
In diesen Fällen wird lediglich der Erlass einer Untersagungsverfügung oder einer Verpflichtungsklage in Betracht kommen, die darauf gerichtet sind, einen Weiterbau zu verhindern. Auch hier gibt es ein Eilverfahren, also den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf „Baustopp". Eine Aussicht auf Erfolg besteht in solchen Verfahren jedoch nur, wenn so genannte drittschützende bzw. nachbarschützende Normen vorhanden sind. Dies ist nur im Rahmen einer Auslegung der im konkreten Fall betroffenen Vorschriften ermittelbar, was unter anderem die Prüfung des Bebauungsplans erforderlich machen würde.
Sind jedoch, wofür Ihre Angaben sprechen, Bescheide „in der Welt", die Ergebnis von Anträgen auf Ausnahmen oder Befreiungen vom Bebauungsplan sind, können diese grundsätzlich wie eine Baugenehmigung mit Widerspruch und Anfechtungsklage angreifbar.
Konkret zu Ihren Fragen:
a) Unter Umständen wird es im Kenntnisgabeverfahren zunächst nicht die Möglichkeit eines Widerspruchs oder eine Anfechtungsklage geben, da es an einer belastenden Maßnahme fehlt, die angegriffen werden kann. Schriftlich Bedenken vorbringen können Sie immer, diese werden beachtlich sein, wenn das Bauvorhaben nicht mit dem öffentlichen Baurecht vereinbar ist.Nur wenn bereits eine Befreiung oder eine Ausnahme per Bescheid erteilt worden ist, können diese mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Zur Nichtigkeit werden Rechtsanliegen der Bürger nur in den seltensten Fällen. Es ist denkbar, dass die Verwaltung dazu tendiert, die eigene bereits erlassene Entscheidung nicht in die anderen Richtung zu entscheiden, aber spätestens die Gerichte sind unabhängige Institutionen, die nicht stets den Ansichten der Verwaltung folgen.
b) Wie bereits oben ausgeführt sind präventive Maßnahmen grundsätzlich in Form einer Untersagungsverfügung oder Verpflichtungsklage möglich, wenn noch kein belastender Verwaltungsakt bzw. Bescheid in der Welt ist. Sollte eine solche belastende Maßnahme der Verwaltung bereits erlassen worden sein, so werden in der Regel der Widerspruch oder die Anfechtungsklage statthaft sein. Vor Maßnahmen in Form von Selbstjustiz kann ich nur warnen, da erhebliche Schadensersatzansprüche gegen Sie entstehen könnten. Der mildeste und kostengünstigste Weg wäre wohl das Einvernehmen mit dem Bauherrn, dies führt häufig zu guten Ergebnissen.
c) Der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung könnte nunmehr problematisch sein. Denn in den meisten Fällen besteht bei den Rechtsschutzversicherungen kein Deckungsschutz für das Baurecht. Selbst für den Fall, dass Sie über eine solche Rechtsschutzversicherung verfügen sollten, könnte es sein, dass diese für den Fall Ihrer Inanspruchnahme Ihren Rechtsfall nicht übernimmt, da zum einen grundsätzlich eine dreimonatige Sperrfrist in den Versicherungsverträgen enthalten ist und zum anderen Ihr Rechtsfall an sich bereits vor Abschluss der Versicherung eingetreten wäre. Denn der Rechtsstreit ist entweder bereits jetzt entfacht oder spätestens, wenn die bauaufsichtlichen Maßnahmen der Verwaltung eingeleitet werden, was die Versicherung dann sicherlich behaupten wird, um keine Deckungspflicht zu haben. Hier müssten Sie genauer Nachfrage, ob es Rechtsschutzversicherung gibt, die den Kunden insoweit entgegenkommen. Grundsätzlich haben sie jedoch keinen wirtschaftlichen Nutzen davon.
Ich kann Ihnen empfehlen, sich zu einem Rechtsanwalt vor Ort bei Ihnen zu begeben, hier wäre hilfreich, sich die Gegebenheiten vor Ort, die Bausituation, zu betrachten, um eine genaue Prüfung Ihres Rechtsfalls vornehmen zu können. Möglicherweise bestehen Akten über bereits gestellte Anträge, die eingesehen werden könnten.
Sollten noch Unklarheiten bestehen, nutzen Sie gerne die kostenlose einmalige Nachfragefunktion, um diese zu beseitigen.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Pilarski, Rechtsanwalt
Diese Antwort ist vom 02.04.2013 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
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Antwort
vonRechtsanwalt Michael Pilarski
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Rechtsanwalt Michael Pilarski
Besten Dank für Ihre ausführliche und schnelle Antwort.
Was meinen Sie mit Drittwiderspruch bzw. Drittschützend in Absatz 2 und 4 ?
Ihr Ausdruck im Absatz 5: . . . können diese grundsätzlich wie eine Baugenehmigung mit Widerspruch und Anfechtungsklage angreifbar . . . scheint nicht ganz ausformuliert. Bitte um Präzisierung.
Selbstjustiz hat mit dem geschilderten Fallbeispiel nichts zu tun. Die gestellten Fragen sich rein präventativ auf die Zukunft gerichtet, daher auch die Formulierung von mir . . . in absehbarer Zeit . . . Deshalb nochmals die Bitte zur Konkretisierung der Frage c). Vielen Dank.
Gerne beantworte ich Ihre Nachfrage:
Eingangs bitte ich, meine Ausführungen nicht falsch zu verstehen, falls der falsche Eindruck entstand, dass ich Selbstjustiz hinter Ihrem Verhalten vermute. Dies habe ich nur grundsätzlich der Vollständigkeit halber erwähnt.
Der einfache Grundfall sieht aus, dass jemand der beispielsweise eine Baugenehmigung beantragt einen ablehnenden Bescheid erhalten kann. Dieser belastete Antragsteller kann dann einen einfachen Widerspruch erheben, weil er selbst durch die Entscheidung der Behörde belastet wurde.
In Ihrem Falle ergibt sich eine Drei-Personen-Konstellation. Die Baugenehmigung bzw. die Entscheidung der Behörde bezieht sich unmittelbar auf Ihren Nachbar und ist nicht unmittelbar an Sie gerichtet. Daher hieße Ihr Widerspruch rechtlich Drittwiderspruch.
Da es ein solcher Drittwiderspruch ist und Sie eben nicht unmittelbar selbst betroffen sind - es ist nämlich nicht Ihre Baumaßnahme - müssen für einen Drittwiderspruch drittschützende Normen vorliegen, die verletzt wurden. Das bedeutet, aus dem Wortlaut der Vorschriften muss erkennbar sein, dass Sie als Nachbar bzw. als dritte Person von dieser Vorschrift konkret geschützt werden. (Beispiel: Eine Vorschrift enthält den Wortlaut "nachbarliche Interessen")
Im Absatz 5 fehlt lediglich das Wort "sein". Falls verbindliche behördliche belastenede Bescheide erlassen wurde, dann können diese grundsätzlich mit einem einfachen Widerspruch nach § 68 VwGO
oder eben mit einer gerichtlichen Anfechtungsklage nach § 42 VwGO
angegriffen werden. Eine Anfechtungsklage ist statthaft gegen so genannte Verwaltungsakte. Das sind hoheitliche Maßnahmen einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zur Regelungen eines Einzelfalls mit Außenwirkung, vgl. § 35 VwVfG
. Diese Anforderungen erfüllt in der Regel ein behördlicher Bescheid in Form einer Ausnahme oder Befreiung.
Bezüglich der Konkretisierung der Frage c) ist noch zu sagen, dass ein Rechtsfall, der grundsätzlich in der Zukunft liegt von einer Rechtsschutzversicherung gedeckt werden müsste. Aber die Versicherungen wollen sich wie erwähnt möglichst vielen Eintrittspflichten entziehen, so dass ich aus Erfahrung vermute, sie würde sich auf den Standpunkt stellen, dass Ihr Rechtsfall bereits vor Abschluss in seiner Ursache angelegt war und daher nicht gedeckt wird. Es kann aber auch durchaus anders laufen und sofort eine Deckungszusage erteilt werden. Allerdings weise ich noch einmal darauf hin, dass eine Rechtsschutzversicherung für Baurecht häufig nicht angeboten wird. Sie werden daher bei Abschluss einer Rechtsschutzversicherung darauf achten müssen, ob diese eine Bauauschlussklauselenthält und ihre Eintrittspflicht für diesen Bereich beschränkt.
Ich hoffe, ich konnte nunmehr die letzten Unklarheiten beseitigen.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Pilarski
Rechtsanwalt