Sehr geehrter Ratssuchender,
gerne beantworte ich Ihre Frage aufgrund Ihrer Sachverhaltsschilderung wie folgt:
I. Arbeitszeit
Ausweislich des von Ihnen bereits zitierten Urteils des BAG vom 01.09.2010, Az. 5 AZR 517/09
, dürfte die in Ihrem Arbeitsvertrag geregelte Klausel, wonach „mit der Vergütung nach Absatz 1 und 2 Mehr-, Sonn- und Feiertagsarbeit abgegolten sind" unwirksam sein.
Insoweit dürften derartige Regelungen in Ihrem Arbeitsvertrag Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff BGB
darstellen, die dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB
genügen müssten. Das Transparenzgebot erfordert, dass in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltene Klauseln grundsätzlich eindeutig, klar und verständlich sein müssen.
Nach dem bereits zitierten Urteil des BAG vom 01.09.2010 ist „eine die pauschale Vergütung von Mehrarbeit regelnde Klausel nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen von ihr erfasst werden sollen".
Aus den von Ihnen mitgeteilten arbeitsvertraglichen Bestimmungen ergibt sich nur, dass im Falle der Erforderlichkeit über die betriebsübliche Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich hinaus zu arbeiten ist, wobei mit der Vergütung Mehr-, Sonn- und Feiertagsarbeit abgegolten werden soll.
Aus diesen Regelungen lässt sich gerade nicht klar und eindeutig entnehmen, wie viel Mehrarbeit Sie grundsätzlich bzw. an Sonn- und Feiertagen zu leisten haben. Die von Ihnen genannten Klauseln sollen vielmehr alle Arbeitsstunden erfassen, die die betriebsüblichen (und vereinbarten) 40 Wochenstunden überschreiten (so auch BAG, Urteil vom 01.09.2010, Az. 5 AZR 517/09
).
Grundsätzlich sind jedoch Abreden über Pauschalabgeltungen unwirksam, welche sich (auch) auf Überstunden beziehen, die die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit des § 3 ArbZG
übersteigen (BAG Urteil vom 28.09.2005, 5 AZR 52/05
; BAG, Urteil vom 01.09.2010, Az. 5 AZR 517/09
). Aufgrund der Tatsache, dass sich nach Ihrer Sachverhaltsschilderung gerade eine Beschränkung von etwaigen anfallenden Überstunden auf die gesetzliche Höchstarbeitszeit nicht ergibt, dürfte die vorliegende Klausel unwirksam sein. Insoweit indiziert die Abgeltung von etwaiger Sonn- und Feiertagsarbeit in Ihrem Arbeitsvertrag eine Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeiten.
II. Ständige Erreichbarkeit
Sofern Sie mitteilen, Ihr Arbeitgeber verlange von Ihnen, ständig erreichbar zu sein, so dürfte dies zumindest bedenklich sein.
Grundsätzlich ist Ihr Arbeitgeber gehalten, die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) zu beachten. Nach § 3 S. 1 ArbZG
darf die werktägliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers acht Stunden nicht überschreiten, wobei ausnahmsweise eine Verlängerung auf bis zu 10 Stunden nach § 3 S. 2 ArbZG
in Betracht kommt. Anhaltspunkte für eine derartige Ausnahme kann ich Ihrer Sachverhaltsschilderung jedoch nicht entnehmen.
Zudem müssen Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 ArbZG
nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden haben. Ausreichende Ruhezeiten sind erst solche, bei denen die Arbeitnehmer über regelmäßige, ausreichend lange und kontinuierliche Ruhezeiten verfügen. Sie müssen sich erholen, einen Teil ihrer persönlichen Angelegenheiten während der Arbeitswoche erledigen und ihre Persönlichkeit frei entfalten können (HK-ArbR / Ernst, § 5 ArbZG
Rn 3). Danach darf der Arbeitnehmer während der Ruhezeit gegenüber seinem Arbeitgeber keiner Verpflichtung unterliegen, die ihn daran hindert, frei und ohne Unterbrechung seinen eigenen Interessen nachzugehen (ErfK / Wank, § 5 ArbZG
Rn 1).
Bereits aufgrund der vorgeschriebenen Ruhezeiten ist die Auffassung Ihres Arbeitgebers mehr als bedenklich, wonach Sie jederzeit und überall (auch an Sonn- und Feiertag, im Urlaub etc.) erreichbar sein müssen. Es ist grundsätzlich mit dem Zweck der Ruhezeit unvereinbar, wenn der Arbeitnehmer während der Ruhezeit auch nur kurzfristig zur Vollarbeit oder Arbeitsbereitschaft herangezogen wird (ErfK / Wank, § 5 ArbZG
Rn 2). Gleiches gilt für eine Erreichbarkeit im Urlaub, da der Urlaubszweck darin liegt, dass der Arbeitnehmer sich von seiner Tätigkeit erholen und regenerieren soll. Dem steht selbstverständlich eine ständige Erreichbarkeit via Firmenhandy und –laptop sinnlogisch entgegen.
Hieraus dürfte folgen, dass Sie während Ihrer „normalen arbeitsvertraglichen Arbeitszeit" (Ihrer Aussage nach ca. 09:00 bis 18:00 Uhr) grundsätzlich erreichbar sein müssen, selbst wenn Sie nicht im Büro anwesend sind. Eine Erreichbarkeit über diese normale Arbeitszeit hinaus dürfte in Einzel- und Ausnahmefällen ebenfalls nicht zu beanstanden sein.
Soweit eine Erreichbarkeit rund um die Uhr von Ihrem Arbeitgeber eingefordert wird, dürfte dies mit den wesentlichen Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes nicht in Einklang zu bringen sein, da anderenfalls der Zweck des Arbeitszeitgesetzes (Ruhezeit / Erholung) durch den Arbeitgeber einseitig ausgehebelt werden könnte. Insoweit käme eine Erreichbarkeit über die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit (früh morgen / nachts) nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht (beispielsweise, wenn ein Kunde in den USA dringend kontaktiert werden muss / im Hinblick auf die Zeitverschiebung).
Hinsichtlich der Abmahnung empfehle ich Ihnen, diese einem Kollegen vor Ort mit der Bitte um Prüfung vorzulegen, da eine abschließende Beurteilung mangels Kenntnis des Inhalts der Abmahnung nicht vorgenommen werden kann. Insoweit dürfte es insbesondere darauf ankommen, zu welchen Zeiten die Anrufe durch Sie nicht bzw. nicht ausreichend beantwortet wurden.
Sollte ein Vorgehen gegen die Abmahnung erfolgsversprechend sein, könnte der Kollege vor Ort die weitere Vorgehensweise mit Ihnen besprechen.
Ich hoffe, Ihnen insoweit einen ersten Überblick verschafft zu haben.
Ich weise abschließend darauf hin, dass es durch Hinzufügen und Weglassen wesentlicher Umstände im Sachverhalt durchaus zu einer komplett anderen rechtlichen Bewertung kommen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Neubauer
Rechtsanwalt
Diese Antwort ist vom 20.08.2012 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
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Vielen Dank für die ausführlichen Antworten. Ich bitte Sie noch um Klärung der folgenden Punkte:
1. „Hieraus dürfte folgen, dass Sie während Ihrer „normalen arbeitsvertraglichen Arbeitszeit" (Ihrer Aussage nach ca. 09:00 bis 18:00 Uhr) grundsätzlich erreichbar sein müssen, selbst wenn Sie nicht im Büro anwesend sind."
Es gibt keine arbeitsvertragliche oder sonstige Regelung zu den Arbeitszeiten (abgesehen von 40h/Woche). Normalerweise erfolgt diese von ca. 9:00 bis ca. 18:00. Durch die internationale Tätigkeit kann jedoch in verschiedenen Fällen auch ein Arbeitsbeginn um 5:00 bzw. Arbeitsende um 22:00 nötig sein. Dies ist von beiden Seiten so akzeptiert und dazu gibt es weder eine schriftliche noch eine mündliche Vereinbarung zur Uhrzeit! Muss eine Erreichbarkeit auch Freitags bis 18:00 sichergestellt werden, auch wenn die wöchentliche Mindestarbeitszeit schon vorher erfüllt wurde (siehe dazu auch 3.)?
2. „Eine Erreichbarkeit über diese normale Arbeitszeit hinaus dürfte in Einzel- und Ausnahmefällen ebenfalls nicht zu beanstanden sein."
Sind nahezu tägliche Anrufe eines bestimmten Kollegen zwischen 16:00 und 20:00, zur Diskussion alltäglicher Aufgaben, noch als Einzel- oder Ausnahmefall zu betrachten?
3. „Insoweit dürfte es insbesondere darauf ankommen, zu welchen Zeiten die Anrufe durch Sie nicht bzw. nicht ausreichend beantwortet wurden."
Hier sollen laut Aussage der Personalabteilung „mehrere Beschwerden" vorliegen, wobei ich noch auf eine konkrete Auflistung warte. Ein konkreter Fall sollte jedoch ausschlaggebend sein:
Letzte Woche Freitag habe ich das Büro bereits um 16:00 verlassen, da die wöchentliche Arbeitszeit übererfüllt war (ca. 42h). Um ca. 16:30 erfolgte der Anruf eines Kollegen. Nach 15 Minuten Telefonat teilte ich diesem mit, dass ich das Gespräch aufgrund einer privaten Verabredung leider beenden müsse. Einige Stunden nach besagtem Telefonat erhielt ich die Abmahnung per Email.
Sehr geehrter Ratssuchender,
gerne beantworte ich Ihre Nachfragen wie folgt:
1.
Soweit Sie mitteilen, Sie würden regelmäßig von ca. 09:00 bis 18:00 Uhr arbeiten, dürfte es sich hierbei um Ihre "regelmäßige Arbeitszeit" handeln. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob eine schriftliche oder mündliche Vereinbarung hinsichtlich der Arbeitszeit vorliegt.
Entscheidend ist, wie der Arbeitsvertrag "gelebt" wird. Wenn Sie in der Regel in der Zeit von 09:00 bis 18:00 Uhr arbeiten, so dürfte dies aufgrund stillschweigender Einigung Ihre regelmäßige Arbeitszeit sein. Sofern in Einzelfällen - wie von Ihnen auch mitgeteilt wegen der internationalen Tätigkeit - der Arbeitsbeginn bzw. das Arbeitsende früher oder später erforderlich ist, können Sie von Ihrem Arbeitgeber im Wege des Weisungsrechts gemäß § 106 GewO
zur Arbeit herangezogen werden.
Sofern Sie in der Regel bis 18 Uhr arbeiten, so müssten Sie auch an einem Freitag grundsätzlich bis 18 Uhr erreichbar sein.
2.
Die täglichen Anrufe Ihres Kollegen zwecks Diskussion alltäglicher Aufgaben dürften wohl nicht mehr als Ausnahme zu werten sein. Dies dürfte zumindest für den Zeitraum nach 18:00 Uhr gelten, sofern man - wie oben dargelegt - von einer regelmäßigen Arbeitszeit bis 18 Uhr ausgeht. Eine Ausnahme hiervon ist sicherlich in besonders eilbedürftigen Fällen zu machen.
3.
Nach Ihrer Schilderung könnte die Abmahnung in der Sache durchaus begründet sein. Insoweit könnte die Abweisung eines Anrufs Ihres Kollegen um 16:30 Uhr im Hinblick auf Ihre regelmäßige Arbeitszeit bis 18:00 Uhr eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung darstellen, die Ihrerseits eine Abmahnung nach sich ziehen könnte.
Soweit Sie mitteilen, einige Stunden nach dem Telefonat die Abmahnung per eMail erhalten zu haben, stellt dies nach der Rechtsprechung keinen Formverstoß dar, da eine Abmhnung grundsätzlich an keine Form gebunden ist (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 07.01.1991, Az. 7 Sa 664/90).
Soweit Sie zudem mitteilen, eine konkrete Auflistung der Beschwerden von der Personalabteilung angefordert zu haben, kann ich Ihnen nach Erhalt derselben nochmals nur empfehlen, einen Rechtsanwalt vor Ort mit der Prüfung der Abmahnung zu beauftragen, da eine Beurteilung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Abmahnung erst nach Vorlage der Abmahnung sowie der Auflistung der Beschwerden möglich ist.
Mit freundlichen Grüßen
Neubauer
Rechtsanwalt