Sehr geehrter Fragesteller,
gerne beantworte ich Ihre Fragen auf der Grundlage der gegebenen Informationen verbindlich wie folgt. Dabei gehe ich nach der Sachverhaltsdarstellung davon aus, dass es keinen Bebauungsplan gibt, der etwas über Aufschüttungen, Geländefläche etc. festsetzt und dass es sich um Grundstücke im Innenbereich handelt.
Wie Sie selbst schon richtig recherchiert haben, schreibt Ziff. 8.1 und Ziff. 8.2 von Anlage 2 zur BauO-Hbg vor, dass es sich bei Aufschüttungen, obwohl diese grundsätzlich „bauliche Anlagen" sind (siehe § 2 Abs.2 Ziff. 1 i..V.m. § 60 Abs.2 BauO-Hbg), dann um genehmigungsfreie Vorhaben handelt, wenn deren Grundfläche sich auf „bis insgesamt 50qm²" beläuft bzw. sogar von mehr als 50qm² bis zu 400qm² und bis zu 2 Meter Höhe oder Tiefe, außer es wird an andere bauliche Anlagen angeschüttet.
Daraus folgt für den Fall: Wenn die Grundfläche der „neuen" Aufschüttung höher ist 50qm², ist diese wohl kein genehmigungsfreies Vorhaben, da Sie zwischen Haus (=bauliche Anlage) und neuer Stützmauer vorgenommen wird. Wenn die Grundfläche der „neuen" Aufschüttung kleiner ist als 50qm² ist sie genehmigungsfrei. Das Wort „insgesamt" in Ziff. 8.1 Anlage 2 zur Hamburger Bauordnung kann sich ja nur auf diejenige bauliche Anlage beziehen, die neu errichtet wird, weil es ja nur für diese auf die Frage Genehmigungsfrei oder nicht ankommt. Es sind also nicht die alten und die neue Aufschüttung zusammenzuaddieren.
Auch die Höhe der Stützmauer für eine Aufschüttung als genehmigungsfreies Vorhaben von bis zu 2,00 Metern ist vorliegend eingehalten, weil diese nach der Sachverhaltsdarstellung nur 90cm hoch ist, so dass diese Stützmauer auch kein Abstandsflächenproblem auslöst (§ 6 Abs.7 Ziff.3 Bau Hbg).
Selbst wenn Ihr Nachbar hier eine Baugenehmigung für seine neue Aufschüttung brauchen sollte, der gegenwärtige Zustand also objektiv bauordnungs-rechtswidrig sein sollte, folgt daraus aber leider noch nicht ohne weiteres ein subjektiver Abwehranspruch gegen Ihren Nachbarn. Damit sich ein solcher aus dem nachbarschaftlichen Gebot der Rücksichtnahme ergibt, muss die neue Aufschüttung auch „grob rücksichtlos" sein (siehe z.B. VG Koblenz Urteil vom 8. Mai 2012, Az. 1 K 931/11
.KO).
Im Ergebnis ist z.B. darauf abstellen, ob eine unselbstständige Aufschüttung geeignet erscheint; um erdrückende oder abriegelnde Wirkung zu entfalten? Beeinflusst Sie die Belichtung, Besonnung oder die Belüftung Ihres Grundstücks? Die Zuwegung? Ich vermute stark, dass all das bei einer nur 90cm. hohen Stützmauer für die Aufschüttung eher zu verneinen sein wird.
Schließlich: Besteht eine konkrete Gefahren-situation, dass die neue Aufschüttung die Tragfähigkeit oder die Standsicherheit Ihres eigenen Grundstücks gefährdet, oder besteht die Gefahr des Abrutschens der Auffüllmasse oder ist das ausgeschlossen? (Diese Fragen sind von der zitierten Entscheidung des VG Koblenz inspiriert, dass all das im dortigen Fall geprüft aber im Ergebnis dort verneint hat).
Lässt sich irgendetwas davon hier aus der Sicht von Nachbar B gesehen, ernsthaft und wahrheitsgemäß vortragen, so dass sich die Einholung eines kostenpflichtigen gerichtlichen Sachverständigengutachtens ggf. erstmal im selbstständigen Beweisverfahren (§ 485 ZPO
) samt gerichtlicher In-Augenscheinnahme zu diesen Fragen, zumindest theoretisch lohnen könnte?
Wenn Sie sich mit Ihrem Nachbarn auseinandersetzen wollen, besteht der nächste Schritt einfach darin, die neue Aufschüttung dem Bauamt zu Kenntnis zu bringen, damit dieses prüfen kann, ob es sich aus seiner Sicht um ein genehmigungsfreies oder genehmigungspflichtiges Vorhaben handelt, wofür es einfach die 50qm²-Grenze ankommt und dort einen Antrag zu stellen, dass man ggf. einen Rückbaubescheid erlassen soll. Wenn dieser abgelehnt wird, was ich auf der Basis der gegebenen Tatsachen stark vermute, stehen Ihnen dagegen auch Widerspruch und Klage zu.
Weil Sie nach der Baustilllegung fragen, natürlich kann man prozessual eine einstweilige Verfügung anprüfen, dazu muss der materiell-rechtliche Abwehranspruch ganz besonders sicher sein, und es muss auch Eilbedürftigkeit vorliegen. Das würde ich hier eigentlich nur bejahen, wenn es tatsächlich eine konkrete und auch beweisbare Gefahrensituation für Ihr Grundstück durch die neue Aufschüttung entstehen sollte. Ist das der Fall?
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Mit freundlichen Grüßen
Ra. Jahn
Diese Antwort ist vom 11.10.2014 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
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Sehr geehrter Herr Jahn,
herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort.
Meine Nachfrage: Nach meinem Empfinden kann die Formulierung "insgesamt 50 m²" doch nur bedeuten, dass alle Aufschüttungen zusammen diese Fläche nicht überschreiten dürfen oder aber eine Genehmigung erforderlich ist. Sonst könnte man ja durch eine Aufteilung auf mehrere Bauabschnitte beliebig große Aufschüttungen realisieren. Gibt es denn einen Kommentar oder Rechtsprechung zu dieser speziellen Frage?
Sehr geehrter Fragesteller,
zu dieser speziellen Frage gibt es weder Literatur noch Rspr.
Es gibt aber folgendes: Damit die Genehmigungsfreistellung Ihres aufschüttenden Nachbarn gem. Ziff.8 von Anlage 2 zur Hamburger Bauordnung überhaupt in Betracht kommt, muss es sich um eine „selbstständige Aufschüttung handeln, die eine eigene Zweckbestimmung" hat. (Oberthür Peter, Bauordnungsrecht in Hbg, 2.Aufl., Stuttgart 2012, auf S.204).
Diese Voraussetzung scheint hier allerdings erfüllt zu sein. Es handelt sich nicht um eine Terrassenaufschüttung oder Ähnliches, sondern der Zweck ist die Abstützung des Hauses auch durch die Stützmauer. Ob es jetzt mehr oder weniger als 50qm² sind, würde sich letzten Endes wirklich nur durch ein Sachverständigengutachten klären lassen.
Außerdem hat sich noch folgendes gefunden, das die Antwort leider auch eher in Richtung Ihres Nachbarn tendieren lässt: „…Sind Aufschüttungen oder Abgrabungen vor längerer Zeit vorgenommen worden (20 bis 25 Jahre), so gilt die „neue" Geländeoberfläche als die natürliche Geländeoberfläche, selbst wenn man Art und Umfang der Aufschüttung oder Abgrabung noch erkennen kann" (Oberthür aaO. auf Seite 17).
Außerdem würde aus der objektiven Baurechtswidrigkeit dieser Aufschüttung, die zunächst einmal nur das Bauordnungsamt angehen würde, noch nicht automatisch ein Abwehranspruch Ihrerseits folgen.
Von den drei aktuellen Kommentaren zur Hamburger Bauordnung wurden zwei eingesehen (der genannte von Oberthür und „Hamburgische Bauordnung" von Alexejew/Munske/Junge. In letzterem steht nichts zu dieser Thematik.). Es gibt noch einen dritten, der aber weder in Berliner noch in Frankfurter Bibliotheken gefüht wird. Das ist die Loseblattsammlung, „Bauordnungsrecht in Hamburg" von Igor Alexejew (Hrsg.), die vermutlich tatsächlich nur in Hamburg selbst zu greifen ist und die jemand dort einsehen müsste - (dort wahrscheinlich § 60 Aufschüttungen oder eben der Kommentar zu Anlage 2 Ziff.8).
Mit freundlichen Grüßen
Ra. Jahn