Sehr geehrter Fragesteller,
Ihre Anfrage möchte ich Ihnen auf Grundlage der angegebenen Informationen verbindlich wie folgt beantworten:
Zu Frage 1:
Der Pflichtteilsanspruch errechnet sich aus dem vorhandenen Nachlass zum Zeitpunkt des Erbfalles nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten.
Sie haben den bereinigten Nachlass mit 45.000 € beziffert.
Der Pflichtteil beträgt der Höhe nach die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Die Enkelkinder Karl und Kai sind an die Stelle der Verstorbenen Tochter Eva getreten, so dass beide zusammen einen gesetzlichen Erbteil von 1/2 gehabt hätten und aufgrund der Enterbung einen gemeinsamen Pflichtteilsanspruch in Höhe von 1/4 haben.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist ein gesonderter Anspruch. In Ihrem Fall gilt hier die besondere Regelung des § 2327 BGB
.
Die Zehnjahresfrist und die Abschmelzungsregelung des § 2325 Abs 3 BGB
gelten nach hM bei § 2327 BGB
nicht, so dass Eigengeschenke ohne jede zeitliche Schranke und in voller Höhe zu berücksichtigen sind.
Dies bedeutet, dass alle Schenkungen, die an Eva zu deren Lebzeiten geflossen sind, sowohl bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruches als auch bei der Bereinigung desselben mit einfließen.
Die an Jeff geleisteten Schenkungen werden nach der Abschmelzungsmethode dem Nachlass hinzugerechnet.
Dabei möchte ich darauf hinweisen, dass die Schenkungen jeweils bis zum Erbfall anhand des Lebenshaltungsindexes zu indexieren sind, um den Kaufkraftverlust der Geldbeträge aufzufangen. Dies kann aber im Rahmen der Onlineerstberatung nicht gesondert berechnet werden.
Zu Frage 2.
Ja, die Schenkung an Eva aus dem Jahr 2002 darf deswegen berücksichtigt werden, weil hier § 2327 BGB
greift, wonach auf Pflichtteilsergänzungsansprüche alle Schenkungen, auch außerhalb des 10-Jahres-Zeitraumes angerechnet werden und die Abschmelzungsregel nicht greift. (BGHZ 108, 393
, 399 = NJW 1990, 180
; RGZ 69, 389
; KG OLGZ 1974, 257
, 261; OLG Koblenz OLGR 2005, 113
; NK/Bock Rn 3; Damrau/Riedel/Lenz Rn 6; jurisPK/Birkenheier Rn 10; MK/Lange Rn 6; Soergel/Dieckmann Rn 5; Staudinger/Olshausen Rn 8; Schindler, Pflichtteilsberechtigter Erbe, Rn 575; für Anwendung von Abs 3, einschließlich der neuen Pro-rata-Regelung aufgrund verfassungskonformer Auslegung nun aber mit guten Gründen Zacher-Röder/Eichner ZEV 2011, 557)
Zu Frage 3:
Karl und Kai müssen sich alle Schenkungen, die ihre Mutter erhalten hat, auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen.
Bei Wegfall eines pflichtteilsberechtigten beschenkten Abkömmlings (vor oder nach dem Erbfall) ist der Eintretende verpflichtet, sich die Schenkung in gleicher Weise anrechnen zu lassen, wie der Zuwendungsempfänger ( § 2315 Abs 5 BGB
).
Die Schenkungen an Jeff werden ebenfalls zur Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs fiktiv dem Nachlass hinzugerechnet.
Es spielt hierbei keine Rolle, dass das Testament zum Zeitpunkt der Schenkungen noch nicht existent gewesen ist.
Zu Frage 4:
Es wird also einerseits der Pflichtteilsanspruch von Kai und Karl und andererseits deren Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet.
Beim Pflichtteilsanspruch ist die Berechnung einfach. Hier steht Kai und Karl gemeinsam 1/4 aus 45.000 €, mithin ein Betrag von 11.250 € zur Seite.
Beim Pflichtteilsergänzungsanspruch werden erst einmal alle Schenkungen an Eva, Kai und Karl entsprechend den obigen Ausführungen zu § 2327 BGB
summiert, was einem Betrag von 240.000 € entspricht.
Hinzu kommen die Schenkungen an Jeff nach der Abschmelzungsmethode, somit 10% aus 20.000 € = 2.000 €, 50 % aus 100.000 € = 50.000 € und 60 % aus 750.000 € = 450.000 €, also ein Gesamtbetrag von 502.000 €.
Zur Berechnung der Pflichtteilsergänzungsansprüche ist also ein fiktiver Nachlass von insgesamt 742.000 € heranzuziehen.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch von Kai und Karl beträgt hieraus 1/4, mithin ein Betrag von 185.500 €. Diesem Betrag wird sodann der Pflichtteilsanspruch aus dem Nachlass mit 11.250 € hinzugerechnet, so dass sich eine Gesamtforderung in Höhe von 196.750 € ergibt.
Hiervon werden dann alle Schenkungen an Eva, Kai und Karl wiederum in Abzug gebracht, also der Betrag von 240.000 €, so dass weder ein Pflichtteils- noch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch von Kai und Karl besteht.
Ich hoffe, Ihre Frage verständlich beantwortet zu haben und bedanke mich für das entgegengebrachte Vertrauen. Bei Unklarheiten können Sie die kostenlose Nachfragefunktion benutzen.
Mit freundlichen Grüßen
Diese Antwort ist vom 25. November 2014 und möglicherweise veraltet. Stellen Sie jetzt Ihre aktuelle Frage und bekommen Sie eine rechtsverbindliche Antwort von einem Rechtsanwalt.
Jetzt eine neue Frage stellen
Antwort
vonRechtsanwalt Tobias Rösemeier
Ernst-Reuter-Allee 16
39104 Magdeburg
Tel: 0391-6223910
Web: http://kanzleifamilienrechtmagdeburg.simplesite.com
E-Mail:
Rechtsanwalt Tobias Rösemeier
Fachanwalt für Familienrecht
Hallo Herr Rösemeier,
vielen Dank für die sehr ausführliche Antwort.
Bezüglich Ihrer Beantwortung zu Frage 3 haben Sie auf den 2315 Abs. 5 BGB verwiesen. Den gibt es allerdings nicht ?!?
Bezüglich der beiden Schenkungen G und H hatte ich im fiktiven Fallbeispiel geschildert, dass diese ausdrücklich „ … unter Anrechnung auf Erb-, Pflichtteils-, und Pflichtteilsergänzungsansprüche." an Kai und Karl geschenkt wurden. Aus Ihrer Antwort geht hervor, dass trotz dieser Formulierung die Schenkung genauso wie die anderen Schenkungen an Eva behandelt werden. Ist das soweit korrekt? Die Formulierung hat also in sofern keine weiteren Auswirkungen - ich hatte gelesen, dass auch eine Anrechnung auf den Pflichtteil erfolgen kann wenn der Beschenkte bei der Schenkung ausdrücklich zugestimmt hat. Eine doppelte Anrechnung dieser Schenkungen aufgrund der von Kai und Karl unterschriebenen Formulierung ist also ausgeschlossen?!?
Vielen Dank, Harald Mienke
Sehr geehrter Fragesteller,
gerne nehme ich zu Ihrer Nachfrage wie folgt Stellung.
Leider ist mir hier ein Tippfehler unterlaufen, den ich bitte zu entschuldigen. Es sollte natürlich § 2325 Abs. 3 BGB
heißen.
Kai und Karl haben mit der Schenkung anerkannt, dass diese Schenkungen auf etwaige Pflichtteil- und Pflichtteilsergänzungsansprüche angerechnet werden. Dies ist deswegen von besonderer Bedeutung in Ihrem Fall, weil nicht jede Schenkung auf den Pflichtteil angerechnet wird, sondern nur dann, wenn der Schenker dies ausdrücklich so im Rahmen der Schenkung anordnet.
§ 2327 BGB
regelt außerdem, dass Schenkungen grundsätzlich auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch angerechnet werden, so dass es diesbezüglich keiner ausdrücklichen Erklärung von Kai und Karl bedurfte, sondern diese klarstellend in den Vertrag aufgenommen worden ist.
Es findet also keine doppelte Anrechnung statt. Es werden die Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche berechnet und dann diese Schenkungen an Karl und Kai, sowie die Schenkungen an Eva abgezogen.
Die Schenkung an Karl und Kai übersteigen bereits deren Pflichtteilsanspruch, so dass der darüber hinausgehende Betrag auf die Pflichtteilsergänzungsansprüche angerechnet wird.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen
Tobias Rösemeier
- Rechtsanwalt -