Sehr geehrte/r Fragesteller/in,
außer Betracht bleiben Erziehungszeiten für unter dreijährige Kinder bei der Ermittlung der Höhe des ALG I, genauer bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums (§ 150 Abs. 2 Nr. 3 SGB III).
Um die Anwartschaftszeit für das ALG I zu erfüllen, müssen in der 30-monatigen Rahmenfrist 12 Monate mit Versicherungspflichtverhältnissen liegen (§§ 142, 143 SGB III). Dies können unter bestimmten Voraussetzungen auch Zeiten mit Mutterschaftsgeld oder Elternzeit sein.
Nach § 26 Abs. 2 SGB sind Personen in der Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig während der Zeit, in der sie von einem Leistungsträger Mutterschaftsgeld beziehen, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Leistung versicherungspflichtig waren oder Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung dem SGB III hatten.
§ 26 Abs. 2a SGB III regelt die Versicherungspflicht während Zeiten der Erziehung von unter dreijährigen Kindern:
Versicherungspflichtig sind Personen in der Zeit, in der sie ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erziehen, wenn sie
1. unmittelbar vor der Kindererziehung versicherungspflichtig waren oder Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach diesem Buch hatten und
2. sich mit dem Kind im Inland gewöhnlich aufhalten oder bei Aufenthalt im Ausland Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz oder Bundeskindergeldgesetz haben oder ohne die Anwendung des § 64 oder § 65 des Einkommensteuergesetzes oder des § 3 oder § 4 des Bundeskindergeldgesetzes haben würden.
[...]
Haben mehrere Personen ein Kind gemeinsam erzogen, besteht Versicherungspflicht nur für die Person, der nach den Regelungen des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung die Erziehungszeit zuzuordnen ist (§ 56 Abs. 2 des Sechsten Buches).
Die Vollzeitstelle reicht nur teilweise noch in die 30-monatige Rahmenfrist hinein. Ob Versicherungspflicht während des Mutterschaftsgelds und der sich anschließende Kindererziehung des am 16.06.2020 geborenen Kindes bestand, hängt davon ab, ob bereits unmittelbar vorher Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung bestand. D. h. Sie brauchen eine Kette mit Versicherungspflichtverhältnissen während der Vollzeittätigkeit - Mutterschaftsgeld - Kindererziehung.
I. d. R. sind vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer in der Arbeitslosengeldversicherung pflichtversichert. Es sei denn, es handelt sich um versicherungsfreie Beschäftigte nach § 27 SGB III. Oder - bei einer Vollzeitstelle eher unwahrscheinlich - um sonstige versicherungsfreie Personen nach § 28 SGB III.
Bitte teilen Sie mir noch mit, welche Tätigkeit die Mutter in der Vollzeitstelle ab Anfang 2019 ausgeübt hat. Handelte es sich um eine Beschäftigung, bei der sie in der Arbeitslosengeldversicherung pflichtversichert war? Ich gehe davon aus, dass die Erziehungszeit der Antragstellerin rentenrechtlich zugeordnet wird?
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Haeske, Rechtsanwältin
Rückfrage vom Fragesteller
10. Februar 2022 | 01:17
Sehr geehrte Frau Haeske,
Ich verstehe weder ihre Antwort noch ihre Nachfrage.
Die Mutter war als Assistenzärztin vom 1.1.2019 bis zur Elternzeit voll sozial versichert, Vollzeit immer bei der gleichen Klinik in Deutschland angestellt. Der einzige Unterschied zum 'normalen' Angestellten war die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht durch Inanspruchnahme der Ärzteversorgung.
Nach ihrer Antwort wäre nach einer Elternzeit von 2 Jahren mit anschließender Arbeitslosigkeit, im Allgemeinen Schluss mit ALG1? Obwohl man bis Ende der Elternzeit bei dem gleichen Arbeitgeber angestellt war? Das höre ich jetzt zum ersten mal.
Antwort auf die Rückfrage vom Anwalt
10. Februar 2022 | 11:07
Sehr geehrte/r Fragesteller/in,
im Sozialversicherungsrecht wird zwischen Arbeitsverhältnis und Beschäftigung unterschieden. Das Arbeitsverhältnis dauert an, solange der Arbeitsvertrag besteht und der Arbeitnehmer angestellt ist. Die Arbeitslosenversicherung knüpft dagegen an die Beschäftigung, die tatsächliche Tätigkeit, an.
Ob nach der Elternzeit ein Anspruch auf ALG I besteht, hängt von den genauen Umständen ab. Wurden während der Elternzeit noch Beiträge an die Arbeitslosenversicherung gezahlt (versicherungspflichtige Teilzeittätigkeit oder durch eine Versicherungspflicht auf Antrag), besteht während der Elternzeit allein deshalb noch Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung. Sodass die Zeit dann noch zur Erfüllung der Anwartschaftszeit beitragen kann. Aber auch wenn selbst keine Beiträge gezahlt wurden, können Zeiten der Erziehung von Kindern unter drei Jahren noch als Versicherungspflichtzeiten in der Arbeitslosenversicherung gezählt werden. Sofern unmittelbar vor der Kindererziehung Versicherungspflicht bestand und wenn - als zusätzliche Voraussetzung - bei gemeinsamer Kindererziehung die rentenrechtlichen Zeiten auch der Antragstellerin zugerechnet werden. Wenn sich Erziehungszeiten von Kindern unter drei Jahren zeitlich überschneiden, werden diese Zeiten zusammengerechnet (BSG, Urteil vom 29. Mai 2008, Az. B 11a/7a AL 64/06 R). Wenn das ältere Kind bei der Geburt des Mitte 2020 geborenen Kinder noch keine drei Jahre alt war, müsste also Versicherungspflicht direkt vor der Geburt des älteren Kindes bestanden haben. Damit während der reinen Kindererziehungszeit Versicherungspflicht besteht. Haben Sie und die Mutter das Kind gemeinsamen erzogen und gemeinsam gegenüber der DRV erklärt, dass Ihnen und nicht der Mutter die Kindererziehungszeit rentenrechtlich zugerechnet werden sollen, besteht während der reinen Kindererziehungszeit für die Mutter keine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung. Dann kann die Kindererziehungszeit nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit beitragen und dann kommt es darauf an, ob die vorhergehenden Versicherungspflichtzeiten noch mit 12 Monaten in die Rahmenfrist fallen.
Wurde hier am 25.11.2021 Arbeitslosengeld 1 beantragt, beginnt die 30-monatige Rahmenfrist am 24.11.2021 und endet am 25.05.2019. Die versicherungspflichtige Vollzeitstelle fällt somit erst ab dem 25.05.2019 in die Rahmenfrist. Da die Antragstellerin aber unmittelbar vor Bezug des Mutterschaftsgelds in der Arbeitslosenversicherung durch die Vollzeitstelle versicherungspflichtig war, war sie es nach § 26 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 3 SGB III auch noch mindestens bis zum Ende des Mutterschaftsgelds am 12.08.2020. Allein die noch in die Rahmenfrist fallenden Versicherungspflichtzeiten während der Vollzeitbeschäftigung und während des sich daran anschließenden Mutterschaftsgelds müssten ausreichen, damit sie die Anwartschaftszeit erfüllt (12 Monate mit Versicherungspflichtverhältnissen innerhalb der Rahmenfrist).
Die Ablehnung des ALG 1-Antrags durch die Agentur für Arbeit kann ich nach Ihren Ausführungen nicht nachvollziehen. Sie sollten innerhalb der Frist Widerspruch gegen den Bescheid einlegen und sich die durch die Agentur für Arbeit vorgenommene Berechnung der Versicherungspflichtzeiten innerhalb der Rahmenfrist erläutern lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Gabriele Haeske, Rechtsanwältin