Sehr geehrte Fragestellerin,
anhand Ihrer Angaben beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Zunächst kann ich nicht nachvollziehen, warum in der Bank keine Teilzeitstelle für Sie geschaffen werden konnte. Nach den §§ 6, 8 Teilzeitbefristungsgesetz (TzBfG) ist die Teilzeitbeschäftigung zu fördern, auch in leitender Position. Ich unterstelle, dass in der Bank mehr als 15 Personen regelmäßig beschäftigt sind und die Arbeitsorganisation nicht entgegenstand.
Zur Berechnung Ihres Arbeitlosengeld-I-Anspruchs:
Mit Einführung des Hartz-III-Gesetzes im Dezember 2003 wird seitdem geprüft, wie lange ein Arbeitsloser in den vergangenen zwei Jahren gearbeitet hat. Nach den Paragrafen 130 und 132 des Sozialgesetzbuches III wird das Arbeitslosengeld nicht auf Basis des letzten Arbeitseinkommens berechnet, wenn der Arbeitslose vorher weniger als fünf Monate gearbeitet hat. Da Sie nur 4,25 Monate nach der Familienphase gearbeitet haben, werden nicht die letzen zwei Jahre berücksichtigt.
Nimmt eine berufstätige Mutter ihr gesetzliches Recht auf 3 Jahre Elternzeit in Anspruch und wird danach arbeitslos, so wird nicht ihr früherer Verdienst bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes zu Grunde gelegt, sondern es erfolgt eine so genannte fiktive Bemessung. Darauf basierend wird hilfsweise eine "fiktive Berechnung" laut Paragraf 132 SGB III vorgenommen. Dabei erhalten Versicherte mit einer Hochschulausbildung besonders gute Leistungen. Die Ansprüche der vier "Qualifikationsgruppen" im Einzelnen:
• Qualifikationsgruppe 1: Bei Erwerbstätigen mit Hochschul- oder Fachhochschulausbildung wird ein Bemessungsentgelt in Höhe von einem "Dreihundertstel der Bezugsgröße" angenommen. Auf den Monat gerechnet ergibt sich daraus ein fiktives Einkommen von 2.940 Euro (2.478 Euro im Osten). Je nach Familienstand und Steuerklasse führt das zu einem maximalen Arbeitslosengeld von über 1.360 Euro (1.200 Euro).
• Qualifikationsgruppe 2: Bei Erwerbstätigen mit Fachschulabschluss oder abgeschlossener Meisterprüfung wird ein Bemessungsentgelt in Höhe von einem "Dreihundertsechzigstel der Bezugsgröße" angenommen. Auf den Monat gerechnet ergibt sich daraus ein fiktives Einkommen von 2.450 Euro (2.065 Euro im Osten). Je nach Familienstand und Steuerklasse führt das zu einem maximalen Arbeitslosengeld von bis zu 1.200 Euro (1.050 Euro).
• Qualifikationsgruppe 3: Bei Erwerbstätigen mit abgeschlossener Berufsausbildung wird ein Bemessungsentgelt in Höhe von einem "Vierhundertfünfzigstel der Bezugsgröße" angenommen. Auf den Monat gerechnet ergibt sich daraus ein fiktives Einkommen von 1.960 Euro (1.650 Euro im Osten). Je nach Familienstand und Steuerklasse führt das zu einem maximalen Arbeitslosengeld von über 1.000 Euro (860 Euro).
• Qualifikationsgruppe 4: Bei Erwerbstätigen ohne Ausbildung wird ein Bemessungsentgelt in Höhe von einem "Sechshundertstel der Bezugsgröße" angenommen. Auf den Monat gerechnet ergibt sich daraus ein fiktives Einkommen von 1.470 Euro (1.239 Euro im Osten). Je nach Familienstand und Steuerklasse führt das zu einem maximalen Arbeitslosengeld von rund 760 Euro (650 Euro).
Die gesetzliche Grundlage:
Die Regelung ist in § 130 SGB III
in Verbindung mit § 132 SGB III
gesetzlich verankert.
Zwar bleiben nach § 130 Absatz 2 Nr. 3 SGB III
Erziehungszeiten bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht, doch beträgt andererseits der Bemessungsrahmen nur maximal 2 Jahre, so dass rein vom Wortlaut des Gesetzes her in den genannten Fällen in der Tat eine fiktive Bemessung vorzunehmen ist.
Allerdings könnte diese Regelung gegen höherrangiges Recht verstoßen und damit unwirksam bzw. unanwendbar sein.
Verstoß gegen europäisches Recht
Insbesondere spricht vieles dafür, dass die Regelung der §§ 130
, 132 SGB III
vor dem Hintergrund europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien keinen Bestand haben kann.
Hier kommt ein Verstoß gegen die Richtlinie 79/7/EWG in Betracht.
Diese Richtlinie behandelt die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit und besagt in Artikel 3 und 4 unter anderem:
„Artikel 3
(1) Diese Richtlinie findet Anwendung
a. auf die gesetzlichen Systeme, die Schutz gegen folgende Risiken bieten:
o Krankheit
o Invalidität
o Alter
o Arbeitsunfall und Berufskrankheit
o Arbeitslosigkeit
(.. .)
Artikel 4
(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im besonderen betreffend:
• den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen,
• die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge,
• die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.“
Insbesondere der letzte, 3. Spiegelstrich des Artikels 4 der Richtlinie dürfte hier einschlägig sein, da es sowohl um die Berechnung der Leistung (hier: das Arbeitslosengeld) als auch um die Bedingungen betreffend der Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistung geht.
Eine mittelbare Diskriminierung ist nach der Definition des EG-Rechts (Richtlinie 97/80/EG) dann gegeben, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt.
Da immer noch wesentlich mehr Frauen als Männer Erziehungszeiten in Anspruch nehmen und daher von der Regelung der §§ 130
, 132 SGB III
bezüglich der Berechnung des Arbeitslosengeldes benachteiligt werden, liegt hier eine mittelbare Diskriminierung vor, die auch nicht sachlich gerechtfertigt ist.
Die genannte Richtlinie ist für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich und geht nach europarechtlichen Grundsätzen deutschem Recht vor. Ein Verstoß führt zur Unanwendbarkeit der gegen die Richtlinie verstoßenden Regelung, hier dürfte dies also die Unanwendbarkeit des starren Bemessungsrahmens von 2 Jahren bzw. der fiktiven Bemessung zur Folge haben.
Was betroffene Frauen tun können
Mütter, die von dieser Regelung betroffen sind und deren Arbeitslosengeld deshalb fiktiv bemessen wird, sollten gegen den Arbeitslosengeldbescheid Widerspruch einlegen. Da die Regelung jedoch vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt wird, dürfte der Widerspruch im allgemeinen keinen Erfolg haben, so dass dann der Klageweg vor dem Sozialgericht beschritten werden muss. Im Klageverfahren kann das Gericht dazu angeregt werden, die Sache dem europäischen Gerichtshof im Rahmen des so genannten Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen ersten Einschätzungen weiterhelfen konnte und verweise bei Unklarheiten nochmals auf die kostenlose Nachfragefunktion.
Einstweilen verbleibe ich
mit besten Grüßen
Inga Dransfeld-Haase
Rechtsanwältin
E-Mail: dr-haase@dr-schwoebbermeyer.de
Ich bitte noch folgendes zu beachten:
Die Beratung ist beschränkt durch die von Ihnen gegebenen Informationen. Es kann entsprechend den vorliegenden Bedingungen nur ein erster Überblick geboten werden, der eine abschließende, umfassende und verbindliche Anwaltsberatung nicht ersetzen kann. Der Umfang der Antwort steht weiterhin in Abhängigkeit zu Ihrem eingesetzten Honorar.
Sehr geehrte Frau Dransfeld-Haase,
vielen Dank für Ihre schnelle Antwort.
Aus Ihrem Text entnehme ich, daß ich nach 3 Jahren Erziehungszeit immer ein fiktives Gehalt berechnet bekomme, egal, ob direkt nach der Erziehungszeit Arbeitslosigkeit eintritt, oder ob danach zunächst die tariflich vereinbarte Familienphase in Anspruch genommen wird, oder ob zusätzlich danach weniger als 5 Monate Gehalt gezahlt wurde.
Bitte widersprechen Sie mir, falls ich falsch liege.
Sie raten mir, Einspruch einzulegen, um der fiktiven Berechnung zu entgehen. Ähnlich ist die Ausgangslage dann sicher auch, wenn ich mich mit meinem Arbeitgeber auf eine Auflösung nach 5 Monaten (statt 4,25 Monaten) Gehaltszahlung einige.
Aber habe ich duch vorgenannte Weisen einen Vorteil? Wird dann mein monatliches Gehalt als Grundlage benutzt (Gehalt = 2.590 brutto / 1840 netto -> ALG-Grundlage) , oder wird mein Einkommen der letzten 12 Monate aufs Jahr hochgerechnet (1 Mo Erziehungszeit 0 EUR + 6 Mo Erziehungszeit 0 EUR + 5 Monate Arbeitszeit 12.950/9.200 geteilt duch 12 = 1079/766 ist ALG-Grundlage? In diesem Fall stelle ich mich ja schlechter als bei der fiktiven Berechnung).
Da ich morgen ein abschließendes Gespräch mit meinem Arbeitgeber habe, bitte ich um schnelle Antwort.
Sollte der eingesetzte Betrag nicht für die Beantwortung der Nachfrage ausreichen, teilen Sie mir Ihre Nachforderung bitte in Ihrer Antwort mit.
Vielen Dank,
Ihre Ratsuchende.
Sehr geehrte Fragenstellerin,
gerne beantworte ich Ihre Nachfragen:
4,25 Monate Gehaltszahlung (fiktive Berechnung)
Leider teilten Sie mir nicht mit, ob Sie über die abgeschlossene Berufsausbildung hinaus beispielsweise ein Fachhochschulstudium absolviert haben. Ich gehe aber davon aus, dass Sie zur Qualifikationsgruppe 3 gehören. Bei Zugrundelegung des fiktiven Gehalts der Gruppe erhalten Sie max. ca. € 1.000,-- netto.
über 5 Monate Gehaltszahlung
Die Elternzeit ist geschützt, d.h. zählt nicht für die Berechnung. Verkürzt gesagt, sollen Sie nicht für die Schaffung einer Familie bestraft werden. Daher wäre Ihr altes Gehalt maßgeblich. Umstritten ist, ob die Elternzeit nur auf Verlangen außer acht bleibt. In jedem Fall sollten Sie sich darauf berufen. Ihr Arbeitslosengeld würde, da Sie Kinder haben, 67 % der letzten Nettobezüge betragen, mithin ca. € 1.200,-- netto.
Ich weise darauf hin, dass diese Beratung im Einzelfall grundsätzlich der Einsicht Ihrer Unterlagen bedarf und die Erstberatung in diesem Forum keine anwaltliche Beratung vor Ort ersetzen kann. Veränderungen des Sachverhalts können zu einer völlig anderen Rechtslage führen.
Mit freundlichen Grüßen
Inga Dransfeld-Haase