Sehr geehrter Ratsuchender,
gerne nehme ich zu Ihrer Anfrage unter Berücksichtigung Ihrer Angaben und Ihres Einsatzes wie folgt Stellung:
1.
Ja, es ist in jedem Fall sinnvoll, wie von Ihnen angedacht, den ausstehenden Lohn schriftlich beim Arbeitgeber geltend zu machen und eine Zahlungsfrist zu setzen. Diese sollte 10 Tage betragen. So vermeiden Sie, dass ansonsten ggf. arbeits- oder tarifvertragliche Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Arbeitslohns eingreifen. Wenn die Zahlungsfrist nicht eingehalten wird, können Sie den ausstehenden, d. h. fälligen Lohn beim zuständigen Arbeitsgericht einklagen. Mit einem Zahlungstitel könnten Sie dann die Zwangsvollstreckung betreiben bzw. im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Ihre Lohnansprüche besser durchsetzen.
2.
Sollte Ihr Arbeitgeber die Zahlungsfrist nicht einhalten, haben Sie zudem grundsätzlich die Möglichkeit, die Arbeitsleistung vorübergehend zu verweigern. Sie sind nicht verpflichtet, Ihre Arbeitsleistung auf Dauer ohne Vergütung zu erbringen. Sie müssten dem Arbeitgeber dann ausdrücklich mitteilen, dass Sie wegen der ausstehenden Vergütung nicht weiter in Vorleistung treten möchten, und was er als Gegenleistung erbringen muss, damit Sie weiter für ihn arbeiten.
Ihnen steht grundsätzlich ein gesetzliches Zurückbehaltungsrecht an Ihrer Arbeitsleistung zu (§ 320 Abs. 1 Satz 1 BGB bzw. § 273 Abs. 1 BGB). Es ist zweckmäßig, dass Sie bereits im Mahnschreiben ankündigen, dass Sie von Ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen werden. Nach 2 Monatsrückständen können Sie Ihre Arbeitsleistung verweigern.
Allerdings dürfen Sie Ihre Arbeitsleistung nach dem Prinzip von Treu und Glauben nicht verweigern, wenn die ausstehende Vergütung verhältnismäßig geringfügig ist, eine nur kurzfristige Verzögerung zu erwarten ist und/oder wenn dem Arbeitgeber dadurch ein unverhältnismäßig hoher Schaden entstehen würde. Wenn aber der ganze Lohn nicht gezahlt wird, kann von Geringfügigkeit natürlich nicht mehr die Rede sein. Sie haben schließlich auch Ausgaben, die sie bezahlen müssen.
Was Sie noch wissen sollten: Wenn Sie Ihre Arbeitsleistung in berechtigter Weise verweigern, behalten Sie Ihren Lohnanspruch! Der Arbeitgeber müsste Sie also auch dann bezahlen, wenn Sie nicht arbeiten, Sie ihm aber für eine Arbeit gegen Bezahlung zur Verfügung stehen und ihm diese auch anbieten. Wenn er Ihre Arbeitsleistung dann nicht annimmt, weil er Sie nicht bezahlen kann, dann hat er gleich in zweifacher Hinsicht Pech gehabt: Sie arbeiten nicht, er muss Sie aber trotzdem bezahlen. Man spricht dann von Annahmeverzug, § 615 Satz 1 BGB.
3.
Für die Zeit der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts können Sie sich arbeitslos melden und auch Arbeitslosengeld beantragen. Sie wären ja dann faktisch ohne Arbeit und ohne Lohn, auch wenn Sie formal noch in einem Arbeitsverhältnis sind.
Da es in der Vergangenheit schon kurzfristige Verzögerungen bei der Auszahlung des Lohns gegeben hat, ohne dass diese angekündigt worden sind, müssten Sie jetzt von einem längerfristigen Ausfall ausgehen, wenn Ihnen der Arbeitgeber das dieses Mal schon im Vorfeld ankündigt. Im schlimmsten Fall werden Sie gar keinen Lohn mehr sehen.
Sie sollten sich also so schnell wie möglich bei Ihrer Agentur für Arbeit arbeitslos melden und Arbeitslosengeld beantragen. Dieses erhalten Sie im Wege der sog. Gleichwohlgewährung nach § 143 Abs. 3 SGB III auch dann, wenn Sie in einem Arbeitsverhältnis stehen, aber tatsächlich kein Arbeitsentgelt erhalten. Allerdings dürften Sie vor einem Gehaltsrückstand von 2 Monatslöhnen kein Arbeitslosengeld erhalten. Gleichwohl empfiehlt sich ein frühzeitiger Antrag. Sobald Sie den erforderlichen Zahlungsrückstand haben, müssten Sie diesen der Agentur für Arbeit durch Vorlage von Lohnabrechnungen, Kontoauszügen usw.
Sofern Sie eine Arbeit bei einem anderen Arbeitgeber in Aussicht haben, können Sie auch eine Kündigung in Erwägung ziehen. Sie müssten dann keine Sperre beim Arbeitslosengeld befürchten, da die Kündigung auf einem Verhalten des Arbeitgebers beruhen würde bzw. dieser Anlass dazu gegeben hätte.
4.
Wenn Sie die Befürchtung haben, dass Ihrem Arbeitgeber eine Insolvenz bevorsteht, können Sie jetzt schon vorsorglich auch einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Agentur für Arbeit stellen. Nähere Informationen dazu erhalten Sie auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit – www.arbeitsagentur.de –, z. B. unter folgendem Link:
http://www.arbeitsagentur.de/nn_26404/Navigation/zentral/Buerger/Hilfen/Insolvenzgeld/Insolvenzgeld-Nav.html
Ihre Agentur für Arbeit wird Sie hierzu beraten.
Ich hoffe, Ihnen hiermit einen ersten Überblick über die Rechtslage verschafft zu haben, und wünsche Ihnen und Ihren Kollegen für die Zukunft alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Felix M. Safadi
Rechtsanwalt
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Allgemeine Hinweise:
Bitte erlauben Sie mir noch den obligatorischen Hinweis, dass es sich bei dieser Antwort lediglich um eine erste rechtliche Einschätzung des allein auf Ihren Angaben basierenden Sachverhalts handelt. Diese kann eine umfassende Begutachtung nicht ersetzen. Durch Hinzufügen oder Weglassen weiterer Angaben kann die rechtliche Beurteilung völlig anders ausfallen.