Frage 1). Man muss hier zwischen Prozessrecht, internationalem Privatrecht und Unterhaltssachrecht unterscheiden. Prozessual hat der Unterhaltsberechtigte hier mindestens zwei Möglichkeiten, die Anrufung eines französischen Gerichts ist nur eines davon, was die Zuständigkeit angeht. Er kann auch - theoretisch - auch einen Antrag auf Festsetzung der Unterhaltsverpflichtungen beim französischen Außenministerium (DFAE) stellen, das dann die deutschen Behörden involviert. Das ergibt sich aus der EU-Unterhaltsverordnung (EG-Nr. 4/2009 des Rates vom 23.Mai. 2011) und dem Haager Unterhaltsprotokoll vom 23.Nov. 2007 (HUP).Gem. Art. 3 und Art. 11 des HUP, bestimmt das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten über alle Fragen des Unterhalts: das „Ob" des Anspruchs, seine Höhe und auch die Verjährung.
Da das Kind noch minderjährig ist, wäre hier auch eine anderslautende Rechtswahl unzulässig (Art. 8 Abs.3 HUP).
Da das Kind hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hat, ist es richtig, dass sich seine Unterhaltsansprüche in jeder Hinsicht nach französischem Recht bemessen.
Frage 2.) Verfahrenstechnisch gibt es ein bindendes Meditationsverfahren, das stattfindet, bevor der Richter inkl. mündlicher Verhandlung entscheidet, soweit die Beteiligten diesem Meditationsverfahren zustimmen (Art. 131ff NCPC=Nouveau code procedure civile). Wenn das gemeint ist mit „sich einigen", lautet die Antwort insoweit ja.
Anspruchsgrundlage für den Unterhalt des Kindes gegen seine unehelichen Eltern ist damit Art.371-2 Franz. Code Civil (=FCC). Diese Norm sagt aber über die Unterhaltshöhe aber so nichts aus. Die Höhe wird, wie sie schon selbst richtig recherchiert haben, geregelt durch eine jährlich festgesetzte Tabelle des französischen Justiziministeriums die „Table de reference 2014 pur fix les pensiones alimentaires".
Diese Tabelle ist aber anders als die Düsseldorfer Tabelle in Dtl. wirklich nur eine Richtlinie, von der ein Richter im Einzelfall auch abweichen kann. Es gibt z.B. keine Erläuterungen zu ihr in Schriftform So auch die Auskunft des franz. Justizministerium über dortigen Unterhaltsansprüche auf der HP der EU-Kommission und weitere EU-Reporte über Unterhaltssysteme in der EU).
Dem entsprechend lässt sich zu Ihren detailiierten Fragen hier nur folgendes sagen:
Vorweg: Es ist richtig, dass Sie einen deutschen Kindergeldanspruch haben, weil Sie hier einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen und ihren Wohnsitz noch in Deutschland haben. Dieser ist auch vorrangig gegenüber konkurrierenden französischen Leistungen, sofern nicht auch die Mutter einer sozial-ersicherungspflichtigen Tätigkeit nachgeht (EU-Verordnung 883/2004). Hierzu gibt es allerdings ein laufendes Verfahren vor dem EugH, das dazu führen könnte, dass in Zukunft dieses deutsche Kindergeld immer direkt an den Wohnort des Kindes im Ausland ausgezahlt wird (BFH Vorlagebeschluss vom 8. Mai 2014 III E 17/13).
Für die Frage, ob dieses Kindergeld im Rahmen der franz. Prüfung als Einkommen des Kindes anzurechnen ist, kann ich leider auch nur vermuten, dass das einfach deswegen nicht der Fall ist, weil wie Sie selbst richtig erkannt haben, die franz. Sozialleistungen, die an das Vorhandensein von Nachkommen anknüpfen, sämtlich zumindest aus deutscher Sicht nicht dem deutschen Kindergeld vergleichbar sind (BstBl II, 2012, 890ff).
Frage 3:
Andererseits hilft hier und vielleicht auch bei Frage 3) Art. 14 HUP weiter. Das gilt, selbst wenn es entgegen meiner Recherche doch eine materielle französische Norm geben sollte, nach der das deutsche Kindergeld den Unterhalts-anspruch des Kinders mindert oder eine nach der Ihre Lebenshaltungskosten immer nur auf der Grundlage der franz. Pauschale fürs Existenzminimum zu berechnen wäre. Art 14 HUP durchbricht nämlich teilweise die Anwendbarkeit franz. Rechts in Bezug auf die Anspruchshöhe.
Art. 14 HUP lautet: „Bei der Bemessung des Unterhaltsbetrages sind die Bedürfnisse der berechtigten Person und die wirtschaftlichen Verhältnisse der verpflichteten Person sowie etwaige der berechtigten Person anstelle einer regelmäßigen Unterhaltszahlung geleistete Entschädigungen zu berücksichtigen, selbst wenn das anzuwendende Recht etwas anderes bestimmt."
Auf diese Norm müssen sie ggf. auch gegenüber dem franz. Gericht drängen, da sie leicht zu übersehen ist. An dieser Stelle müsste man dann einfach argumentieren, dass eine franz. Rechtsnorm, durch die immer nur das Existenzminimum von Einkommen des Unterhalts-pflichtigen abzusetzen wäre, eine derart starke Pauschalierung wäre, dass dadurch Art. 14 HUP, der als supranationles Recht, wichtiger ist, verdrängt würde.
Frage 4.) Insoweit Sie sich mit der Kindesmutter im Rahmen des Meditationsverfahrens außergerichtlich einigen wollen, kann es sinnvoll sein, die Höhe deutscher Unterhaltssprüche berechnen zu lassen, falls diese nicht sowieso sogar höher sind als die französischen wie im Regelfall. Einen französischen Richter braucht das mit Ausnahme der Einschränkung aus Art. 14 HUP zunächst überhaupt nicht zu interessieren, und das wird es auch nicht, weil das Konfliktrecht des Art. 3 HUP vorrangig auf das französische Recht für jedes einzelne Merkmal dieses Unterhalts-anspruchs verweist.
Frage 5.) Der franz. Richter überwacht die Einhaltung des von ihm berechneten Unterhalts und die Höhe dieser Verpflichtung kann auch bei sich ändernden Verhältnissen stets durch ihn verändert werden. Soweit sich zwischen Mutter und Ihnen allerdings wirklich Einigkeit herstellen lassen sollte, könnte man auch andenken, hier vor einem deutschen Notar einen Unterhaltstitel aufsetzen zu lassen. Vielleicht würde das dem Interesse des Kindes sogar gerechter, weil ja alle Vermögenswerte Ihrerseits in Dtl. sind, so dass dem Kind eine deutsche Urkunde sogar mehr nutzen würde.
Frage 6.) Französische Unterhaltsansprüche unterliegen der dortigen Regelverjährung von fünf Jahren (Art 2219 FCC). Es scheint allerdings so, als ob sich aus dem Fallrecht ergibt, dass grundsätzlich vermutet wird, dass erst ab Klageeinreichung eine ein Anspruch ausgeurteilt werden kann, weil vermutet wird, dass ohne Klage keine Bedürftigkeit des Kindes vorlag („aliments n’arréragent pas"). (Zum Ganzen Kleinschmidt, „Das neue franz. Verjährungsrecht" in: RIW 2008,S.590ff.)
Weil die Zuständigkeit der franz. Gerichte aus Art 3 HUP sogar für das Titulierungsverfahren sogar als international ausschließlich angesehen wird (DIJuF, „Länderinformationen Frankreich", Stand Juli 2013; anderer Auffassung: Das Merkblatt Kindes-und Ehegattenunterhalt der deutschen Vertretung in Frankreich, wonach die Mutter hier auch in Dtl. klagen könnte), werden Sie vermutlich nicht umhin kommen, sich vor dem dortigen Gericht von einem dortigen Anwalt vertreten zu lassen. Sie haben jedoch auch hier noch eine kostenlose Nachfragefunktion, und ich werde tun, was von hier aus möglich ist.
Mit freundlichen Grüßen
Ra. Jahn
Diese Antwort ist vom 09.09.2014 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
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Sehr geehrter Herr Jahn,
herzlichen Dank für Ihre kompetente und verständlich formulierte Antwort. Ich möchte folgende Nachfrage stellen:
Meine frühere Lebensgefährtin ist in Frankreich berufstätig. Ein von mir gestellter Antrag auf an sie auszuzahlendes deutsches Kindergeld wurde abgelehnt (ich bin Beamter und somit nicht sozialversicherungspflichtig), ein von ihr gestellter dagegen bewilligt. Ergeben sich aus dieser Konkretisierung der Situation Konsequenzen für die Ermittlung des Kindesunterhaltes?
Sehr geehrter Fragesteller,
mir ist zwar schwer nachvollziehbar, warum anscheinend die deutsche Kindergeldkasse das so bewilligt hat -(außer die Mutter hätte einen Wohnsitz oder eine Arbeit in Dtl. angegeben) -, aber nein, aber meinem obigen Ergebnis ändert das nichts. Falls Sie in diesem Antrag etwas Falsches angegeben hätte, könnte man das natürlich für den Fall einer unerwarteten Eskalation verhandlungstaktisch im Hinterkopf behalten.
Nochmals zu Punkt 6.): Ich habe nochmal in F. nachgefragt. Nach Auskunft einer franz. Kollegin gilt der Grundsatz "les Aliments ne s´arreagent pas", wie schon gestern angenommen, nur eine Vermutung auf, die der Unterhaltsberechtigte widerlegen muss (Cass. civ 2e, vom 29. Feb. 1980, Bull. civ ,II Nr 226,S.154, JCP 1981, II.,19665), wenn er Unterhalt für einen Zeitraum vor Antragstellung haben will.
Dieser Grundsatz gilt aber nur, wenn wirklich das Kind Unterhalt in Form einer "Pension alimentaire" verfolgt. Dieser Grundsatz gilt dagegen nicht, wenn ein Elternteil von dem anderen eine Zuwendung dafür verlangt, dass der nicht kindesobhütende Elternteil sich am Unterhalt und der Erziehung des gemeinsamen Kindes beteiligt, da darin kein echter Unterhaltsanspruch des Kindes gegen das betroffene Elternteil gesehen wird, sondern ein Ersatzanspruch des einen Elternteils gegen den anderen für frühere Zuwendungen an dass Kind (Cass. civ. 2e 29.10.1980; JCP 1981 II.,19665).
Wenn das hier der Fall ist, was man ohne Kenntnis der franz. Antragschrift nicht beurteilen kann, heißt das, dass hier vermutlich auch mit Nachforderungen für bis zu fünf Jahre rückwirkend zu rechnen sein könnte.
Mit freundlichen Grüßen
Ra. Jahn