Sehr geehrte Fragestellerin,
zu Ihrer Anfrage nehme ich wie folgt Stellung:
1.
Grundsätzlich gilt, dass ein Arbeitnehmer bei Ausscheiden aus dem Betrieb in der zweiten Jahreshälfte seinen Anspruch auf den vollen gesetzlichen Mindesturlaub, das sind meist 20 Tage, hat.
Sie haben einen höheren Urlaubsanspruch, so dass es darauf ankommt, ob im Vertrag eine so genannte pro rata temporis-Regelung vereinbart worden ist.
Eine solche vertragliche Klausel stellt klar, dass bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der zweiten Jahreshälfte der über den gesetzlichen Mindestanspruch hinausgehende Urlaub nur anteilig gewährt wird.
2.
Typischerweise wird in Arbeitsverträgen folgendermaßen formuliert: „Endet das Arbeitsverhältnis in der zweiten Jahreshälfte, wird der Urlaubsanspruch gezwölftelt, wobei der gesetzlich vorgeschriebene Mindesturlaub nicht unterschritten werden darf."
Hier stellt sich also die Frage, ob die in Ihrem Arbeitsvertrag enthaltene Klausel dahingehend interpretiert werden kann, dass der Urlaubsanspruch im Rahmen des gesetzlich Zulässigen gezwölftelt werde.
Ich halte die Formulierung in Ihrem Arbeitsvertrag zumindest für bedenklich, weil sich aus dieser Formulierung nicht unmissverständlich ergibt, was gemeint ist. Das ergibt sich insbesondere aus der Formulierung „anteilig für die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses". Der Begriff des Beschäftigungsverhältnisses betrifft die Zeit, die Sie in einem Betrieb tätig sind. Das können zwei, fünf oder mehr Jahre sein. Es fehlt hier also der Bezug zu dem Kalenderjahr und der Hinweis, dass ein über den Mindesturlaub hinausgehender Urlaubsanspruch gezwölftelt werden müsse.
Sie haben insoweit recht, dass unklare Formulierungen zulasten des Verwenders gehen, im vorliegenden Fall also zulasten des Arbeitgebers.
3.
Da die verwendete Klausel nicht den gebräuchlichen und klaren Formulierungen entspricht, ist es eine Frage der Auslegung, ob die Formulierung in Ihrem Arbeitsvertrag gerade noch als pro rata temporis-Regelung zu verstehen ist oder nicht. Eine solche Interpretation wird im Streitfall das Arbeitsgericht vornehmen.
Sie haben in Ihrer Frage schon die wesentlichen Kriterien einer Prüfung, zum Beispiel dass die Formulierung unmissverständlich sein muss, genannt.
Ich halte die Formulierung in Ihrem Arbeitsvertrag für dermaßen „unglücklich", dass man fragen muss, was der Arbeitgeber überhaupt gemeint haben könnte. Deshalb neige ich auch dazu, hier nicht von einer pro rata temporis-Regelung auszugehen mit der Folge, dass Ihnen der volle Urlaubsanspruch von 26 Tagen zusteht.
D.h. aber nicht, dass das Arbeitsgericht die in Rede stehende Formulierung gegebenenfalls anders auslegt. Sollte die erste Instanz zu dem Ergebnis kommen, es läge eine wirksame pro rata temporis-Formulierung vor, kann die zweite Instanz schon anders entscheiden.
Das ist letztlich die Unsicherheit, die dann bleibt, wenn es gilt, Formulierungen auszulegen.
Ich empfehle Ihnen aber, Ihren Urlaubsanspruch geltend zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Raab
Rechtsanwalt