Sehr geehrter Rechtsuchender,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne wie folgt beantworte:
Grundsätzlich steht es Ihren Eltern frei, mit ihrem Vermögen nach belieben zu verfahren. Insbesondere dürfen Ihre Eltern einzelne Vermögensgegenstände „unter Wert" verkaufen oder sogar verschenken. Dabei sind Ihre Eltern zur Gleichbehandlung der vier Kinder nicht verpflichtet. Entsprechendes gilt für Ihren Bruder. Dieser darf ohne Weiteres solche Vermögensgegenstände annehmen. Sowohl gegenüber Ihren Eltern als auch gegenüber Ihrem Bruder können Sie aus solchen Geschäften keinen Anspruch herleiten.
Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn Ihre Eltern – wobei beide Todesfälle erbrechtlich einzeln zu betrachten wären – binnen zehn Jahren nach einer Schenkung versterben würden und Ihr Pflichtteil durch eine Schenkung beeinträchtigt wäre.
Soweit Ihr Bruder für die Wohnung keine weiteren Gegenleistungen erbringt – die z. B. auch in Pflegeleistungen oder anderen Vorsorgeversprechen liegen kann – wäre die Übertragung in Höhe von 120.000 EUR ein „normales" Geschäft, in Höhe weiterer 60.000 EUR hätte das Geschäft den Charakter einer Schenkung (sog. gemischte Schenkung). Eine solche gemischte Schenkung kann in Ihrem Fall – vorbehaltlich anderer Gegenleistungen – vorliegen, da der Wert von Leistung (Wohnung) und Gegenleistung (120.000 EUR) bei objektiver Betrachtung einander nicht entsprechen.
Wenn es nun innerhalb des o. g. Zeitraums zu einem Erbfall kommen sollte, ist ein Vergleich anzustellen. Gegenüberzustellen wären der erbrechtliche Pflichtteilsanspruch, der sich ergeben würde, wenn die Schenkung nicht erfolgt wäre, und dasjenige, was Sie (z. B. als Erbe) aus der Erbmasse erlangten.
Es wird also zunächst der Pflichtteil bestimmt, der sich aus der Summe von Erbmasse + Schenkung ergibt. Ist die Schenkung innerhalb eines Jahres vor dem Erbfall geschehen, ist sie voll zu berücksichtigen. Für jedes weitere dazwischen liegende Jahr ist die Schenkung um 10 % zu kürzen, sodass die Schenkung nach 10 Jahren unberücksichtigt bliebe. Der Pflichtteil entspricht 50 % des gesetzlichen Erbteils.
Ist der so „angereicherte" Pflichtteil wertmäßig größer als dasjenige, was Sie aus der Erbmasse erlangten, so stünde Ihnen in Höhe des Wertunterschiedes ein Zahlungsanspruch gegen den oder die Erben zu (Pflichtteil- bzw. Pflichtteilergänzungsanspruch).
Zusammengefasst ist Ihre Frage wie folgt zu beantworten: Bei Vornahme des Geschäfts haben Sie keine Ansprüche gegen Ihren Bruder. Sollten Ihre Eltern innerhalb von zehn Jahren versterben, so können Sie Ansprüche gegen den oder die Erben haben, wenn Sie weniger aus dem Nachlass erlangten, als Sie als Pflichtteil unter Berücksichtigung der Schenkung zu erhalten hätten.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meinen Ausführungen weiterhelfen.
Bitte beachten Sie, dass es sich bei den vorstehenden Ausführungen um eine erste Einschätzung aufgrund des von Ihnen geschilderten Sachverhalts handelt, die eine persönliche Beratung durch einen Rechtsanwalt nach umfassender Sachverhaltsaufklärung nicht ersetzen kann. Durch Auslassen oder Hinzufügen von Tatsachen Ihrerseits kann sich die rechtliche Bewertung ändern.
Bei Unklarheiten können Sie gerne von Ihrem Nachfragerecht Gebrauch machen.
Mit freundlichen Grüßen
Chris Koppenhöfer
(Rechtsanwalt)