Sehr geehrte(r) Ratsuchende(r),
haben Sie vielen Dank für Ihre Rechtsfrage, auf die ich Ihnen gerne im Nachfolgenden antworte.
a) Ist der bisherige Sichtschutzzaun Eigentum von beiden Grundstücken (da das Betonfundament und die Pfostenhalter auf beiden Grundstücken stehen) oder gehört er zum Mehrfamilienhaus (da der mittig auf dem Betonfundament montierte Sichtschutzzaun streng genommen ausschließlich auf dem Grundstück des Mehrfamilienhauses steht)?
Das Gesetz hält zu der Frage, wer Eigentümer der Grenzeinrichtung ist, keine Antwort parat. Es wird in der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Grenzeinrichtungen an der Grundstücksgrenze lotrecht zu teilen sind und die sich hieraus ergebenden Teile den jeweiligen Grundstückseigentümern gebühren. Dies ist recht theoretisch – in Ihrem Fall ist die Eigentümerstellung indes wohl praktisch nicht sonderlich relevant, da der alte Zaun vermutlich keinen nennenswerten Substanzwert mehr aufweist und da sich die beschriebene Streitigkeit weniger um die Eigentümerstellung, sondern vielmehr um die gemeinschaftliche Verwaltung der Grenzeinrichtung dreht.
b) Kann der Mieter der Erdgeschosswohnung von seinem Vermieter verlangen, dass der marode Zaun erneuert wird? Kann er sich dabei ausschließlich auf das Sicherheitsrisiko berufen oder reichen hierfür auch die zahlreichen optischen Mängel, die den Gesamteindruck der insgesamt hochwertigen Wohnanlange beeinträchtigen?
Der Mieter kann von dem Vermieter des Einfamilienhauses verlangen, dass der marode Zaun erneuert wird, da es sich hierbei um einen Mangel an der Mietsache handelt. Gerade bei hochwertigen Mietobjekten reicht eine bloße optische Beeinträchtigung der Mietsache aus:
Zitat:Auch rein optische, für die technische Brauchbarkeit der Mietsache unschädliche Beeinträchtigungen können sowohl bei der Immobiliar- als auch der Fahrnismiete im Einzelfall einen Mangel darstellen. Entscheidend muss insoweit sein, ob eine bestimmte ästhetische Gestaltung des Mietobjekts nach den Parteivereinbarungen oder der Verkehrsanschauung die Voraussetzung für eine bestimmungsgemäße Objektnutzung ist. Jedenfalls bei der Vermietung hochpreisiger und exklusiver Gewerberäume mit Publikumsverkehr und entsprechenden Kundenerwartungen werden deshalb auch ohne eine explizite Regelung spätere Verunstaltungen durch umfangreiche Graffiti an der Außenfassade, Verkratzungen der Schaufenster („scratching") oder nicht fertiggestellte Außenanlagen als Mangel eingestuft.
(BeckOGK/Bieder, 1.1.2019, BGB § 536 Rn. 48)
c) Kann der Mieter ggü. seinem Vermieter auf einem adäquaten weißen Sichtschutzzaun bestehen, der in Höhe und Optik/Farbe dem bisherigen Zaun (ungefähr) entspricht? Ein Maschendrahtzaun würde die bisherige Optik und Privatsphäre des Anwesens/Gartens wesentlich beeinträchtigen.
Ob der Mieter vom Vermieter auf einen weißen Sichtschutzzaun bestehen kann, hängt zunächst von der mietvertraglichen Vereinbarung ab. Wenn im Mietvertrag dieser explizit vorgesehen ist, so kann die Herrichtung eines neuen vergleichbaren Sichtschutzzauns verlangt werden.
Wenn es hierzu keine Vereinbarung gibt, so schuldet der Vermieter zumindest eine beim Vertragsschluss vorliegende Ausstattung "mittlerer Art und Güte", d.h. es muss sich nicht zwangsläufig um einen weißen Sichtschutzzaun handeln, jedoch muss eine vergleichbare Einrichtung geschaffen werden. Ein Maschendrahtzaun wird diesem Erfordernis meiner Einschätzung nach nicht gerecht, liegt dieser doch weit unter dem Standard eines weißen Sichtschutzzauns.
d) Welches Vorgehen empfehlen Sie dem Mieter?
Meine Empfehlung ist es, von dem Vermieter die Herstellung ordnungsgemäßer Zustände zu verlangen. Sofern der Vermieter dem keine Folge leistet, bestehen zwei Möglichkeiten. Zum einen kann die Miete verhältnismäßig gemindert werden. Zum anderen kann – und dies ist anzuraten, wenn dem Mieter am Vorhandensein eines Sichtschutzzauns gelegen ist – auch auf entsprechende Erfüllung der mietvertraglichen Pflichten gegen den Vermieter geklagt werden.
e) Kann der Eigentümer des Einfamilienhauses auf Erneuerung des maroden Zauns bestehen?
Die beiden Grundstückseigentumer verwalten die Grenzanlage gemäß § 922 BGB gemeinschaftlich. Somit müsste von dem Eigenütmer des Mehrfamilienhauses die Zustimmung eingeholt werden. Wenn dieser die Zustimmung verweigert, hat der Eigentümer des Einfamilienhauses zumindest einen einklagbaren Anspruch auf eine dem Interesse beider Eigentümer entsprechende Verwaltung der Grenzanlage, s. hierzu weiterführend meine Antwort zu Ihrer Frae unter g).
f) Kann der Eigentümer des Einfamilienhauses vom Eigentümer des Mehrfamilienhauses die hälftige Kostenbeteiligung an einem adäquaten weißen Sichtschutzzaun verlangen, der in Höhe und Optik dem bisherigen Zaun (ungefähr) entspricht?
Die Kosten für die Instandhaltung der Grenzanlage hat jeder Nachbar je zur Hälfte zu tragen.
g) Gilt der bisherige weiße Sichtschutzzaun nach so vielen Jahren (sicherlich über 10 Jahre) als ortsüblich bzw. besteht hierzu ein „Gewohnheitsrecht"?
Grenzanlagen genießen einen umfassenden Bestandsschutz, solange ein Nachbar an ihrem unveränderten Fortbestand ein Interesse hat (BeckOGK/Vollkommer, 1.12.2018, BGB § 922 Rn. 6). Dieses Interesse muss nicht unbedingt wirtschaftlich begründbar sein, auch ästhetische Interessen sind geschützt.
h) Kann der Eigentümer des Einfamilienhauses die Errichtung eines Maschendrahtzauns ablehnen und/oder eine Kostenbeteiligung daran verweigern?
Wenn man davon ausgeht, dass die Errichtung eines Maschendrahtzauns nicht im beiderseitigen Interesse ist (Stichwort: gemeinschaftliche Verwaltung), kann der Eigentümer des Einfamilienhauses seine Zustimmung verweigern. Wenn der Eigentümer des Mehrfamilienhauses dann eigenmächtig den Zaun errichtet, muss sich er Eigentümer es Einfamilienhauses hieran kostenmäßig nicht beteiligen.
i) Falls der Eigentümer des Einfamilienhauses die Errichtung eines Maschendrahtzauns oder sonstigen „minderwertigen" Zauns ablehnt, kann dann der Eigentümer des Mehrfamilienhauses vom Eigentümer des Einfamilienhauses die alleinige Tragung der Gesamtkosten oder Mehrkosten verlangen?
Sofern die Errichtung eines höherwertigen Zaunes eine dem Interesse beider Eigentümer entsprechende Verwaltung der Grenzanlage ist, so haben sich beide Eigentümer hälftig zu beteiligen.
j) Falls keine Einigung zwischen den Eigentümern erfolgt, kann der Eigentümer des Mehrfamilienhauses den Zaun ohne Zustimmung des Eigentümers des Einfamilienhauses ersetzen (zB durch einen Maschendrahtzaun)?
Der Eigentümer des Mehrfamilienhauses dürfte allenfalls einen Zaun vorbehaltlich baurechtlicher Regelungen eigenmächtig auf seinem eigenen Grundstück aufziehen, jedoch nicht als Grenzzaun.
k) Welches Vorgehen empfehlen Sie dem Eigentümer des Einfamilienhauses?
Dem Eigentümer des Einfamilienhauses empfehle ich, seine Interessenlage dem Eigentümer des Mehrfamilienhauses deutlich zu machen und auf eine Zustimmung dessen hinzuwirken. Im Sinne einer friedvollen nachbarschaftlichen Beziehung ist dabei nach Möglichkeit von einer Eskalation/vorschnellen Klageerhebung abzusehen. Sofern dem Eigentümer des Einfamilienhauses an dem Aufbau eines Sichtschutzzaunes viel gelegen ist, so wird er für sich eine Abwägungsentscheidung treffen müssen, ob für ihn die Errichtung eines Zaunes entsprechend der alten Grenzeinrichtung so wichtig ist, dass er ein Gerichtsverfahren mit seinem Nachbarn in Kauf nimmt.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort geholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Kianusch Ayazi, LL.B. (Bucerius Law School)
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