Sehr geehrter Fragesteller,
In der Sache ist Ihre Argumentation gegen das „Zeit absitzen" völlig plausibel und überzeugend. Diesen Rechtsstreit würden Sie, bezogen auf die von der Schule gebotenen Alternativen 1 und 2 gewinnen.
Im Verwaltungsgerichtsprozess wird die Schulbehörde aber nicht nur ihre Argumentation
"irgendwie beaufsichtigt und beschäftigt absitzen"
... mit rechtlich tragfähigeren Standardformulierungen verschönern, sondern sie wird noch nachlegen. Und das ist nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sogar statthaft. Darauf müssen Sie sich einstellen.
Ihre Fragen:
1. Gibt es eine rechtlich haltbare Grundlage, dass das Kind diese eine Stunde Religionslehre ersatzweise "irgendwie beaufsichtigt und beschäftigt absitzen muss"? Und wenn nein, wie können wir uns dagegen wehren?
Antwort:
Sie können eine einstweilige Anordnung nach § 123 Absatz 1 Satz 2 VwGO
gegen die Schule erwirken, siehe zur Verfahrensweise auch meine Beratung in diesem Forum unter
http://www.frag-einen-anwalt.de/forum_topic.asp?topic_id=265973&rechtcheck=2
2. Wenn - was bisher nur eine Befürchtung ist - uns stattdessen ein örtlich und zeitlich benachteiligender ersatzweiser Ethikunterricht angeboten würde (also etwa nachmittags und/oder in einer weiter entfernten Schule) - könnten wir uns dagegen wehren, und wie?
Antwort:
Dasselbe wie oben, wobei Ihre Chancen bezüglich des Nachmittagsangebots durchaus gut sind. Denn das Kind würde ja etwa bei den Hausaufgaben benachteiligt und – was nicht zu unterschätzen ist – das Kind hat Anspruch auf Freizeit und Erholung.
Eine näher liegende Schulde müssten Sie eher akzeptieren. Weiter entfernt gilt dasselbe wie zum Nachmittagsangebot.
Zum Wohle des Kindes empfehle ich aber möglichst jede Verhandlungsmöglichkeit zu nutzen, wobei Sie Ihre Position mit den hier skizzierten Argumenten durchaus selbstbewusst vertreten dürfen.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Diese Antwort ist vom 18.09.2014 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
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Sehr geehrter Herr Burgmer,
vielen Dank für Ihre rasche Antwort, die mir aber leider noch nicht die angestrebte Klarheit gebracht hat:
Sie schreiben: "Im Verwaltungsgerichtsprozess wird die Schulbehörde aber nicht nur ihre Argumentation "irgendwie beaufsichtigt und beschäftigt absitzen"
... mit rechtlich tragfähigeren Standardformulierungen verschönern, sondern sie wird noch nachlegen. Und das ist nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sogar statthaft. Darauf müssen Sie sich einstellen."
Dazu meine Fragen:
Was meinen Sie mit "noch nachlegen" - da fehlt mir jetzt die Phantasie.
Aber viel wichtiger: worauf bezieht sich Ihr Satz: "Und das ist nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sogar statthaft." auf das verschönern, auf das nachlegen, oder ist das von mir so genannte Absitzen nach der Verwaltungsgerichtsordnung statthaft, wenn man es nur in schönere Worte kleidet und womöglich pädagogisch verbrämt?
So bleibt für mich eigentlich mein zentrales Anliegen ungeklärt: Gibt es eine rechtlich haltbare Grundlage, dass das Kind diese eine Stunde Religionslehre ersatzweise "irgendwie beaufsichtigt und beschäftigt absitzen muss"? Mit andern Worten sind wir mit unserer Auffassung im Recht, dass unser Kind ersatzlos nach Hause gehen darf - und wenn ja wie sind unsere Chancen uns damit durchzusetzen?
Da mir also die Antwort auf die erste Frage nicht klar wird, gilt das leider auch für meine zweite Frage wenn Sie Ihre Antwort mit "Dasselbe wie oben." beginnen.
Darüber hinaus ist heute morgen schon passiert, was ich gestern Abend noch lustig fand:
In einem Elternbrief lädt der Rektor ein:
"Am Freitag, dem 26.9.2014, findet der Schulanfangsgottesdienst um 8.10 Uhr statt. Dazu sind auch alle Kinder einer anderen Konfession, sowie Bekenntnislose, recht herzlich eingeladen. Kinder die nicht an dem Gottesdienst teilnehmen DÜRFEN (Hervorhebung durch mich) melden sich beim Klassenlehrer der SIE EINER BEAUFSICHTIGUNG ZUFÜHRT." (Hervorhebung durch mich).
(Nur nebenbei - Ich finde die Wortwahl diskriminierend, ja stigmatisierend, und zumindest bei mir weckt das "Zuführen" geradezu abscheuliche Assoziationen)
Aber die eigentliche Frage ist für mich wieder: Gibt es eine rechtlich haltbare Grundlage, dass das Kind die Stunde Gottesdienst zeitgleich "irgendwie beaufsichtigt und beschäftigt absitzen muss"? Mit andern Worten sind wir mit unserer Auffassung im Recht, dass unser Kind erst zum eigentlichen Unterricht erscheinen muss - und wenn ja wie sind unsere Chancen uns damit durchzusetzen?
Für mich als Laien ist es das gleiche Thema -wenn Sie das als neue FRAGE betrachten bin ich auch gerne bereit dafür zu bezahlen.
Übrigens war ich etwas überrascht, dass Sie offenbar in einem anderen Bundesland wohnen. Ich gehe gleichwohl davon aus, dass Ihre Antworten auf BAYRISCHE Verhältnisse zutreffen (wo die Uhren ja bekanntlich anders gehen :-).
Vielen Dank im voraus
mit freundlichen Grüßen
Gerne beantworte ich kostenlos Ihre Nachfrage:
"Nachlegen" bedeutet, dass Behörden (aber auch Sie) im Prozess Gründe nachschieben dürfen, so die Rspr. zu § 108 VwGO
.
Letztendlich kommt es nämlich auf die freie Überzeugung und die Beweiswürdigung durch das Gericht an, welche Argumente (der Schule und die Ihrigen) das Urteil tragen. Nicht maßgeblich ist demgegenüber Semantik, also etwa pädagogisch "verbrämte" Floskeln. Da haben Sie 100-% Recht. Und das hatte ich auch so gemeint.
Eine abschließende Prognose ist auf diesem Wege ohne Akteneinsicht nicht möglich, wohl aber der Hinweis, dass das "Zuführen Ihres Kindes..." zwar unschönes Amtsdeutsch ist. Aber nur dann anfechtbar wäre, wenn damit inhaltlich ein Reduzierung der Persönlichkeit des Kindes als pädagogisches Objekt vom Gericht erkannt würde.
Um Nachteilen für Ihr Kind vorzubeugen, rate ich Ihnen bis zur ggf. gerichtlichen Klärung, den Anweisungen der Schule "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" (dies schriftlich) erst einmal zu folgen.
Mit besten Wünschen verbleibe ich,
Ihr
W. Burgmer, Rechtsanwalt