Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegeben Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
I. Rechtsschutz gegen die Gemeinde
Die Baugenehmigung ist ein Verwaltungsakt. Gegen diesen Verwaltungsakt kann jeder Widerspruch einlegen, der dartut, hierdurch in einem Recht verletzt zu sein (§§ 42 Abs. 2 68 Abs. 1 Nr. 2, 69 Verwaltungs-Gerichtsordnung - VwGO). Dies kann im Prinzip jeder Dritte sein, nicht nur die unmittelbaren Nachbarn. Allerdings ist die Gemeinde nicht verpflichtet, alle denkbaren Drittbetroffenen vom Erlass des Verwaltungsaktes zu benachrichtigen. Dies hat Auswirkungen auf den Beginn des Laufs der Widerspruchsfrist. Nach § 70 Abs. 1 VwGO
muss der Beschwerte innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes Widerspruch bei der Behörde einlegen. Solange Ihnen die Behörde die Baugenehmigung nicht förmlich bekanntgegeben hat, beginnt die Widerspruchsfrist nicht zu Ihren Lasten zu laufen. Allerdings können Sie auch schon vor Bekanntgabe des Verwaltungsaktes Widerspruch einlegen.
Auch wenn die Behörde Sie als potentiellen Drittbetroffenen vor Erlass der Baugenehmigung nicht angehört hat, kann die unterbliebene Anhörung mit heilender Wirkung während des Widerspruchsverfahrens nachgeholt werden.
Zugleich mit der Einlegung des Widerspruchs bei der Behörde können Sie bei der Behörde nach § 80 a Abs. 1 Nr. 2
, § 80 Abs. 4 VwGO
oder beim Verwaltungsgericht nach § 80 a Abs. 3 VwGO
die einstweilige Aussetzung der Vollziehung des Widerspruchs beantragen, soweit die angegriffene Baugenehmigung bereits vollzogen wird. Ansonsten hat der Widerspruch aufschiebende Wirkung.
Der Widerspruch gegen die Baugenehmigung(en) ist begründet, wenn sie durch die Baugenehmigung(en) in einem eigenen, drittschützenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden.
"Bodenrechtliche Spannungen" als solche sind kein drittschützendes Recht zu Ihren Gunsten.
In Betracht kommt in Ihrem Fall die Verletzung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots. Danach können bauliche Anlagen, welche ansonsten in einem Baugebiet zulässig wären, in Einzelfällen unzulässig sein. Dies ist der Fall, wenn sie aufgrund
ihrer Anzahl,
ihrer Lage,
ihrer Zweckbestimmung oder
ihres Umfangs
der Eigenart des betreffenden Baugebiets widersprechen. Im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB
kann dies der Fall sein, wenn das Bauvorhaben nach Art und Lage sich nicht in die Eigenart der Umgebung einfügt. Das Verbauen der Seesicht allein dürfte für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots aber nicht ausreichen, da Sie keinen öffentlichen Rechtsanspruch auf den Seeblick haben.
Die Geltendmachung von Schadenersatz gegen die Gemeinde käme nur dann in Betracht, wenn sich ein Baustopp oder eine Aufhebung der Baugenehmigungen als unmöglich erweist.
II. Ansprüche gegen den Makler
Ein Anspruch auf Schadenersatz gegen den Makler ist nicht ersichtlich. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages entsprach dessen Werbung der Wahrheit.
Eine Garantie, dass der Seeblick in Zukunft erhalten bleibt, hat Ihnen der Makler nicht gegeben.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Carsten Neumann, Rechtsanwalt
Diese Antwort ist vom 21.08.2013 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
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Sehr geehrter Herr Neumann,
vielen Dank für Ihre kompetente Antwort. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles verstanden habe. Deshalb fasse ich nochmals Ihre Antwort laienhaft zusammen mit der Bitte, dass Sie mir bestätigen, ob ich Sie richtig verstanden habe. Also:
Da ich erst jetzt von den Bauvorhaben und deren Größe erfahren habe, beginnt meine Widerspruchsfrist erst jetzt. Ich (mit anderen zusammen) lege also Widerspruch bei der Gemeinde ein und beantrage die einstweilige Aussetzung der Baugenehmigung, weil bei dem einen Bauvorhaben der Bau schon begonnen wurde. Bei dem anderen Bauvorhaben, für das noch keine Baugenehmigung erteilt wurde, wird sich durch den Widerspruch der Zeitpunkt der Baugenehmigung nach hinten schieben (falls dann überhaupt eine Baugenehmgung erteilt wird).
Die Gemeinde MUSS wegen meinem Widerspruch meine Anhörung nachholen, möglicherweise mit heilender Wirkung, d. h. die Baugenehmigug hätte nicht erteilt werden dürfen bzw. wird nicht erteilt (fals sie noch nicht erteilt wurde).
Ob mein Widerspruch begründet ist, entscheidet die Gemeinde.
Damit ein Widerspruch begründet ist, muss ein eigenes drittschützendes subjektiv-öffentliches Recht verletzt werden.
Ein solches verletztes drittschützendes subjektiv-öffentliches Recht könnte bei mir das Rücksichtnahmegebot sein. Die verbaute Seesicht dürfte (?) als Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht ausreichen. Stimmt meine Zusammenfassung so?
Wir sind ein reines einheitlicher Wohn-Ortsteil auf mehrere Hundert Meter parallel zum See. Die Seesicht wird gleich bei einer Reihe von Nachbarn verbaut, nicht nur bei mir. Heißt "dürfte" hier "geht nicht"? Oder wäre das durch ein Gericht zu entscheiden (nicht einfach durch die Gemeinde)?
Die Bauvorhaben sind 30-50m von mir weg. Können Sie mir bitte kurz noch einfache Beispiele nennen zu 1)verletzte drittschützende subjektiv-öffentliche Rechte und 2) Verletzung des Rücksichtnahmegebots? Vielen Dank an Sie.
Mit freundlichen Grüßen
ein indirekter Nachbar
Sehr geehrter Fragesteller,
Sie haben meine Ausführungen richtig zusammengefasst.
Wenn die Gemeinde Ihren Widerspruch zurückweist - davon müssen Sie ausgehen - haben Sie die Möglichkeit, innerhalb eines Monats ab Zustellung des Widerspruchsbescheids Klage vor dem Verwaltungsgericht zu erheben.
Zugunsten von Nachbarn drittschützende Vorschriften, die von einem Bauvorhaben verletzt werden können, sind zumeist Nichteinhaltung von Abstandsflächen nach der Bauordnung. (Deswegen hat die Gemeinde in Ihrem Fall auch nur die "direkten" Nachbarn von der Baugenehmigung unterrichtet.) In Betracht kommt z.B. auch die Verletzung immissionsrechtlicher Vorschriften durch Lärm- und/oder Geruchsbelästigungen.
Verletzungen des Rücksichtnahmegebots sind häufig die Errichtung störender Gewerbebetriebe in oder in der Nähe von Wohngebieten, wie z.B. eine Schweinezucht oder ein Zerspann- und Schlachtbetrieb. Es kann aber auch der Fall sein, wenn in einem Wohngebiet im unbeplanten Innenbereich mit aufgelockerter, eingeschossiger Bebauung ein großer, massiver und mehrgeschossiger Baukomplex errichtet werden soll, der sich optisch nicht in die Umgebung einfügt, störend und Fremdkörper-haft wirkt, und absehbar zu einer erheblichen Zunahme der Verkehrsbelastung im bisher ruhigen Wohngebiet führen wird.
Ich bin jedoch skeptisch, ob in Ihrem Fall die Verbauung des Seeblicks ausreichen wird, um eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu bejahen. Dies deshalb, weil es keinen öffentlichen Rechtsanspruch eines Anwohners auf Aufrechterhaltung einer schönen Aussicht gegen die Gemeinde gibt.
Ich zitiere nachfolgend aus einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Würzburg (Urteil vom 16.07.2013 - Aktenzeichen: W 4 K 13.201
, juris):
"Soweit die Kläger der Auffassung sind, dass ihr Ausblick in die freie Landschaft erhalten werden müsse, verkennen sie, dass der unverbaubare Ausblick gerade nicht geschützt ist. Das öffentliche Recht gewährt nämlich grundsätzlich keinen Schutz darauf, dass die freie Aussicht auf die Landschaft (Wälder, Grünflächen) nicht verbaut wird. Wer am Rande eines Wohngebietes gebaut hat oder an eine Grünfläche angrenzt, ist in seiner Erwartung stets am Rande des Wohngebiets oder an der Grünfläche zu liegen öffentlich-rechtlich nicht geschützt, da ein Recht auf Bestand der tatsächlichen Vorteile nicht besteht (Dirnberger in Simon/Busse, Art. 66 RdNrn. 437, 441). Die Minderung der Aussicht und damit des Verkehrswertes des Grundstücks ist kein Eingriff in das Eigentumsrecht, da die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Aussicht lediglich eine Chance ist (BVerwG, U.v. 13.6.1969 - IV C 80.67
- DVBl 1970,60
). Eine abwehrfähige Rechtsposition hat der Inhaber eines Grundstücks im Innenbereich gegen eine Anschlussbebauung im Außenbereich nicht. Dies gehört vielmehr zu den Dingen, mit denen er üblicher Weise rechnen muss (VGH Mannheim, U.v. 12.9.1991 – 8 S 1382/91
– juris). Es gibt auch kein Recht darauf, dass begrünte oder baumbestandene Flächen erhalten bleiben (Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Art. 66 RdNr. 444)."
Wenn Sie gegen die Bebauung vorgehen wollen, sollten Sie eher damit argumentieren, dass die Bebauung störend wirkt und sich ncht in die Umgebung einfügt.
Mit freundlichen Grüßen,
Neumann
Rechtsanwalt
Im dritten Absatz zu Abschnitt I. der Antwort muss es richtig heißen:
"...die Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Baugenehmigung beantragen,..."