Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Frage 1:
§ 295 Abs. 2 InsO
bestimmt:
"Soweit der Schuldner eine selbständige Tätigkeit ausübt, hat er die Gläubiger so zu stellen, wie wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre."
Die Schwierigkeit besteht darin zu ermitteln, welches Gehalt der Schuld denn verdient hätte, wenn er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre.
Übt der Schuldner einen Beruf aus, in dem es für Arbeitnehmer einen Gehaltstarifvertrag gibt, so ist dieser für die Bestimmung des fiktiven Gehalts maßgeblich.
Ansonsten muss der Schuldner selbst eine Feldforschung betreiben, welches Gehalt er in einem Arbeitsverhältnis erzielen könnte.
Erst nach dem Ende der Wohlverhaltensphase entscheidet das Insolvenzgericht auf Antrag eines Gläubigers darüber, ob die abgeführten Beträge des Schuldners ausreichend waren.
Daraus folgt für den selbständigen Schuldner eine große Unsicherheit während der Wohlverhaltensphase: Er kann sich nie sicher sein, ob der von ihm an den Treuhänder abgeführte Gesamtbetrag entsprach oder ob er zu wenig gezahlt hat. Die Gefahr der Versagung der Restschuldbefreiung ist daher sehr groß.
Woher Sie Ihre Zahlen haben, aus denen Sie einen Mittelwert gebildet haben, weiß ich nicht. Ich kann keine Aussage dazu treffen, ob der von Ihnen gebildete Mittelwert eine angemessene Gehaltshöhe für Ihren Beruf darstellt.
Jedenfalls ist aus dem ermittelten angemessenen Gehalt das Netto-Einkommen zu berechnen, und aus diesem ist der pfändbare Betrag nach der aktuellen Tabelle zu § 850c ZPO
abzuführen.
Frage 2:
Niemand ist zu Unmöglichem verpflichtet.
Angemessen ist nur eine dem Schuldner mögliche abhängige Tätigkeit (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2011 - IX ZB 224/09
, NZI 2011, 596
Rn. 6).
Abzustellen ist auf das Gehalt, dass Sie als Angestellter in einer vergleichbaren Tätigkeit nach Ihren individuellen Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt erzielen könnten. Dabei sind Faktoren wie Ausbildung, Qualifikation, beruflicher Werdegang und Berufserfahrung, aber auch Alter oder persönliche Handicaps zu berücksichtigen.
Auch hier laufen Sie aber Gefahr, dass der Abschlag, den Sie für Alter und Gesundheitszustand vornehmen, nachträglich vom Insolvenzgericht als zu hoch bewertet wird.
Frage 3:
Nein, der Verwalter wird nicht Ihr P-Konto pfänden.
Sie sind auch nicht zu monatlichen Abführungen verpflichtet, sondern nur zu jährlichen.
Wenn Sie feststellen, dass die Einkünfte aus Ihrer selbständigen Tätigkeit zu gering sind, um Ihre Obliegenheit aus § 295 Abs. 2 InsO
zu erfüllen, müssen Sie sich um die Aufnahme einer angemessenen Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt bemühen. Dies bedeutet, dass Sie sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend melden müssen, stetigen Kontakt zu Ihren Vermittlern bei der Agentur für Arbeit halten müssen und pro Woche ca. 2 - 3 Bewerbungen verschicken müssen.
Sie müssen also, wenn Ihre selbständige Tätigkeit keine ausreichenden Erträge zur Erfüllung der Obliegenheit aus § 295 Abs. 2 InsO
abwirft, sich lediglich ausreichend um die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses bemühen. Können Sie dies nicht darlegen und nachweisen, droht später Versagung der Restschuldbefreiung.
Frage 4:
Es gilt die Pfändungsgrenze nach der Tabelle zu § 850c ZPO
.
Die höhere Pfändungsgrenze greift erst dann, wenn das Insolvenzgericht Ihre Pfändungsgrenze durch Beschluss auf Ihren Antrag hin heraufgesetzt worden ist (§ 36 Abs. 2 Satz 1 InsO
in Verbindung mit § 850 i ZPO
).
Frage 5:
Auch in diesem Fall gilt die allgemeine Pfändungsgrenze nach der Tabelle zu § 850 c ZPO
,
es sei denn, das Insolvenzgericht hat Ihre Pfändungsgrenze angehoben.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Diese Antwort ist vom 11.01.2016 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
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A) Die Berechnung des fiktiven Einkommens habe ich über die Web-Seite
www.gehaltsvergleich.com/gehalt
gemacht mit folgenden Eingaben:
Jobtitel: Diplom-Betriebswirt
Ort/Bundesland oder PLZ: Bundesland
dann wurde als Ergebnis die Gehaltsspanne für das ausgewählte Bundesland angezeigt:
1. Quartil: € 1.837
Mittelwert: € 4.011
3. Quartil: € 7.262
B) von diesen drei Werten haben ich den "Mittelwert" gewählt!
C) mit dem Mittelwert (€ 4.011,--) habe ich über die Webseite
www.nettolohn.de
den Nettolohn unter Eingabe meiner spezifischen Parameter berechnet ...
D) Ergebnis: € 2.359,40 (netto)
E) über die Web-Seite
www.p-konto-info.de/pfaendungstabelle.html
habe ich mit dem Nettolohn den zu pfändenden Betrag abgelesen (keine unterhaltsberechtigte Personen) : für Nettolohn von 2.350,-- bis 2.359,99 sind es € 893,28
Frage 1: ist diese Berechnung formal richtig und kann man auch ausschließen, das ein Gläubiger wegen "falscher" / "zu geringer" Berechnung erfolgreich die Rechtsschuldbefreiung verhindern kann?
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Die Pfändungstabelle (2015 - 2017) von der Web-Seite
www.p-konto-info.de/pfaendungstabelle.html
beginnt mit folgenden Einträgen:
1. Zeile: € 0,00 bis € 1079,99 >>> Pfändungsbetrag = € 0,00
2. Zeile: € 1.080,-- bis € 1089,99 >>> Pfändungsbetrag = € 4,28
Laut § 850c ZPO ist die Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen aber € 930,-- ???
Frage 2:
ich habe in P-Konto: welche Pfändungsgrenze kommt bei mir zur Anwendung? (€ 1.080,-- oder € 930,--)
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Ich habe vom Amtsgericht die Bestätigung bekommen, dass mein Antrag auf Anhebung der Pfändungsgrenze (+ € 300,--) eingegangen ist ...
Ich habe die Möglichkeit in 3 Jahren in Rente zu gehen (Rente ca. € 900,--) und möchte die Selbständigkeit weiterlaufen lassen (Zuverdienst)
Frage 3.
Falls die Anhebung der Pfändungsgrenze vom Insolvenzgericht bestätigt wird, darf ich diese erhöhte Pfändungsgrenze "behalten" wenn ich in Rente gehe und meine Selbständigkeit weiterführe?
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Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Nachfragen möchte ich nachfolgend beantworten:
Frage 1:
Formal mögen Ihre Berechnungen richtig sein,
Es gibt im Bereich des § 295 Abs. 2 InsO
keine vorgegebenen Berechnungsmethoden.
Sie gehen daher auch mit der von Ihnen gewählten Berechnungsmethode das volle Risiko ein, dass das Insolvenzgericht nachträglich die von Ihnen gewählte Berechnungsmethode nicht anerkennt bzw. zu dem Ergebnis kommt, die von Ihnen abgeführten Beträge seien zu niedrig und nicht angemessen.
Welche Gewähr haben Sie, dass die im Internet angegebenen Zahlen zu durchschnittlichen Gehaltshöhen stimmen? Oder dass die tatsächlichen Erhebungen, auf denen diese Zahlen beruhen, stimmen bzw. statistisch ausreichend sind? Sie müssen damit rechnen, dass ein Gläubiger, der einen Versagungsantrag stellt, die Richtigkeit der Zahlen bestreiten wird.
Sie können eben nur hoffen, dass sich das Insolvenzgericht - sollte es zum Versagungsantrag eines Gläubigers kommen - von Ihrer Berechnungsmethode überzeugen lässt. Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit während der Wohlverhaltensphase ist im Hinblick auf die Obliegenheit aus § 295 Abs. 2 InsO
eben sehr riskant, ohne dass Ihnen dieses Risiko abgenommen werden kann.
Zu empfehlen ist, dass Sie sich parallel arbeitssuchend melden und wöchentlich zwei bis drei Bewerbungen verschicken. Dann verhalten Sie sich so, wie wenn die von Ihnen abgeführten Beträge zu niedrig sind und stehen auf der sicheren Seite. Sie haben sich dann jedenfalls ausreichend um ein angemessenes Einkommen bemüht. Das genügt.
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Der Betrag 930 € ist veraltet; offenbar ist da der Gesetzestext an die seither erfolgten Änderungen nicht angepasst worden.
Das unpfändbare monatliche Netto-Einkommen beträgt für Personen ohne Unterhaltsverpflichtungen nach der jüngsten Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung von 2015 1080,00 €.
Frage 2:
Bei Ihrem P-Konto gilt die aktuelle Freigrenze (1080 €).
Frage 3:
Wenn Sie Restschuldbefreiung erhalten, dürfte sich die Frage einer Pfändung Ihres Einkommens als Selbständiger durch Alt-Gläubiger nicht mehr stellen.
Wird die Restschuldbefreiung versagt, oder kommt es nach erteilter Restschuldbefreiung zu Pfändungen auf Grund von Neu-Verbindlichkeiten, ist das Insolvenzgericht nicht mehr für Sie zuständig. Anordnungen des Insolvenzgerichts, die sich auf die Dauer des Insolvenzverfahrens beziehen, werden nach dessen Beendigung oder Einstellung obsolet. Sie müssen in diesem Fall einen neuen Antrag auf Anhebung der Freigrenze beim dann zuständigen Amtsgericht - Vollstreckungsgericht stellen.
Mit freundlichen Grüßen,
Carsten Neumann
Rechtsanwalt
Sehr geehrter Fragesteller,
noch eine ergänzende Bemerkung zum P-Konto:
während der Dauer des Insolvenzverfahrens sind Einzelzwangsvollstreckungen von Gläubigern wegen Alt-Verbindlichkeiten des Schuldners, die zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits bestanden, nach § 89 Abs. 1 InsO
unzulässig.
Eine gleichlautende Bestimmung enthält § 294 Abs. 1 InsO
für die Wohlverhaltensphase.
Unter das Verbot der Einzelvollstreckung fallen auch Kontopfändungen durch Gläubiger.
Auf Grund dessen brauchen Sie während des Insolvenzverfahrens und der Wohlverhaltensphase wegen Ihrer Alt-Verbindlichkeiten kein P-Konto.
Mit freundlichen Grüßen,
Carsten Neumann
Rechtsanwalt