Impfaufklärung
| 26.10.2016 11:49
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Zusammenfassung: gesetzliche Vorgaben ärztlicher Aufklärung bei Impfungen
Grüß Gott,
ich bin niedergelassener Kinderarzt und bin auch für die Impfungen der mir anvertrauten Kinder zuständig.
Impfempfehlungen werden in Deutschland vom Robert-Koch-Institut und dort von der Ständigen Impfkommission STIKO ausgesprochen. Diese erstellt auch den Impfkalender.
Gleichzeitig macht die STIKO u.a. auch Vorgaben was bei einer Impfaufklärung alles aufzuklären ist. Die STIKO ist diejenige Institution, an der sich auch die gängge Rechtsprechung orientiert.
Die Vorgaben der STIKO, wie eine ordnungsgemäße Impfaufklärung auszusehen hat sind sehr umfangreich. So müssen neben den impfspezifischen Nebenwirkungen und Risiken auch über die Krankheit, die mit der Impfung verhindert werden soll, deren Übertragungswege, deren Behandlungsmöglichkeiten, sowie deren Risiken aufgeklärt werden. Damit nicht genug; Verhalten nach der Impfung, Auffrischimpfungen, Dauer des Impfschutzes und vieles mehr hat die STIKO als Forderung in einer Liste aufgeführt und als ordnungsgemäße Impfaufklärung definiert.
Säuglinge werden im 2. bis 3. Monat gegen 7 Krankheiten geimpft. Im weiteren Leben gegen mindestens 6 weitere.
Eine Impfaufklärung gemäß den Vorgaben der STIKO kann allein aus zeitlichen Gründen nicht in diesem Umfang im persönlichen Gespräch geleistet werden.
In der Regel bedienen sich Ärzte der Zuhilfenahme von Impfaufklärungsbroschüren, die den Eltern ein paar Wochen vor dem ersten Impftermin zum häuslichen Studium mitgegeben werden. Am Impftermin selbst stellt man dann (nur) noch die Frage, ob es noch Fragen zur Impfung gibt und ob der Impfung zugestimmt wird. Damit bekommen die Eltern Gelegenheit offen gebliebene Fragen noch einmal im direkten Gespräch zu erörtern.
Diese Impfbroschüren sind sehr umfangreich; teilweise über 60 Seiten dick.
Erfahrungsgemäß lesen die Eltern diese Impfaufklärung nicht (ebensowenig wie der Beipackzettel einer Kopfschmerztablette gelesen wird). Das ist daran erkennbar, dass kurze Rückfragen vor der Impfung wie: "Wissen Sie denn was wir heute für 7 Impfungen machen?" oder "Haben Sie sich informiert, welche Nebenwirkungen bei der heutigen Impfung auftreten können?" oder "Kennen Sie die Krankheiten und deren Behandlungsmethoden gegen die wir heute impfen?" zu Kopfschütteln und der Verneinung der Frage führt, ob denn die mitgegebene Impfaufklärungsbroschüre gelesen worden sei.
Wir haben somit das
Problem Nr. 1:
Die Eltern kommen zum impfen, ohne wirklich über die Impfung und deren Risiken informiert zu sein. Sie haben zwar die Broschüre erhalten, aber gar nicht oder nicht sorgfältig gelesen. Sie stimmen der Durchführung der Impfung trotzdem zu und haben auch keine weiteren Fragen, aber sind definitiv nicht richtig aufgeklärt.
Problem Nr. 2:
Ausländische Eltern, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind verstehen auch Impfaufklärungsbroschüren in ihrer Landessprache nicht. 62 Seiten in arabisch, die eine afghanische Mutter vorgelesen bekommt, weil sie selbst nicht lesen kann... Das hat doch mit Impfaufklärung nichts zu tun.
Problem Nr. 3:
Nicht nur in Familien mit Migrationshintergrund, sondern auch in deutschen Familien mit niedrigem Bildungsniveau fehlt meist schlicht das medizinische Verständnis. Wenn ich über die Hepatitis B-Impfung aufklären soll und die deutsche Mutter/Vater mit dem Begriff "Leber" lediglich eine Assoziation mit "Alkohol" hat, müßte meine Aufklärung zunächst bei der Anatomie und Physiologie über die Pathologie beginnen, dann den Unterschied zwischen einer viralen und einer bakteriellen Entzündung erläutern, um schließlich die mindestens 5 verschiedenen Hepatitis-Arten zu differenzieren, deren Übertragungswege erklären um dann noch die aktuellen Behandlungsmöglichkeiten einer Hepatitis B dranzuhängen. Daran anschließend kommt dann noch die Schutzwirkung der Impfung mit den Hepatitis B-spezifischen Impfreaktionen und möglichen Nebenwirkungen.
Dann habe ich günstigstenfalls 1 von 7 Krankheiten aufgeklärt. Das gleiche müßte dann noch mit 6 weiteren Krankheiten erfolgen.
Eine 16-jährige Mutter die seit einem halben Jahr mit Ihrem 2. Kind aus Aleppo in Syrien auf der Flucht endlich in der Flüchtlingsunterkunft angekommen ist weiß vielleicht noch nicht einmal, dass ein Mensch überhaupt eine "Leber" hat. Wie soll ich so Jemanden über die Hepatitis-Impfung ordnungsgemäß und STIKO-konform aufklären?
Fazit: Mehr als 99% aller Patienten (Eltern) kommen unaufgeklärt zur Impfung, erklären aber ihr Einverständnis mit der Durchführung der Impfungen und beantworten die Frage nach weiterem Gesprächsbedarf mit "nein".
Eine Impfung ist eine Körperverletzung, wenn die Eltern nicht ordnungsgemäß über den Eingriff aufgeklärt wurden und ihm zugestimmt haben.
Durch die ordnungsgemäße Impfaufklärung sollen Eltern in die Lage versetzt werden durch Abwägen von Nutzen und Risiken zu einer Entscheidung für oder gegen das Impfen zu kommen. Impfungen können ernste, ja sogar tödliche Nebenwirkungen haben, weshalb die Risiken nicht verbagatellisiert werden dürfen.
Diese seltenen, aber bedrohlichen Impfreaktionen erfordern es, dass die Impfaufklärung tatsächlich ernst genommen werden muss.
Ein normaler Routinebetrieb mit 20 bis 30 Impfungen pro Tag wäre in einer Kinderarztpraxis gar nicht möglich, wenn ich alle Patienten, bei denen ich unmittelbar vor der Impfung festelle, dass die Eltern ja gar nicht richtig aufgeklärt sind, nochmals mündlich im von der STIKO geforderten Umfang aufklären müsste.
Andererseits habe ich als Kinderarzt aber auch einen Impfauftrag und ich könnte mich der Unterlassung schuldig machen, wenn ich ein Kind nicht zeitgerecht gemäß den Empfehlungen der STIKO impfe und es deshalb an einer impfpräventablen Erkrankung erkrankt.
In diesem Spannungsfeld zwischen Impfauftrag und fehlender korrekter Impfaufklärung bewege ich mich jeden Tag.
Hier nun meine Fragen:
1. Muss ich mich vor der Durchführung einer Impfung durch kurzes NACHFRAGEN davon ÜBERZEUGEN, dass die Eltern tatsächlich Bescheid wissen oder kann ich mich darauf berufen, dass ich mit der Aushändigung der Aufklärungsbroschüre und meinem GesprächsANGEBOT meine Aufklärungspflicht erfüllt habe, egal ob die Eltern die Broschüre dann lesen und verstehen oder eben nicht? Muss ich mich also VERSICHERN, dass die Eltern aufgeklärt sind?
2. Darf ich ein Kind impfen, wenn OFFENSICHTLICH ist, dass die Eltern trotz Aufklärungsbroschüre nicht aufgeklärt sind? Beispiel: Mutter: "Nein, ich hab das nicht gelesen, aber ich bin trotzdem einverstanden." Muss ich in so einem Fall die Impfung ablehnen?
3. Darf ich ein Kind impfen, wenn Ich bei Eltern mit niedrigem Bildungsniveau oder bei Migranten davon ausgehen muss, dass sie die Aufklärungsbroschüre überhaupt nicht (medizinisch) verstanden haben?
4. Wie wird in den Fällen von 3. verfahren, wenn das medizinische Verständnis für eine ordnungsgemäße Impfaufklärung fehlt, auch nicht hergestellt werden kann, aber die Kinder trotzdem ja geimpft werden sollen? Hier geht es nicht um Patienten oder Eltern, die einen Betreuer brauchen, sondern eben sehr einfache Deutsche oder um Flüchtlinge ohne medizinische Vorkenntnisse. Auch diese Kinder brauchen die Impfungen. In bestimmten Stadtteilen von Berlin mit 95% Migranten kann man nicht für jede Impfung das Jugendamt einschalten oder einen Richter über die Durchführung einer Impfung entscheiden lassen.
5. Neu ankommende Flüchtlinge sollen so schnell wie möglich die hier in Deutschland üblichen Impfungen erhalten, auch um Epidemien zu verhindern. So fanden z.B. in Berlin im letzten Jahr Massenimpfungen statt, wo die Ärzte am Fließband Kinder und erwachsene Flüchtlinge geimpft haben. Eigentlich gelten doch für diese Situationen die gleichen Standards wie für normale Routineimpfungen auch, oder ist hier eine ordnungsgemäße Impfaufklärung entbehrlich?
6. Ist möglicherweise mein Arzt-Haftpflicht-Versicherungsschutz gefährdet, wenn meine Haftpflichtversicherung mir nachweist, dass im Falle eines Schadens durch eine Impfung meine mangelhafte Impfaufklärung in diesem speziellen Falle kein Einzelfall war, sondern ich in den letzten 10 Jahren bei mehr als 50.000 durchgeführten Impfungen immer unzureichend aufgeklärt und ich damit meine ärztlichen Pflichten in grober Weise verletzt habe? Könnte das als "grobe Fahrlässigkeit" ausgelegt werden und meinen Haftpflichtschutz gefährden?
7. Wie soll also ein niedergelassener Kinderarzt, der ja neben Impfungen auch noch Kinder untersuchen und Krankheiten behandeln soll in diesem Spannungsfeld juristisch korrekt agieren, wenn er einerseits einen Impfauftrag hat und sich bei Verschiebung oder Nicht-Durchführung einer Impfung der Unterlassung schuldig macht, aber andererseits sicher sein kann, dass über 99% aller Patienten nicht STIKO-konform aufgeklärt zur Impfung kommen?
Danke für Ihren Rat.
Beantwortung bitte von einem Anwalt mit Schwerpunkt Medizinrecht. Danke.